Jan Gallert | ![]() |
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Regeln statt Strafen | Heft
3/2006 Ausschließen durch Einschließen: Kriminalpolitik Seite 78 |
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Für eine Regelung nach dem Vorbild der Niederlande |
(s. auch den Infokasten zum Begriff Sterbehilfe) Wenn über eine Sterbehilferegelung gestritten wird, geht es nicht nur
um die Autonomie des sterbewilligen Patienten und den Schutz derer, die
nicht sterben wollen. Aus juristischer Sicht geht es zunächst einmal um
die Strafbarkeit des Arztes/der Ärztin, der/die eine Tötung auf Verlangen
(§ 216 StGB) begeht. Die Frage, die sich dabei stellt, ist nicht die,
ob sich der Einzelne richtig verhält, wenn er darum bittet, getötet zu
werden, oder ob MedizinerInnen das Richtige tun, wenn sie einer solchen
Bitte nachkommen. Die Frage ist vielmehr, ob der Staat legitimiert ist,
die Sterbehilfe zu kriminalisieren. Keine Angst vor dem Dammbruch I: Die empirische Variante Zum einen wird die empirische Variante der Dammbruchgefahr beschworen:
Auch wenn ein Gesetz die aktive Sterbehilfe nur in angemessen Schranken
zulässt, führt nicht die Erlaubnis selbst dazu, dass sich in der Praxis
Fälle von aktiver Sterbehilfe außerhalb dieser Schranken häufen? Führt
die Legalisierung aktiver Sterbehilfe, die auf dem freien Willen der PatientInnen
beruht, zu aktiver Sterbehilfe ohne oder gegen deren Willen? Wenn Sterbehilfe
als äußerstes Mittel zugelassen wird, wird sie nicht auch als Alternative
zu anderen medizinischen Maßnahmen eingesetzt werden? Keine Angst vor dem Dammbruch II: Die konzeptionelle Variante Daneben gibt es die konzeptionelle Variante der Dammbruchgefahr: Wenn wir heute bereit sind, Sterbehilfe nur unter strengen Voraussetzungen zu legalisieren, werden nicht unter dem Eindruck der veränderten Rechtslage unsere Vorstellungen von zulässiger Sterbehilfe aufweichen? Werden wir dann bald geringere Standards akzeptieren, die schließlich zu einem noch liberaleren Recht führen? Auch hier räumt ein Blick nach Holland Bedenken aus. Umfragen haben ergeben, dass den HolländerInnen zwei Prinzipien wichtig sind: die Autonomie des Patienten und die Behebung von Leiden3. Diese Prinzipien begrenzen sich gegenseitig. Nach Vorstellung der HolländerInnen ist die Tötung eines Kranken, der seinen Tod nicht will, unzulässig, auch wenn seine Leiden so beendet werden könnten. Hier wirkt das Prinzip Autonomie als begrenzender Faktor. Andersherum sorgt das Prinzip Behebung von Leiden dafür, dass nicht jedes Tötungsverlangen als legitim empfunden wird, auch wenn so die Autonomie des Patienten gestärkt würde. Es ist also nicht zu befürchten, dass eine Legalisierung von Sterbehilfe unter strengen Voraussetzungen eine Erosion der ethischen Vorstellungen und gesetzlichen Regelungen bezüglich anderer Tötungen zur Folge haben würde. Ein besonderer Rechtfertigungsgrund Dem Artikel 293 des niederländischen Strafgesetzbuches, dem Pendant zum deutschen § 216 StGB, wurde ein zweiter Absatz hinzugefügt, nach dem ÄrztInnen rechtmäßig handeln, wenn sie unter genau festgelegten Voraussetzungen Sterbehilfe leisten. Diesem Beispiel sollte der deutsche Gesetzgeber folgen. Dabei bietet sich auch die Gelegenheit, die genauen Voraussetzungen der Sterbehilfe zu definieren und effektive Kontrollmechanismen - nicht unbedingt nach dem Vorbild der Niederlande - zu installieren. Denn auch wenn die potentiellen Gefahren einer Legalisierung nicht ausreichen, um die Kriminalisierung der Sterbehilfe zu rechtfertigen, so handelt es sich doch zweifelsohne um einen äußerst regelungsbedürftigen Bereich. Jan Gallert studiert Jura in Hamburg Anmerkungen: 1 Elena Fischer: Recht auf Sterben?!, 2004, 176. |