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  Ralph Horst Scheer   Forum Recht Home

 

Sträflich vernachlässigt   Heft 3/2006
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Kriminalpolitik
Seite 84-85
Schuldenregulierung im Strafvollzug  
 

Überschuldung ist in unserer Gesellschaft ein Massenphänomen. In Deutschland sind derzeit etwa 3 Millionen Haushalte und vor allem Familien überschuldet. Das heißt, sie tragen eine Schuldenlast, von der sie sich nach allgemeiner Vorausschau in ihrem Leben nicht wieder befreien werden können. Für die Betroffenen bedeutet dies mehr, als eine schwere Last hinter sich her zu ziehen. Häufig erleben sie einen totalen Kontroll- und Perspektivverlust.
Das Problem der Überschuldung ist, ebenso wie viele soziale Probleme, in Gefängnissen besonders konzentriert anzutreffen. Einen Ausweg aus der Überschuldung zu finden ist für Häftlinge noch wesentlich schwieriger als für Betroffene in Freiheit, denn leider werden die Themen Schuldenberatung und Schuldenregulierung im Strafvollzug weitgehend vernachlässigt. Sehr häufig scheitern deswegen entlassene Strafgefangene am Leben in Freiheit. Aus Gründen einer wirkungsvollen Resozialisierung wäre es daher dringend notwendig, diese Problematik schon während der Inhaftierung anzugehen.

Entschuldung unter erschwerten Bedingungen

Unter den Bedingungen in Freiheit lässt sich eine Schuldenbefreiung auf verschiedenen Wegen erreichen. Entweder können mit den GläubigerInnen außergerichtliche Vergleichslösungen gefunden werden oder es kann - bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - ein Verbraucher- oder Regelinsolvenzverfahren mit anschließender so genannter Restschuldbefreiung durchlaufen werden. Dieses langwierige Verfahren eröffnet Privatpersonen einen Ausweg aus der Überschuldung.
Die Lage von Strafgefangenen ist von besonderen Schwierigkeiten gekennzeichnet. Oftmals ist bei Strafgefangenen nicht nur mit einer Konsumentenverschuldung, insbesondere mit Bankkrediten, zu rechnen, sondern in häufigen Fällen resultieren Zahlungsverpflichtungen auch aus Straftaten und Strafverfahren. Oft stehen noch Gerichtskosten offen, wobei die Höhe der Kostenrechnung maßgeblich von Sachverständigenhonoraren, Verteidigergebühren und Zeugenentschädigungen bestimmt wird. Auch aus den Straftaten selbst entstehen Schulden: Schadensersatzforderungen von Straftatopfern bzw. Versicherungen summieren sich bei vielen Inhaftierten zu er-drückenden Schuldsummen. Hinzu kommen in vielen Fällen noch Schmerzensgeldansprüche der Geschädigten, Regress-forderungen der Krankenkassen oder Lohnersatzansprüche der ArbeitgeberInnen.

Stundenlohn: € 1,49

Für Häftlinge besteht im Strafvollzug paradoxer Weise kaum die Möglichkeit, auf die Entschädigung von Opfern oder die Tilgung sonstiger Schulden hinzuarbeiten. Zwar besteht in einer Justizvollzugsanstalt grundsätzlich die Möglichkeit zu arbeiten, wobei keiner/m Inhaftierten eine regelmäßige Beschäftigung garantiert wird. Die Entlohnung beträgt dabei aber lediglich ca. 9 % eines regulären Arbeitsentgeltes. Die geringe Entlohnung vermittelt weder eine positive Einstellung zur Arbeit als zentralem Faktor für einen sozialen Integrationsprozess, noch wird dadurch eine Grundlage für die Schuldentilgung geschaffen. '
Wenn Inhaftierte einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen, so erhalten sie hierfür einen Stundenlohn von €1,49. Hiervon werden den Gefangenen allerdings nur drei Siebtel zur Verfügung gestellt, womit sie in der Vollzugsanstalt Kaffee, Tabak, Genussmittel und Hygieneartikel erwerben können - und theoretisch ihren Schuldenabbau betreiben müssten.
Die restlichen vier Siebtel werden auf das so genannte Überbrückungsgeld verbucht. Das Überbrückungsgeld wird zur Überbrückung der ersten Zeit nach der Entlassung angespart, bis der oder die Entlassene den ersten Gehaltsscheck in Händen hält oder das Sozialamt das Existenzminimum sichert. Die Einkommenssituation von Strafgefangenen schmälert also die Aussicht auf einen wirkungsvollen Abbau der Schulden.

