xxx

  Bilal Alkatout   Forum Recht Home

 

Durchgestrichenes Hakenkreuz verfassungswidrig?   Heft 2/2006
Zwischen Wir und Ich:
Europäische Idee und nationale Interessen
Seite 65
 
 

Die Beweiserhebung im Strafprozess durch richterlichen Augenschein erfolgt gemäß der gängigen Kommentierung über "jede sinnliche Wahrnehmung", also durch "Sehen, Hören, Riechen, Schmecken oder Fühlen". Bisweilen geschieht dies aber offensichtlich ohne zu denken.
So hat das Amtsgericht Tübingen im Falle des Politik- und Geschichtsstudenten Patrick H. einen auf den Rucksack gestickten Button mit durchgestrichenem Hakenkreuz als Verwenden eines verfassungswidrigen Kennzeichens nach § 86a Strafgesetzbuch interpretiert und den 21-Jährigen dazu verurteilt, 200 € an die Gedenkstätte Buchenwald zu zahlen. Den dicken Strich durch das Nazi-Symbol scheint das Gericht bei der Rechtsfindung jedoch nicht berücksichtigt zu haben. "Durchstreichen" bedeutet nämlich nicht nur umgangssprachlich, sondern auch dem Duden nach, etwas "ungültig zu machen". So hatten zumindest die Passanten in Tübingen, wo H. anlässlich einer Demo von der Polizei angezeigt wurde, kein Problem, den Aussagegehalt des Buttons richtigerweise als "eindeutig - eindeutig dagegen, gegen rechts, gegen Nazis" zu deuten.
Es ist zugunsten des Gerichts nicht zu unterstellen, dass es H. für einen verkappten Faschisten hielt. Vielmehr hatte es sich darauf versteift, dass es bei der Anwendung der Strafnorm nicht auf die Meinung des Trägers ankomme, sondern lediglich wie diese auf andere wirke. Wen das Amtsgericht Tübingen dabei im Hinterkopf hatte, ließ es ebenfalls durchblicken: "Japanische Touristen" und "normale Menschen". Von Letzteren lieferte es eine Definition gleich mit, das seien nämlich solche, die "sich nicht gezielt damit beschäftigt" hätten. Ob das eine wünschenswerte Normalität ist, soll mal dahingestellt bleiben. Zu Lasten des Gerichts ist jedoch in jedem Fall zu werten, dass es die Zielbestimmung des § 86a nicht verstanden hat. Das Amtsgericht folgt in seiner Entscheidung nämlich einer rein formalen Ausgrenzungslogik in Form einer abstrakten Tabuisierung, die jedes indizierte Zeichen, also auch das durchgestrichene, aus dem Blickfeld bannen möchte. Da der Strafparagraf das Spannungsverhältnis zur grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit jedoch ohnehin bereits in (un-)gehörigem Maße strapaziert, hätte bei seiner Anwendung der Äußerungs- und Handlungskontext unbedingt berücksichtigt werden müssen. Künstlerische Kritik, Diskurs und die eine moderne Gesellschaft prägende formale Offenheit der Kommunikation sind ansonsten nicht mehr gewährleistet. Dies hatte der Bundesgerichtshof bereits vor über 30 Jahren so entschieden.
So schön das Bild der Justitia mit Waage, Richtschwert und Augenbinde bisweilen auch sein mag, so sehr hätte man sich gewünscht, dass sie in diesem Fall doch etwas genauer hingesehen hätte.

Bilal Alkatout, Berlin