Strafvollzug als Reformprojekt In den vergangenen Jahren hat sich die Meinung über Strafvollzug und
Strafgefangene deutlich gewandelt und von der Aufbruchstimmung der 1970er
Jahre ist heute nichts mehr zu spüren. Damals wurde über weitreichende
Rechte der Gefangenen diskutiert, der damalige Bundespräsident Heinemann
sprach gar vom "Staatsbürger hinter Gittern". Und am 1.1.1977 trat nach
jahrelanger Diskussion das Strafvollzugsgesetz als eines der großen Reformprojekte
in Kraft, in dem eine Reihe von richtungsweisenden Grundsätzen für den
Vollzug der Freiheitsstrafe formuliert wurden. Hierzu gehören u.a. die
eindeutige Normierung eines Vollzugsziels in § 2 Strafvollzugsgesetz (StVollzG),
nämlich der Resozialisierung, und die Festlegung des offenen Vollzuges
als Regelvollzug in § 10 StVollzG. Beides entstammte einer Grundhaltung,
nach der in den StraftäterInnen nicht in erster Linie bedrohliche VerbrecherInnen
gesehen wurden, sondern Menschen, die Hilfe brauchen, um sich ohne Straftaten
in der Gesellschaft zurecht zu finden. Ein Vollzugsziel, oder zwei ? Zu den wichtigsten Grundideen des deutschen Strafvollzuges gehört die
Gewährung von Vollzugslockerungen (Ausführung, Ausgang, Freigang und Urlaub,
§§ 11, 13 StVollzG) als Teil der Entlassungsvorbereitung. Diese Maßnahmen
sind im Strafvollzug etwas Alltägliches und finden in der Regel weitgehend
unbeachtet und unbeanstandet statt. Tatsächlich verhalten sich die meisten
Täter/innen sowohl im Vollzug als auch in den Lockerungen vollkommen unauffällig,1
verbüßen ihre Strafzeit, um danach wieder in die Freiheit entlassen zu
werden. Problematisiert wird das Thema Lockerungen in der Regel nur dann,
wenn einE GefangeneR, der/die wegen einer Gewalt-, Sexual- oder Tötungsstraftat
verurteilt wurde, im Zuge der Entlassungsvorbereitung einschlägig rückfällig
wird. Dies betrifft aber nur eine verschwindend geringe Zahl aller gewährten
Lockerungsmaßnahmen - und aller Gefangenen. Die meisten BürgerInnen erleben
Strafvollzug jedoch nur in diesen Momenten des Scheiterns, mit der Folge,
dass hierdurch oftmals ein verzerrtes Bild von der Vollzugswirklichkeit
entsteht. Auf dieser Grundlage - einem Zu-Wenig an Informationen - wird
dann nach mehr Sicherheit und härteren Strafen verlangt. Resozialisierung versus Sicherheit Einige Bundesländer wollten dies ändern und so gab es 2003 auf Initiative des Landes Hessen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes3, mit dem Ziel, durch eine kleine Verschiebung - das Wort "Vollzugsziele" sollte nunmehr in Klammern an das Ende des zweiten Satzes gestellt werden - das Strafvollzugsgesetz und seine Grundgedanken vollständig zu verändern. Zu einer Verabschiedung dieses Gesetzes kam es jedoch nicht, unter anderem wohl auch aufgrund eines Missverständnisses, das in der Stellungnahme der Bundesregierung deutlich wird. Hier heißt es: "Der Entwurf verkennt, dass bereits nach geltender Gesetzeslage der Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten als gleichberechtigte Aufgabe neben dem Resozialisierungsgebot im Strafvollzugsgesetz verankert ist."4 Verkannt wird hierbei jedoch der eindeutige Wortlaut des Gesetzes. Gleichzeitig belegt dies aber, dass selbst in den Köpfen der Verantwortlichen schon heute - contra legem - der Sicherungsgedanke gleichrangig gesehen wird. Die Tragweite einer Änderung des § 2 StVollzG für den Sinn des Gesetzes wird dabei geflissentlich übersehen. Vom Niedergang der Vollzugslockerungen Vollzugslockerungen gehören zu den wichtigsten Maßnahmen der Resozialisierung,
gehen jedoch, wie auch eine Reihe neuerer wissenschaftlicher Studien zeigt,
in fast allen Bundesländern immer mehr zurück. Diese Entwicklung ist insofern
alarmierend, als eine Reduzierung der Lockerungen nachgewiesenermaßen
nicht geeignet ist, die Sicherheit der Bevölkerung zu fördern. Im Gegenteil
werden Gefangene, die Lockerungen erhalten haben und vorzeitig entlassen
werden, gerade weniger oft rückfällig als jene, die ihre Strafe bis zum
Ende verbüßen. Strafvollzug als Landesrecht? Die dargestellten Entwicklungen sind in gewissem Sinn nur Wegbereiter
für eine Maßnahme gewesen, die von der Wissenschaft zunächst nahezu unbeachtet
geblieben ist, und erst mit Verspätung zu Reaktionen geführt hat:10 die
Verlagerung des Strafvollzugsrechts von der Bundes- in die Landeskompetenz
im Rahmen der Reformvorschläge der Föderalismuskommission. Nachdem unter
Bund und Ländern hierüber vergleichsweise schnell Einigkeit herrschte,
hatten es insbesondere Hessen und Hamburg sehr eilig damit, zu verkünden,
sie würden ein landeseigenes Strafvollzugsgesetz erlassen, sobald dies
möglich sei. Andere Länder suchten nach einem Kompromiss: Landeskompetenz
ja, aber man solle sich - wie dies z.B. bei den bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften
zum Strafvollzugsgesetz seit vielen Jahren erfolgreich geschieht - auf
eine gemeinsame Basis einigen. Schleswig-Holstein scherte als einziges
Land aus und sprach sich offen gegen die Herausnahme des Strafvollzugs
aus der Bundesgesetzgebung aus. Das letzte Wort scheint hier jedoch noch
nicht gesprochen, denn zwischenzeitlich mehren sich die kritischen Stimmen.
