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"Mit harter Hand und großem Herz"   Heft 4/2005
It's the equality, stupid!
Mit Recht gegen Diskriminierung

Seite 129-131
Terrorbekämpfung in Kolumbien ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und das Völkerrecht  
 

Laut Präsident Àlvaro Uribe Vélez gibt es in Kolumbien keinen bewaffneten Konflikt, sondern eine "terroristische Bedrohung". Diese will er bekämpfen, mit vielen helfenden Händen. Massive Menschenrechtsverletzungen sind dabei in dem viertgrößten südamerikanischen Land an der Tagesordnung.

Kolumbien im Konflikt

Kolumbien leidet seit Jahrzehnten unter einem sozialen und bewaffneten Konflikt. Fast zwei Drittel der Bevölkerung lebt in Armut. Minderheiten wie die im Chocó mit ihren ererbten Landrechten und die Bauern und Bäuerinnen in weiten Teilen des Landes sind den Repressalien wie Bedrohungen, Verhaftungen und Gewalttaten ungeschützt ausgesetzt. Kolumbien produziert nach offiziellen Angaben über drei Viertel des weltweit konsumierten Kokains. Ermordungen von Gewerkschaftsführern und Vertretern und Vertreterinnen von Bauernorganisationen sowie die Kriminalisierung jeder sozialen oder politischen Opposition sind alltäglich geworden. Familien werden vertrieben, Menschen verschwinden ohne Wiederkehr. Die kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer systematischen Anwendung von Folter. Durchschnittlich sterben pro Tag 20 unbeteiligte Zivilisten in den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und verbündeten Paramilitärs gegen bewaffnete oppositionelle Gruppen.1 Nach wie vor begünstigt zudem die große Heterogenität der beteiligten Akteure den Umstand, dass die Konfliktlinien innerhalb des Landes kaum eindeutig aufzuzeigen sind.

Uribe gegen die Terroristen

Uribe, seit 7. August 2002 Präsident, führt derzeit seine Kampagne zur Wiederwahl.2 Eine Verfassungsänderung machte dies möglich, muss die Überprüfung vor dem Verfassungsgericht allerdings noch bestehen. Mit "harter Hand und großem Herz" will er weiterhin vorgehen und entschlossen einen "Anti-Drogenkrieg" führen, um die sich aus derartigen Geschäften angeblich finanzierenden Guerillaeinheiten zu entmachten und die terroristische Bedrohung zu bekämpfen. Der Begriff Terrorismus dient dabei nicht nur der Delegitimierung der Gegenseite, er soll auch Hilfsorganisationen und nicht zuletzt das Völkerrecht heraus halten.
Die Selbstverteidigung eines Staates gegen jeden Verdacht terroristischer Umtriebe wird gerade in letzter Zeit nicht nur für legitim, sondern auch für notwendig angesehen. Wer nicht gegen die "Terroristen" ist, ist automatisch für sie. FARC und ELN3 stehen längst auf den Terrorlisten der USA und der EU. Uribe nutzte die Gunst der Stunde. So wurden nach einer Verfassungsreform Anti-Terrorstatute4 verabschiedet, welche Grundrechte verletzten und der Armee polizeiliche Befugnisse einräumten. Man übertrug den Streitkräften Funktionen der Gerichtspolizei5 und ermöglichte die Überwachung des gesamten Briefverkehrs und jeder Form von privater Kommunikation sowie die Durchführung von Verhaftungen und Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung6. Es ist zu befürchten, dass die Neuerungen eine Vertuschung der durch das Militär begangenen Menschenrechtsverletzungen noch verstärken werden. Massenverhaftungen, oft ohne Haftbefehl, sind derzeit an der Tagesordnung.7
Letztlich versucht die Regierung, alle Bürger und Bürgerinnen zu Soldaten des Staates zu machen. Es wurden über 2 Mio. Informanten rekrutiert und damit ein Netzwerk von bezahlten Spitzeln geschaffen. Es werden Tausende von Bauernsoldaten eingesetzt, Zivilisten, die "nebenberuflich" als Soldaten aktiv werden und abends in ihr Haus zurückkehren. Rund 30.000 Familien amtieren als so genannte Waldhüter. Die Einsetzung dieser Gruppen verstößt gegen das Prinzip der Unterscheidung von Zivilbevölkerung und bewaffneten Kämpfern und damit gegen ein Prinzip des humanitären Völkerrechts.

