xxx

  Joachim Häfele und Christian Schlepper   Forum Recht Home

 

Die attraktive Stadt und ihre Feinde   Heft 3/2006
Ausschließen durch Einschließen:
Kriminalpolitik
Seite 76-77
Neue Trends in der Hamburger Verdrängungspraxis  
 

Die Diskussion um den Erlass eines Bettelverbotes in der Hamburger Innenstadt kann in diesem Jahr ihr 10-jähriges Jubiläum feiern. Mit dem ersten "Bettlerpapier", das 1996 als Senatsdrucksachenentwurf unter dem Titel "Maßnahmen gegen die Unwirtlichkeit der Stadt" an die Öffentlichkeit gelangte, forderte der Hamburger Senat völlig unverblümt eine repressive Kontrollpraxis gegen "aggressive" Bettler, Obdachlose und andere Subgruppen in der Hamburger City. Aufgrund der massiven öffentlichen Kritik an den teilweise menschenfeindlichen Äußerungen, wurde diese Drucksache zwar zunächst wieder zurückgezogen, in den darauf folgenden Jahren jedoch durch drei weitere Bettlerpapiere ersetzt, die dem ersten in nichts nachstanden. Zwar nahm die Zahl der Platzverweise und entsprechender Orte, die für Angehörige bestimmter Gruppen zu "no-go-areas" erklärt wurden (z.B. der Vorplatz am Hamburger Hauptbahnhof), in den vergangenen Jahren exorbitant zu1. Das Vorhaben einer bettelfreien City konnte bisher jedoch nicht durchgesetzt werden. Daran konnte auch die jüngst durch Politik und Medien entfachte Debatte um eine vermeintliche Bedrohung der Hamburger Innenstadt durch organisierte "Bettlerbanden" aus Osteuropa nichts ändern. Anfang 2006 läutete die Hamburger Handelskammer - unterstützt durch den Innensenator und Ex-Polizeipräsident Nagel - mit einem Positionspapier für ein Bettelverbot in der Innenstadt eine neue Runde im Kampf gegen die "Unwirtlichkeit der Stadt" ein2. Aktueller Anlass ist das Großereignis Fußballweltmeisterschaft, zu dem sich die "Visitenkarten" und "Aushängeschilder" der Metropole von ihrer besten Seite zeigen sollen und das bedeutet möglichst frei von unerwünschten Submilieus bzw. sichtbaren Erscheinungsformen von Armut. Ihre (scheinbare) Legitimation zur "Beseitigung" entsprechender Personen und/oder Gruppen ziehen die verantwortlichen Akteure immer wieder aus populärwissenschaftlichen Konzepten wie der sog. "Broken-Windows-Theorie"3 oder der New Yorker "Zero-Tolerance"-Strategie, ein Polizeimodell, das sich auf die Grundannahmen dieser "Theorie" stützt. Folgt man diesem Modell, so sind Bettler, Obdachlose, Drogenabhängige oder einfach nur herumstehende Teenager symbolisch nichts anderes, als die kaputten Fensterscheiben, die, wenn nicht schnell beseitigt, dem Bürger Angst machen, schwere Kriminalität anziehen und schließlich im Rahmen einer Spirale des Verfalls, zum völligen Niedergang des Stadtteils führen würden4.

Vor dem Hintergrund solcher Vorstellungen findet - insbesondere seit Anfang der 90er Jahre - eine grundlegende Umdefinierung des öffentlichen Raumes statt: Im politischen und medialen Diskurs gelten öffentliche urbane Räume zunehmend als nicht kontrollierbare "gefährliche Räume", während segregierte Binnenräume wie Shopping-Malls, Einkaufspassagen, verpachtete Fußgängerzonen oder die privatisierten innerstädtischen Bahnhöfe und deren Vorplätze als "sicher" gelten. Geht es innerhalb der privatisierten Einkaufszentren oder Shopping-Bahnhöfe vor allem darum, sie von einer "feindlichen Außenwelt" abzuschirmen, so gelten die innerstädtischen Einkaufsmeilen oder die Bahnhofsvorplätze als umkämpfte Territorien, in denen mit Hilfe einer rigiden Verdrängungspraxis eine selektive soziale Homogenität hergestellt werden soll. Gemeinsam ist diesen Räumlichkeiten, dass sie eine Art von Öffentlichkeit herstellen, die sich stark am Mythos einer heilen Kleinstadt orientiert.

