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Aktive Sterbehilfe ist ein Irrweg   Heft 3/2006
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Kriminalpolitik
Seite 79
 
 

(s. auch den Infokasten zum Begriff Sterbehilfe)

Für die BefürworterInnen der aktiven Sterbehilfe darf das in der kulturellen Entwicklung der Menschheit tief verankerte Tötungsverbot nicht uneingeschränkt gelten. Die Würde des Menschen gebiete die Tötung, wenn er sich seinem Lebensende nähert, unerträgliche Schmerzen erleidet und die Tötung von Dritten verlangt. Indem man Autonomie und Selbstbestimmung des Menschen als zentrales Argument für die Sterbehilfe bemüht, nimmt man direkten Bezug auf die Ziele der Aufklärung. Der Mensch soll aus einer (angeblichen) Unmündigkeit befreit werden, indem er zum Herrn über den Tod erklärt wird. Dabei traut man ihm den richtigen Umgang mit dieser neu gewonnen Freiheit offenbar nicht zu. Anders lassen sich die Bedingungen, die an die Erlaubnis zur aktiven Sterbehilfe geknüpft werden, nicht erklären. Noch verständlich mag sein, dass zumindest auf dem Papier hohe Anforderungen an die Gesundheit des Geistes der Sterbewilligen und die Autonomie der Entscheidung gestellt werden. Aber weshalb müssen die zum Suizid entschlossenen unheilbar erkrankt sein und unerträgliche Schmerzen erleiden? Wieso muss dies ärztlich bescheinigt werden? Man stelle sich Situationen vor, in denen Sterbewillige nach subjektivem Empfinden unerträgliche Schmerzen erleiden, von ärztlicher Seite allerdings mitgeteilt bekommen, dass dem nicht so sei und daher dem Todeswunsch leider nicht nachgekommen werden könne. Die Erfahrungen mit der legalisierten Sterbehilfe in Holland zeigen, dass solche Vorgänge keinesfalls die Ausnahme darstellen. Ist das die Selbstbestimmung des Menschen, wie sich die BefürworterInnen der Sterbehilfe diese vorstellen?

Die Erfahrungen mit der staatlich anerkannten aktiven Sterbehilfe in Holland bzw. der organisierten passiven Sterbehilfe in der Schweiz sind aber noch aus anderen Gründen höchst aufschlussreich. So hat etwa die "Schweizer Akademie für medizinische Wissenschaften" im Juni 2003 entgegen ihrer bisherigen Position ÄrztInnen empfohlen, an der Vorbereitung zum Suizid mitzuwirken. Begründet wird dies mit dem demographischen Wandel, der eine Rationierung der für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden Ressourcen unerlässlich mache. Die Nähe zum sozialdarwinistischen Gedankengut um 1900 ist unverkennbar, auch wenn nicht mehr der "gesunde Volkskörper", sondern der Sachzwang der Ökonomie die theoretische Basis bildet. Anonyme Umfragen unter holländischen ÄrztInnen ergaben, dass pro Jahr ca. 900 Menschen zumindest ohne ihre ausdrückliche Einwilligung legal getötet werden. Dabei berufen sich die ÄrztInnen nicht auf den mutmaßlichen Willen der Getöteten, sondern auf die in ihren Augen fehlende Lebensqualität und auf die Überlastung der Angehörigen.

Keine Pflicht zum Leben

Es soll an dieser Stelle nicht bestritten werden, dass die technischen Möglichkeiten der Intensivmedizin die Gesellschaft zwingen, Antworten auf Fragen zu finden, die in der bisherigen kulturgeschichtlichen Entwicklung ohne Vorbild sind. Das Recht auf Leben scheint zumindest für BürgerInnen mit europäischem Pass erstmals schrankenlos gesichert. Man beginnt sich zu fragen, ob mit diesem Recht auch eine Pflicht zu leben korrespondiert. Eine solche normiert der deutsche Gesetzgeber jedenfalls nicht, denn der Suizid ist grundsätzlich straflos. Selbst die aktive Sterbehilfe ist gemäß § 216 StGB "nur" mit einer Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren bewehrt. "Nur", weil bereits ein Wohnungseinbruch deutlich strenger bestraft werden kann.
Zwei Gesichtspunkte rechtfertigen letztlich das Verbot der aktiven Sterbehilfe. Zunächst besteht selbstverständlich ein Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Spricht man über passive Sterbehilfe, ist in jedem Fall vorausgesetzt, dass die zum Tode entschlossenen die letzte kausale Handlung selbst ausführen, ihre Körper aus eigener Kraft nicht mehr lebensfähig sind und keine Aussicht auf Besserung besteht oder die PatientInnen in einer rechtlich verbindlichen Erklärung niedergelegt haben, ab welchem Zeitpunkt sie auf eine Heilbehandlung verzichten. Alles Fälle, in denen eine Entscheidung gegen den Willen der PatientInnen ausgeschlossen bzw. der Lauf der Dinge nicht mehr beeinflussbar ist. Jede noch so fein austarierte Regelung zur aktiven Sterbehilfe kann dies nicht gewährleisten. Vielmehr wird sie Menschen in Versuchung führen, die Regelung zu missbrauchen, sei es auch im Namen des Mitleides. Dieses Gefühl sagt allerdings mehr über die begrenzte Fähigkeit der Person aus, fremdes Leid zu ertragen, als es ein Messgrad für die Lebensqualität ist, wie sie die Leidenden empfinden.
Grundsätzlicher ist aber die Frage, ob der schnelle saubere Tod tatsächlich eine humane Lösung darstellt. Die Erfahrungen in sog. Sterbehospizen zeigen das Gegenteil. Dort steht nicht mehr die Heilung im Vordergrund, sondern es wird Sterbenden durch den Einsatz palliativer Medizin die Möglichkeit gegeben, sich so schmerzfrei wie möglich auf den Tod vorzubereiten und in angemessener Atmosphäre Abschied von der Welt zu nehmen. Die Bitte nach Sterbehilfe wird von den dort behandelten PatientInnen nur sehr selten geäußert. Die Diskussion um die Sterbehilfe täuscht nämlich über einen Punkt hinweg. Es geht weniger um metaphysische Fragen, als um ganz konkrete Sorgen. Die Angst, Schmerzen zu erleiden, im Todeszeitpunkt allein und verlassen in der mechanisch-trostlosen Umgebung eines Krankenhauses zu sein oder den Angehörigen zur unerträglichen Last zu werden. Auf diese Sorgen müssen Antworten gefunden werden. Die aktive Sterbehilfe ist keine, sondern entzieht der Antwort die Basis.

Philipp Gehrmann promoviert in Berlin