Unterstützung durch die USA

Uribe hat immer schon die Präsenz ausländischer Truppen im Land gefordert. Unlängst bezeugte er seine politische Richtung gen Norden mit seinem umtriebigen Beitrittsengagement zur ALCA, der ‚Freihandelszone der Amerikas'. Das Land im Norden Südamerikas ist für die USA derzeit der einzige Schlüssel zum "aufbegehrenden" Kontinent, vor allem seit der Regierungszeit von Hugo Chavez in Venezuela. Es gilt die westliche "freiheitlich-demokratische" Welt zu verteidigen gegen die Drogenmafia und die Guerilla. Soziale Kämpfe und Befreiungsbewegungen sollen vermieden oder beseitigt werden. Die USA ziehen aus ihrem innenpolitischen Drogen- und Rechtsproblem einen außenpolitischen Anspruch an Kolumbien zur Intervention im Antidrogenkampf, wofür u.a. 1999 der "Plan Colombia"8 entwickelt und großzügig seitens der USA finanziert wurde. Laut einem vom US-Drogenkontrollbüro veröffentlichten Bericht wurde jedoch im Jahre 2004 trotz intensiver Besprühungen keine Reduktion der Anbauflächen erreicht. Für viele Kritiker bleibt der Plan Colombia daher eher ein strategischer Militärplan.
Die USA haben bereits mehrfach laut über eine militärische Intervention in Kolumbien nachgedacht. Im Senat fand sich aber bisher keine Mehrheit für die Entsendung von Truppen. Offiziell dürfen sich gleichzeitig nur 6009 US-Militärs im kolumbianischen Staat aufhalten. Damit soll eine "Vietnamisierung" des Konflikts verhindert und die empfindlich auf tote amerikanische Soldaten reagierende Öffentlichkeit geschont werden. Die Begrenzung der Anzahl der US-amerikanischen "Söldner" in Kolumbien wurde längst aufgehoben. Heute sind schätzungsweise mindestens 1.000 Zivile und 2.500 US-Militärs in Kolumbien im Rahmen von Militärausbildung, Nachrichtendienst, Drogen- und Aufstandsbekämpfung im Einsatz.

Private Military Companies in Kolumbien

Der Krieg gegen die kolumbianische Bevölkerung wird zunehmend privatisiert. Derzeit sind rund 30 private Militärunternehmen auf fast allen Ebenen in Kolumbien aktiv.10 Die Hubschrauber für Truppeneinsätze und Eskorten der Sprühflüge werden vom US-amerikanischen Sicherheitsdienstleister DynCorp geflogen. DynCorp stellt neben den Piloten auch Mechaniker und medizinisches Personal. Die meisten bei Besprühungen tätigen Söldner sind bewaffnet; wenn sie sterben, sterben sie als Zivilisten. Mehrere Berichte belegen, dass es durch die Besprühungen mit Gift aus Flugzeugen zu schwerwiegenden Verstößen gegen die Menschenrechte kommt. Für die privaten Militärunternehmen gibt es aber keine klaren Kontrollmechanismen. Sie werden staatlich nicht beaufsichtigt, weder von den USA, noch von Kolumbien, sie werden manchmal einfach ohne Papiere ins Land geschleust. Mitarbeiter von Private Military Companies wie DynCorp unterstehen nicht der Militärgerichtsbarkeit, ihr Handeln liegt in einer legalen Grauzone.
Das US-amerikanische Kriegsunternehmen MPRI ist ebenfalls in Kolumbien aktiv, mit etwa 300 Ausbildern für kolumbianische Militärangehörige und paramilitärische Einheiten, wobei zwischen einer beratenden Tätigkeit von MPRI und direkten Eingriffen in Kampfhandlungen kaum mehr unterschieden werden kann.
Kürzlich zeigten sich neue Ausmaße bei der Aufdeckung der Operación Dragón (Operation Drachen). Die Geheimdienstabteilung der 3. Armeebrigade hatte minutiöse Überwachungsdaten von MenschenrechtsaktivistInnen, GewerkschaftlerInnen und Oppositionspolitikern an das private Sicherheitsunternehmen ‚Consultoría Integral Latinoamericano' weitergegeben. Bei Hausdurchsuchungen in Medellín und Cali stellte die Staatsanwaltschaft konkrete Pläne zur Ermordung der bespitzelten Personen fest.11

Straffreiheit für paramilitärische Einheiten

Die Regierung wollte den Terror vor allem mit paramilitärischen Verbänden bekämpfen. Vor allem diesen werden aber schwere Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung vorgeworfen. Sie sind zum Teil gemeinsam mit dem offiziellen Militär an gewaltsamen Vertreibungen, Morden, Folter, Massakern, Entführungen, Erpressungen und dem Anwerben von Kindersoldaten beteiligt. Die kolumbianische Juristenkommission macht ihren Dachverband AUC für über 1.900 Morde seit der Ankündigung eines Waffenstillstandes im Dezember 2002 verantwortlich. Die ursprünglich zur Guerillabekämpfung eingesetzten Einheiten kontrollieren heute um die 40 % des Kokainhandels und fast 100 % des Heroinhandels und terrorisieren die Bevölkerung.
Im Zuge der Gespräche zwischen der Uribe - Regierung und der AUC sowie anderen paramilitärischen Gruppen, wurde ihnen im Rahmen des Demobilisierungsprozesses bereits weitesgehend Straffreiheit zugestanden. Der gesetzliche Rahmen, der durch das "Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden" und die Dekrete 128 und 2767 festgelegt ist, garantiert jedoch nicht die Rechte der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten wäre ein auf die Paramilitärs zugeschnittenes Amnestiegesetz äußerst angreifbar. Eine Straffreistellung bei Delikten gegen das Leben, Folter und Verschwindenlassen ist nach der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) unzulässig.
Bis Ende 2005 sollen mehr als 20.000 Paramilitärs demobilisiert sein. Uribe will sie ins zivile Leben integrieren. Es sieht ganz danach aus, dass sie bei privaten Sicherheitsfirmen landen. Durch das Dekret 2767 von August 2004 wurde sogar explizit die Möglichkeit geschaffen, individuell demobilisierte Kämpfer in die Reihen der Armee zu integrieren.

