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Hartz IV in der Praxis   Heft 1/2006
Medien und Meinungsmacht

Seite 30
 
 

Ein Jahr nach dem Start von Hartz IV machen zwei Problemfelder den Betroffenen das Leben besonders schwer. Eine der grundsätzlichen Änderungen in der Gesetzgebung beinhaltet, dass kaum noch Einmalleistungen an ALG-II-EmpfängerInnen bezahlt werden. So können Betroffene heute kein Extra-Kleidergeld oder Geld für Einrichtungsgegenstände beantragen, sofern es sich nicht um eine Ersteinrichtung handelt. ALG-II-EmpfängerInnen werden deshalb in Merkblättern darauf hingewiesen, dass von dem erhaltenen Geld Rücklagen zu bilden sind, um Sonderausgaben finanzieren zu können. Im Fall einer Kontopfändung kann dies zu hohen Geldverlusten führen. Obwohl ALG-II- EmpfängerInnen seit dem 1. Januar 2005 darauf angewiesen sind, Geld anzusparen, wurden die Gesetzesregelungen zum Pfändungsschutz nicht geändert.
Das Amtsgericht Berlin-Neukölln geht daher unter Bezug auf die allgemeine Regel in § 55 Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) I, davon aus, dass das Geld der ALG-II-EmpfängerInnen wie andere Sozialleistungen auch lediglich innerhalb eines Monats seit Erhalt nicht gepfändet werden kann. Angespartes Geld ist demnach unbegrenzt pfändbar. Betroffene, welche das Jahr über sparen, um sich einen Wintermantel zu kaufen oder einen kaputten Fernseher zu ersetzen, können so auf einen Schlag ihr gesamtes Erspartes verlieren. Der Beschluss wurde am 20. Juni 2005 vom Landgericht Berlin bestätigt (Az.: 81 T 502/05), wobei das Gericht zur Begründung auf Literatur aus dem Jahre 2002 bezug nahm. Es scheint die dargestellte neue Gesetzeslage nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Eine Auslegung im Sinne des veränderten SGB II erfolgte somit nicht.
Ein anderes Problem in Berlin ist die schleppende Bearbeitung von Anträgen und die Schwierigkeit, die Behörden zur fristgemäßen Bearbeitung anzuhalten. So hat die Gesetzesumstellung dazu geführt, dass noch immer Anträge aus dem Jahr 2004 nicht bearbeitet sind. Auch Fortzahlungsanträge für ALG II werden nur schleppend bearbeitet. Obwohl aus dem zweiseitigen Antragsformular meistens lediglich hervor geht, dass sich nichts geändert hat, ist es insbesondere dem Jobcenter Neukölln nicht möglich, diese Anträge innerhalb einer Frist von drei Wochen zu bearbeiten. Einstweilige Anordnungen des Sozialgerichts führen häufig ebenfalls nicht zu einer Beschleunigung. Die RichterInnen teilen bei entsprechenden Anträgen mit, dass mit dem Jobcenter Neukölln schon einschlägige Erfahrungen gemacht worden seien. Theoretisch besteht zwar die Möglichkeit, die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1000 Euro zu beantragen. Auch dies führt aber leider nicht zu einer Beschleunigung. Es bleibt das persönliche Erscheinen, das vierstündige Warten, nach dem mensch dann eine Abschlagszahlung in Höhe von lediglich 100 Euro erhält.

Florian Gommel, Berlin