Als problematisch erweisen sich hier auch Jugendstrafvollzug und Untersuchungshaftvollzug,
die bislang gesetzlich gar nicht geregelt sind. Noch im Koalitionsvertrag
wurde das Erfordernis gesehen, hierzu entsprechende Bundesgesetze zu schaffen11
und unlängst hat das BVerfG hierzu ein Machtwort gesprochen12: die gegenwärtige
ungeregelte Situation ist nur noch für eine Übergangszeit bis Ende 2007
hinnehmbar. Spätestens dann ist der Jugendstrafvollzug durch eigenes Gesetz
zu regeln. Wer dies regeln wird hängt dabei maßgeblich davon ab, wer auch
die Gesetzgebungskompetenz im Erwachsenenstrafvollzug hat; die ersten
Länder haben entsprechende Regelungen schon angekündigt. Was sind gefährliche TäterInnen? Einst mit Verfassungsrang14 ausgestattet läuft der Resozialisierungsgedanke heute Gefahr, ganz hinter den Aspekt des "Schutzes der Allgemeinheit" zurückzutreten. Bei der Diskussion um mehr Schutz vor gefährlichen StraftäterInnen drängt sich auch die Frage auf, wie Gefährlichkeit bemessen werden soll, und wer bestimmt, vor welchen TäterInnen (also bei welchen Straftaten) die Gesellschaft besonders geschützt werden muss. Wer nach Sicherheit durch Wegsperren verlangt, öffnet leicht ein Fass ohne Boden. Konsens kann vermutlich am leichtesten bei Sexualstraftätern und bei gewalttätigen WiederholungstäterInnen erzielt werden. Aber schon bei Tötungsdelikten wird es schwierig, weil hier die WissenschaftlerInnen Einspruch erheben könnten, da Menschen, die einmal im Affekt getötet haben, gerade kein hohes Wiederholungsrisiko aufweisen. Und im anderen Extrem haben Untersuchungen belegt, dass Opfer von Wohnungseinbruchdiebstählen oftmals nach der Tat unter einem besonders intensiven Traumaerleben leiden. Kann ein solches Opfererleben zum Maßstab werden, die Gesellschaft auch vor solchen TäterInnen schützen zu müssen? Sicher nicht, denn aus juristischer Sicht ist eine solche Maßnahme unverhältnismäßig und mit dem Schuldprinzip unseres Strafrechts unvereinbar. Entlassung in die Freiheit als Risko? Für die überwiegende Zahl der TäterInnen gilt mithin, dass ihre Strafe
zeitlich begrenzt ist und sie sich danach wieder in der Freiheit zurecht
finden müssen. Hierauf muss der Vollzug sie vorbereiten und darf nicht
bloß "wegschließen". Das heißt unter Umständen auch, bei der Gewährung
von Lockerungen etwas zu riskieren und zu erproben, wie sich der/die Gefangene
"draußen" zurechtfindet. Anderenfalls würde einE GefangeneR mit dem Ende
ihrer/seiner Strafzeit unvorbereitet - und zumeist auch ohne entsprechende
Zukunftsperspektive - wieder in die Freiheit entlassen und das Risiko,
dass er/sie in alte Verhaltensmuster oder die alte Szene zurückfällt,
wäre umso größer. Strafvollzug ist letztlich immer nur so erfolgreich,
wie die Maßnahmen, die ergriffen werden, um den/die TäterIn auf ein straffreies
Leben in Freiheit vorzubereiten. Kai Bammann ist Diplom-Kriminologe und Jurist, zur Zeit Mitarbeiter am Strafvollzugsarchiv an der Universität Bremen Anmerkungen: 1 Ausführlich nachgewiesen z.B. von Harling, Anja v., Missbrauch von
Vollzugslockerungen zu Strafttaten, 1997. |