Neue Akteure für "Sicherheit und Ordnung"

Um diese konservativen Ordnungsvorstellungen durchzusetzen, wurde 2003 der Städtische Ordnungsdienst (SOD) etabliert. Aufgabe des SOD (heute BOD = Behördlicher Ordnungsdienst) ist es, "durch die Feststellung ordnungswidrigen Verhaltens die Sicherheit und Sauberkeit in der Hansestadt Hamburg zu verbessern und der Verwahrlosung öffentlicher und privater Flächen entgegenzuwirken"5. Parallel zum BOD, der mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet ist (u.a. dürfen Personalien aufgenommen werden, Bußgelder verhängt sowie Platzverweise ausgesprochen und durchgesetzt werden), existiert inzwischen eine ganze Reihe von "Projekten", innerhalb derer Langzeitarbeitslose durch "Ein-Euro-Jobs"6 in den Kampf gegen Schmutz und Unsicherheit geschickt werden. Den Anfang dieser prekären Entwicklung machten von 1998 bis 1999 die "City Ranger", die im Stadtteil Hamburg-Harburg ihren Patrouillendienst verrichteten. Seit Anfang 2001 sind die Mitarbeiter des Projekts "City Service" in der Innenstadt auf "Streife". Das jüngste dieser Projekte, das sich in seiner Selbstdarstellung explizit auf den Broken-Windows-Ansatz bezieht, stellt das "Strandläufer-Projekt" dar, in dem 30 Mitarbeiter seit 2005 ihren "Patrouillen-Dienst" am Hamburger Elbstrand verrichten. Durch die Einführung solcher Nonprofit-Sicherheitsdienste hat sich ein neuer Kontrollakteur im öffentlichen Raum etabliert, dessen Legitimation ungeklärt ist7. Neben solchen (personellen) Maßnahmen wird immer stärker auch auf den Einsatz von technischen Mitteln zur Vertreibung unliebsamer Personen zurückgegriffen. Durch die jüngste Novellierung des Hamburger Polizeigesetzes konnte der Einsatz von Überwachungskameras im öffentlichen Raum - immer unter Berufung auf eine angeblich verloren gegangene "Sicherheit" - weiter ausgedehnt werden. So wird die Reeperbahn seit Anfang des Jahres flächendeckend videoüberwacht. Die Installation von Kameras an weiteren sog. "Brennpunkten" ist bereits geplant.

Urbane Räume in der Kontrollgesellschaft

Die Vorherrschaft des Marktprinzips, das sich auf städtischer (lokaler wie globaler) Ebene als so genannter "Kampf um Standortvorteile" ausweist, hat inzwischen dazu geführt, dass sich "Sicherheit" gleichsam zu einem wichtigen "weichen Standortfaktor" entwickelt hat8. Im Vordergrund steht dabei jedoch nicht etwa die Sicherheit, einen Arbeitsplatz zu bekommen oder sozial abgesichert zu sein. Im Kern zielen die Maßnahmen und Programme zur Herstellung von "Sicherheit und Ordnung" vielmehr auf die Rückeroberung der innerstädtischen Räume als einer ökonomisch zunehmend wichtigen Territorialität: Die Innenstädte sollen sich jetzt als "Visitenkarten" darstellen und werden langsam aber sicher dem Modell amerikanischer Malls und damit Hochsicherheitstrakten angepasst. Dadurch lassen sie sich besser vermarkten - aber vor allem besser kontrollieren! Die damit einhergehende wachsende räumliche und soziale Polarisierung wird zunehmend kontrollgesellschaftlich reguliert und das bedeutet vor allem eine wachsende private Verfügungsmacht über den urbanen Raum. Zwar sind alle Menschen gleichermaßen von dieser Entwicklung betroffen. Die Videokamera steht hier sinnbildlich für einen Komplex von Techniken der permanenten Durchleuchtung des öffentlichen Raums, innerhalb dessen quasi endmoralisiert kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen den Individuen: Alle fallen unter ein generalisiertes Verdachtsprofil und es geht lediglich noch darum, prekäre Situationen zu vermeiden9. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Kontrolle auch alle in gleichem Maße betrifft. Die weniger auffälligen Zeichen der Exklusion, wie eine entsprechende Architektur oder diverse Ästhetisierungsmaßnahmen (die Bank, auf der man nicht mehr liegen kann, bis hin zur Beschallung von Bahnhofsvorplätzen mit klassischer Musik), werden von denen, die sie betreffen, vor allem ärmere Menschen oder MigrantInnen, deutlicher empfunden und fordern sie unmissverständlich zum Gehen auf. Da für diese Menschen - über politische und mediale Diskurse längst zu "gefährlichen Klassen10 " stigmatisiert - der Zugang zu den Kontroll-Räumen kaum möglich ist, lässt sich die räumliche Fragmentierung als Ursache einer zusätzlichen Marginalisierung betrachten.

Das Ende des urbanen Raums?