Aufarbeitung mittels Völkerrecht

Luis Moreno Ocampo, Staatsanwalt des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), verwies bereits auf die seit 2002 bestehende volle Kompetenz des Gerichtshofs zur Aburteilung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Es liegen bereits mehrere Anklagen im Hinblick auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, für die man die paramilitärischen Verbände, die FARC, die ELN und offizielle Einheiten der Streitkräfte Kolumbiens verantwortlich macht. Kolumbien hat allerdings Art. 124 des Statuts von Rom in Anspruch genommen, wodurch Kriegsverbrechen sieben Jahre von der Gerichtsbarkeit des IStGH ausgenommen bleiben.
Eine rechtliche Intervention ist möglich, falls der IStGH zur Ansicht kommt, dass die kolumbianische Justiz ihre Funktion nicht erfüllt hat, rasch Gerechtigkeit zu schaffen und umzusetzen. Die USA haben 25 % ihrer Finanzhilfe an den Nachweis der Verbesserung der Menschenrechtssituation gebunden. Sie haben aber auch ein Immunitätsabkommen mit Kolumbien geschlossen, das die Auslieferung von US-Bürgern, welche in Verbrechen verwickelt sind, die in die Zuständigkeit des IStGH fallen, verbietet.
Der IStGH ist mangels eigener zentraler Polizeigewalt auf die freiwillige Zusammenarbeit der kolumbianischen Behörden angewiesen. Die kolumbianische Justiz arbeitet aber derzeit eher daran, die direkte oder indirekte Verantwortlichkeit des Staates bei der großen Zahl der schweren Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, wie auch die dahinter steckenden Gründe und wirklichen Interessen, zu verschleiern.12
Die Regierung unter Uribe hat sich in der Erklärung von London im Juli 2003 dazu verpflichtet, die UN-Empfehlungen im Bereich der Menschenrechte zu erfüllen, kommt dieser Verpflichtung aber nicht nach. Sie beschließt eher Gesetzesprojekte, welche vom UN-Menschenrechtsbüro in Kolumbien vehement gerügt werden, wie beispielsweise die neuen Gesetze zur Straffreiheit paramilitärischer Truppenmitglieder.
Laut Amnesty International hat die Anti-Terror-Rhetorik die Gewaltspirale nur beschleunigt. Das "große Herz" schlägt jedenfalls nicht für die Menschenrechte.

Katharina Braig promoviert an der Humboldt Universität Berlin

Anmerkungen:

1 Vgl. Amnesty International Jahresbericht 2004.
2 Dies bedarf einer Verfassungsänderung; bisher dauerte die Amtszeit 4 Jahre ohne Möglichkeit der Wiederwahl.
3 Siehe Info-Kasten.
4 Diese wurden im August 2004 vom Verfassungsgericht aufgrund der erheblichen Befugniserweiterung der Exekutive für verfassungswidrig erklärt.
5 Hierbei handelt es sich um der Justiz unterstellte Beamte, die für die Erhebung und Sicherung von Beweisen, Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen etc. auf Anordnung von Staatsanwälten und Richtern zuständig sind.
6 So z.B. das umstrittene "Gesetz 684" vom 13. August 2002, welches in umkämpften Gebieten die Gewaltenteilung quasi aufhebt.
7 Vgl. Nachrichtendienst Lateinamerika e.V., Poonal Nr. 611; www.npla.de/poonal/p611.html.
8 Vgl. Zechmeister, David, Der Drogenkrieg, in: Forum Recht 2003, 48f.
9 Eine Beschränkung, die stark schwankt.
10 Vgl. Jahresbericht 2004 der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ask); www.kolumbien-aktuell.ch/Jahresberichte.html.
11 Vgl. Kolumbien-aktuell (ask), No. 393; http://www.kolumbien-aktuell.ch/kolumbien-aktuell/393.html.
12 Vgl. Kolumbien-aktuell (ask), No. 404; www.kolumbien-aktuell.ch/kolumbien-aktuell/404.html.

Literatur:

Azzellini, Dario / Kanzleitner, Boris, Das Unternehmen Krieg, 2003.
Azzellini, Dario / Zelik, Raul, Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung, 2000.

Internet:

www.kolumbien-aktuell.ch
www.lateinamerikanachrichten.de
www.npla.de/poonal