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Ein fragwürdiger Handel mit der Gerechtigkeit   Heft 3/2006
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Kriminalpolitik
Seite 80
Zur geplanten Neuauflage der Kronzeugenregelung  
 

Wer die gesetzgeberischen Neuerungen im Strafrecht der letzten Jahre beobachtet, muss befremdet feststellen, dass zahlreiche "Reformen" mehr Schaden anrichten als sie nutzen. In diese Reihe von kriminalpolitisch fragwürdigen Neuerungen reihen sich nahtlos die jüngsten Überlegungen des Bundesjustizministerium ein, die ausgelaufene Kronzeugenregelung aus der Ära Kohl in erweiterter Form wieder zu beleben.
Anfang April 2006 legte Bundesjustizministerin Zypries den Koalitionsfraktionen von CDU/ CSU und SPD ein entsprechendes "Eckpunkte-Papier" vor.1 Die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung war bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen, nachdem mehrere Gesetzesentwürfe der CDU/CSU unter Rot/Grün keine Mehrheit fanden.2 Die Figur des/der KronzeugIn kommt aus dem englischen Strafverfahren. KronzeugIn ist, wer für die Anklage, die im Prozess die Krone repräsentiert, als BelastungszeugIn auftritt, obwohl er/sie selbst der Beteiligung an der angeklagten Straftat verdächtig oder überführt ist. Als Gegenleistung wird den KronzeugInnen zugesichert, nicht oder nur wegen einer milderen Straftat angeklagt zu werden. Die Kronzeugenregelung ist im heutigen Haupt- und Nebenstrafrecht noch in einzelnen Regelungen z.B. im Betäubungsmittelstrafrecht (§ 31 BtMG) und bei der Geldwäsche (§ 261 Abs. 10 StGB) enthalten. Im Unterschied zur heutigen Rechtslage und zum ausgelaufenen Kronzeugengesetz soll die künftige Kronzeugenregelung sich nicht auf bestimmte Delikte beschränken, sondern als allgemeine Strafzumessungsregel im Strafgesetzbuch festgelegt werden.

Rechtsstaatliche Bedenken

Das zeitlich auf zehn Jahre befristete Kronzeugengesetz war am 31.12.1999 ausgelaufen. Dies ist auch gut so, da die Kronzeugenregelung erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken ausgesetzt ist. Im deutschen Strafprozess gilt das Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO). Dieses soll gewährleisten, dass Personen, die gegen Strafgesetze verstoßen, ausnahmslos "ohne Ansehen der Person" für ihr Verhalten zur Verantwortung gezogen werden. Das Legalitätsprinzip soll Strafgleichheit und damit Strafgerechtigkeit gewährleisten. Es ist inzwischen durch zahlreiche Opportunitätsvorschriften in den §§ 153 ff. StPO relativiert worden, sollte jedoch zumindest im Bereich schwerer Kriminalität uneingeschränkt gelten. Es wird ausgehebelt, wenn sich überführte StraftäterInnen - im Unterschied zu anderen Tatbeteiligten - nachträglich selbst bei schwersten Gewalttaten durch fragwürdige Deals freikaufen können.

Rechtfertigungsversuche

Damit einhergehend stellt sich die grundsätzliche Frage, wie ein solcher Strafverzicht strafrechtsdogmatisch gerechtfertigt werden könnte. Die Rechtsfigur des Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB passt auf KronzeugInnen, die wegen eines vollendeten Delikts in die "Fänge" der Strafverfolgungsorgane geraten, ebenso wenig wie der Strafmilderungs- und -aufhebungsgrund der "tätigen Reue", welcher bei einigen Straftatbeständen z.B. bei Brandstiftungsdelikten (§ 306e StGB) honoriert, dass der/die TäterIn freiwillig alles unternimmt, damit kein erheblicher Schaden entsteht. Bei den KronzeugInnen ist im Regelfall nämlich nicht Reue, sondern die Vergünstigung alleiniges Motiv der Fremdbelastung. Die Kronzeugenregelung ist eine Strafmilderung "an der Schuld des Täters vorbei" und steht damit im Wiederspruch zu § 46 Abs. 1 StGB, wonach die Schuld Grundlage der Strafzumessung ist.3
Wie so oft kann für diese Regelung keine andere Begründung angeführt werden, als dass diese scheinbar nützlich ist. KronzeugInnen sollen weitere Aufklärungsarbeit ersparen oder helfen, bisher nicht zweifelsfrei überführte Angeklagte verurteilen zu können. Die bisherigen Erfahrungen lassen am Erfolg der Kronzeugenregelung jedoch erhebliche Zweifel aufkommen. Die jüngeren Terroristenprozesse gegen Mitglieder der RAF und der Revolutionären Zellen zeigen, dass es mit der Wahrheitsliebe von Angeklagten, die hoffen, sich auf Kosten der Mitangeklagten statt einer drohenden langen Freiheitsstrafe die Freiheit erkaufen zu können, nicht weit bestellt ist.4 Hier hatte man nicht selten den Eindruck, dass sich die Strafrechtspflege von munter drauflos flunkernden KronzeugInnen an der Nase herumführen lässt. Die Verführungskraft eines erheblichen Straferlasses bis zum völligen Strafverzicht ist so stark, dass Straftäter zur falschen Beschuldigung anderer geradezu eingeladen werden. Eine Verschärfung der Strafen für falsche Verdächtigungen, wie vom Bundesjustizministerium vorgeschlagen, kann hieran wenig ändern. Eine Strafrechtspflege, die den Anspruch hat, gerechte Urteile zu fällen, wäre gut beraten, auf solche dubiosen Beweismittel zu verzichten. Es ist nicht auszuschließen, dass falsche Behauptungen von KronzeugInnen dazu führen, dass Unschuldige verurteilt werden. Selbst wenn die Kronzeugenregelung in einigen Einzelfällen wesentlich zur Aufklärung von schweren Straftaten beigetragen haben sollte, sind die gegen sie bestehenden Bedenken so gravierend, dass ein Verzicht auf die vom Bundesjustizministerium vorgeschlagenen Neuerungen und eine Streichung der heute geltenden gesetzlichen Regelungen dingend geboten ist.

Tobias Mushoff lebt in Bielefeld und freut sich über Anregungen und Kritik.

Anmerkungen:

1 Frankfurter Rundschau v. 11.4.2006.
2 Z.B. BT-Drucks. 15/ 2333 v. 13.1.2004.
3 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 1991, 180.
4 Fezer, Gerhard, Kronzeugenregelung und Amtsaufklärungsgrundsatz, FS für Lenckner, 1998, S.681ff.; Neuber, Harald, Freitag v. 11.11.2005.