Gewiss, die bisherigen Ausführungen zeichnen ein recht düsteres Bild der Zukunft des städtischen Raums: Durch die Ausbreitung künstlicher Konsumwelten wird der öffentliche Raum zerstört bzw. mallifiziert. Alle unterliegen einer permanenten Kontrolle und diejenigen, die am vorgeschriebenen Konsum von Waren und Dienstleistungen nicht (oder nicht mehr) teilnehmen können, werden rigoros ausgegrenzt. Während einige Stadtforscher in diesem Zusammenhang gar das Ende der Urbanität prophezeien, hält Mike Davis (1994) diesen Prozess - zumindest für Los Angeles - bereits für abgeschlossen. Dennoch sollte dieses düstere Bild abschließend relativiert werden. Es wäre zu kurz gegriffen, die kontrollierten Nicht-Orte des Konsums einem romantisierten öffentlichen Raum gegenüberzustellen, welcher aufgrund der o.g. Entwicklungen nun definitiv verloren gegangen oder zerstört sei. Die Innenstadt ist zwar keine fröhliche Begegnungsstätte, aber sie ist auch nicht zu reduzieren auf eine private und monofunktionale Konsummeile. Öffentlicher Raum wurde und wird durch unterschiedlichste soziale Praxen immer wieder und ständig neu hergestellt. Die Stadt war und ist immer auch ein Ort, an dem Kämpfe um unterschiedliche und sich widersprechende Nutzungen und Bedeutungen stattfinden. Auch die Betrachtung der Marginalisierten lediglich als Opfer, macht aus ihnen tatsächlich Objekte privater und staatlicher Kontrolle, und so sollte es in zukünftigen Analysen auch darum gehen, die zahlreichen Versuche und kleinen Erfolge dieser Gruppen zu identifizieren, die verordneten Nutzungsbestimmungen bzw. Bedeutungen dieser Räume für den eigenen Gebrauch handhabbar zu machen, sie subversiv zu unterlaufen und nach ihren Vorstellungen zu verändern.

Joachim Häfele ist Diplomsoziologe und promoviert zum Thema "Incivilities", Kriminalitätsfurcht und Kriminalität am Institut für Sicherheits- und Präventionsforschung in Hamburg (ISIP). Christina Schlepper ist Diplomsoziologin und Studentin im Aufbaustudiengang Kriminologie an der Universität Hamburg.

Anmerkungen:

1 vgl. Häfele / Sobczak, 2002
2 vgl. Hamburger Morgenpost vom 28.01.2006
3 vgl. Wilson / Kelling, 1982
4 Trotz einiger wissenschaftlicher Studien, durch die das Broken-Windows-Modell widerlegt werden konnte (vgl. Häfele 2006), halten Politiker daran fest, sei es um in Wahlkämpfen zu punkten oder um neoliberale Politikstile zu legitimieren.
5 Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Inneres, 2004
6 Dabei handelt es sich um § 16 III SGB II MitarbeiterInnen.
7 vgl. Eick, 2005
8 vgl. Häfele, 2002
9 Scheerer (1997: 6)
10 vgl. Krasmann/de Marinis (1997)

Literatur

Davis, M., City of Quartz, Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles und neuere Aufsätze, Berlin u. a., 1994.
Eick, V., Sicher, sauber, sittsam, Quartiersmanagement und lokale Sicherheitspolitik, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 81/2, 2005, 28-35.
Freie und Hansestadt Hamburg - Behörde für Inneres, Der Städtische Ordnungsdienst stellt sich vor: Sicherheit und Sauberkeit für Hamburg, Hamburg, 2004
Häfele, J., Die McDonaldisierung urbaner Räume, Über neue Stadtteile als Festival-Market-Places und Tradition als Imagefaktor, in: Tetrapak (Hrsg.), ready2capture! Hafencity - ein urbaner Raum?, 2002, 88-95.
Häfele, J./Sobczak, O., Der Bahnhof als Laboratorium der Sicherheitsgesellschaft? Soziale Kontrolle und Ausschließung am Hamburger Hauptbahnhof, in: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 86, Jg. 22, 2002, 71-86.
Häfele, J., "Incivilities", Kriminalität und Kriminalpolitik. Im Erscheinen,
Krasmann, S./de Marinis, P., Machtintervention im urbanen Raum, in: Kriminologisches Journal, Heft 32, Jg. 29, 1997, 107-121.
Scheerer, S., Zwei Thesen über die Zukunft des Gefängnisses - und acht über die Zukunft der sozialen Kontrolle, in: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 63, Jg. 17, 1997, 9-24.
Wilson, J.Q./Kelling, G.L., The Police and Neighborhood Safety. Broken Windows, in: Atlantic Monthly 3, 1982, 29-39.