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Wer die gesetzgeberischen Neuerungen im Strafrecht der letzten Jahre
beobachtet, muss befremdet feststellen, dass zahlreiche "Reformen" mehr
Schaden anrichten als sie nutzen. In diese Reihe von kriminalpolitisch
fragwürdigen Neuerungen reihen sich nahtlos die jüngsten Überlegungen
des Bundesjustizministerium ein, die ausgelaufene Kronzeugenregelung aus
der Ära Kohl in erweiterter Form wieder zu beleben.
Anfang April 2006 legte Bundesjustizministerin Zypries den Koalitionsfraktionen
von CDU/ CSU und SPD ein entsprechendes "Eckpunkte-Papier" vor.1 Die Wiedereinführung
der Kronzeugenregelung war bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen, nachdem
mehrere Gesetzesentwürfe der CDU/CSU unter Rot/Grün keine Mehrheit fanden.2
Die Figur des/der KronzeugIn kommt aus dem englischen Strafverfahren.
KronzeugIn ist, wer für die Anklage, die im Prozess die Krone repräsentiert,
als BelastungszeugIn auftritt, obwohl er/sie selbst der Beteiligung an
der angeklagten Straftat verdächtig oder überführt ist. Als Gegenleistung
wird den KronzeugInnen zugesichert, nicht oder nur wegen einer milderen
Straftat angeklagt zu werden. Die Kronzeugenregelung ist im heutigen Haupt-
und Nebenstrafrecht noch in einzelnen Regelungen z.B. im Betäubungsmittelstrafrecht
(§ 31 BtMG) und bei der Geldwäsche (§ 261 Abs. 10 StGB) enthalten. Im
Unterschied zur heutigen Rechtslage und zum ausgelaufenen Kronzeugengesetz
soll die künftige Kronzeugenregelung sich nicht auf bestimmte Delikte
beschränken, sondern als allgemeine Strafzumessungsregel im Strafgesetzbuch
festgelegt werden.
Rechtsstaatliche Bedenken
Das zeitlich auf zehn Jahre befristete Kronzeugengesetz war am 31.12.1999
ausgelaufen. Dies ist auch gut so, da die Kronzeugenregelung erheblichen
rechtsstaatlichen Bedenken ausgesetzt ist. Im deutschen Strafprozess gilt
das Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO). Dieses soll gewährleisten,
dass Personen, die gegen Strafgesetze verstoßen, ausnahmslos "ohne Ansehen
der Person" für ihr Verhalten zur Verantwortung gezogen werden. Das Legalitätsprinzip
soll Strafgleichheit und damit Strafgerechtigkeit gewährleisten. Es ist
inzwischen durch zahlreiche Opportunitätsvorschriften in den §§ 153 ff.
StPO relativiert worden, sollte jedoch zumindest im Bereich schwerer Kriminalität
uneingeschränkt gelten. Es wird ausgehebelt, wenn sich überführte StraftäterInnen
- im Unterschied zu anderen Tatbeteiligten - nachträglich selbst bei schwersten
Gewalttaten durch fragwürdige Deals freikaufen können.
Rechtfertigungsversuche
Damit einhergehend stellt sich die grundsätzliche Frage, wie ein solcher
Strafverzicht strafrechtsdogmatisch gerechtfertigt werden könnte. Die
Rechtsfigur des Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB passt auf KronzeugInnen,
die wegen eines vollendeten Delikts in die "Fänge" der Strafverfolgungsorgane
geraten, ebenso wenig wie der Strafmilderungs- und -aufhebungsgrund der
"tätigen Reue", welcher bei einigen Straftatbeständen z.B. bei Brandstiftungsdelikten
(§ 306e StGB) honoriert, dass der/die TäterIn freiwillig alles unternimmt,
damit kein erheblicher Schaden entsteht. Bei den KronzeugInnen ist im
Regelfall nämlich nicht Reue, sondern die Vergünstigung alleiniges Motiv
der Fremdbelastung. Die Kronzeugenregelung ist eine Strafmilderung "an
der Schuld des Täters vorbei" und steht damit im Wiederspruch zu § 46
Abs. 1 StGB, wonach die Schuld Grundlage der Strafzumessung ist.3
Wie so oft kann für diese Regelung keine andere Begründung angeführt werden,
als dass diese scheinbar nützlich ist. KronzeugInnen sollen weitere Aufklärungsarbeit
ersparen oder helfen, bisher nicht zweifelsfrei überführte Angeklagte
verurteilen zu können. Die bisherigen Erfahrungen lassen am Erfolg der
Kronzeugenregelung jedoch erhebliche Zweifel aufkommen. Die jüngeren Terroristenprozesse
gegen Mitglieder der RAF und der Revolutionären Zellen zeigen, dass es
mit der Wahrheitsliebe von Angeklagten, die hoffen, sich auf Kosten der
Mitangeklagten statt einer drohenden langen Freiheitsstrafe die Freiheit
erkaufen zu können, nicht weit bestellt ist.4 Hier hatte man nicht selten
den Eindruck, dass sich die Strafrechtspflege von munter drauflos flunkernden
KronzeugInnen an der Nase herumführen lässt. Die Verführungskraft eines
erheblichen Straferlasses bis zum völligen Strafverzicht ist so stark,
dass Straftäter zur falschen Beschuldigung anderer geradezu eingeladen
werden. Eine Verschärfung der Strafen für falsche Verdächtigungen, wie
vom Bundesjustizministerium vorgeschlagen, kann hieran wenig ändern. Eine
Strafrechtspflege, die den Anspruch hat, gerechte Urteile zu fällen, wäre
gut beraten, auf solche dubiosen Beweismittel zu verzichten. Es ist nicht
auszuschließen, dass falsche Behauptungen von KronzeugInnen dazu führen,
dass Unschuldige verurteilt werden. Selbst wenn die Kronzeugenregelung
in einigen Einzelfällen wesentlich zur Aufklärung von schweren Straftaten
beigetragen haben sollte, sind die gegen sie bestehenden Bedenken so gravierend,
dass ein Verzicht auf die vom Bundesjustizministerium vorgeschlagenen
Neuerungen und eine Streichung der heute geltenden gesetzlichen Regelungen
dingend geboten ist.
Tobias Mushoff lebt in Bielefeld und freut sich über Anregungen
und Kritik.
Anmerkungen:
1 Frankfurter Rundschau v. 11.4.2006.
2 Z.B. BT-Drucks. 15/ 2333 v. 13.1.2004.
3 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 1991, 180.
4 Fezer, Gerhard, Kronzeugenregelung und Amtsaufklärungsgrundsatz, FS
für Lenckner, 1998, S.681ff.; Neuber, Harald, Freitag v. 11.11.2005.
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