Rechtliche Probleme

Während der Inhaftierung im Strafvollzug steigt die Höhe der Schulden auch bei regelmäßiger Arbeit - bedingt durch die niedrige Arbeitsentlohnung - weiter an. Versucht ein Häftling angesichts der Aussichtslosigkeit seiner Tilgungsbemühungen den regulären Weg der Verbraucherinsolvenz zu gehen, um eine Restschuldbefreiung zu erreichen, so steht diesem Vorhaben ein rechtliches Problem im Wege. Gemäß § 302 Insolvenzordnung (InsO) werden von der Erteilung der Restschuldbefreiung "Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung" nicht berührt. Hierzu zählen alle Schulden, die auf Straftaten beruhen.
Geldbußen, Geldstrafen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder werden von der Restschuldbefreiung also nicht berührt, ebenso wenig wie sonstige gerichtliche Nebenfolgen, die zu einer Geldzahlung verpflichten. Für diese besonderen Schulden von StraftäterInnen sieht das Gesetz keine Entschuldungsmöglichkeit vor.
Natürlich unterscheiden sich diese Schulden auch grundlegend von den übrigen, rein wirtschaftlichen Verpflichtungen der Gefangenen. Das Opfer einer Straftat kann von dem Täter oder der Täterin nicht nur aus zivilrechtlichen Gründen Entschädigung verlangen. Der Anspruch auf Schadenswiedergutmachung ist durchaus auch ein moralischer. In dieses Recht der Opfer will das Insolvenzrecht nicht eingreifen und sieht deshalb für SchuldnerInnen keine Möglichkeit vor, sich durch ein Insolvenzverfahren von Verpflichtungen zu befreien, die auf Straftaten beruhen.
Von der Regelung des § 302 InsO umfasst sind aber auch Gerichtskosten. So schützt diese Vorschrift zugleich die Staatskasse. Häftlinge sind darauf angewiesen, mit ihren Gläubigern individuelle Regelungen zu treffen. Insbesondere die Staatsanwaltschaften sind in aller Regel jedoch nicht bereit, Verbindlichkeiten zu erlassen.

Überblick verloren

Schuldenregulierung zur Entschuldung von Strafgefangenen ist nicht nur aus rechtlicher Sicht äußerst schwierig. Bedingt durch die teils langjährige Inhaftierung haben viele Gefangene den Überblick über ihre einzelnen Forderungen und deren Ursprung komplett verloren. Wenn es zur Vorbereitung einer Schuldenregulierung sinnvoll wäre, vorab eine möglichst umfassende Aufstellung sämtlicher Gläubiger und der Höhe der jeweiligen Forderungen anzufertigen, so ist gerade dies bei vielen Gefangenen nicht mehr möglich. Entsprechende Dokumente sind oft nicht vorhanden, womit der Einstieg in eine Beratung bedeutend erschwert wird. Den meisten InsassInnen ist weder bekannt, wie viele GläubigerInnen vorhanden noch wie hoch die jeweils einzelnen Forderungen sind. Oft ist es auch so, dass verschiedene Forderungen an Inkassounternehmen abgetreten wurden und somit auch neue Gläubiger auftreten.
Oftmals übersteigt die schwierige Situation die eigenen Kräfte der Inhaftierten. Viele Strafgefangene bemühen sich in der Hoffnung, nach ihrer Entlassung einen neuen Anfang machen zu können, um eine Regulierung der alten Schulden. Hilfe suchend wenden sie sich an Schuldnerberatungsstellen - und begegnen sogleich dem nächsten rechtlichen Problem.

Keine Hilfe durch die Schuldnerberatung

Die Zuständigkeit der Beratungsstellen erstreckt sich lediglich auf das jeweilige Stadtgebiet und Personen, die in der jeweiligen Stadt ihren Hauptwohnsitz haben. Bedingt durch die Inhaftierung ist die örtliche Zuständigkeit nicht gegeben und so haben Strafgefangene aus der Haft heraus im Prinzip lediglich die Möglichkeit, Betreuung innerhalb des Kreises der SozialarbeiterInnen zu finden. Die in einer Justizvollzugsanstalt tätigen SozialarbeiterInnen sind zwar in das Entschuldungskonzept eingebunden. Dabei steht für je 100 Gefangene aber gerade einmal ein/e SozialarbeiterIn als AnsprechpartnerIn zur Verfügung. Aufgrund der finanziellen Situation im Strafvollzug und unmittelbar nach der Haftentlassung haben Inhaftierte kaum realistische Chancen, ihre Schulden in einem überschaubaren Zeitraum abzutragen.
Sie sehen sehr deutlich, dass jede Zahlung aus eigener Kraft nur einen Tropfen auf den berühmten "heißen Stein" darstellt und sich hierdurch höchstens die Zinseszinsen, nicht aber die eigentliche Schuldsumme, verringern lässt.
Der Versuch, außergerichtliche Einigungen mit GläubigerInnen zu erreichen, scheitert zudem oft daran, dass Strafgefangene diesen kaum entgegen kommen können. Während ihrer Inhaftierung sind sie schlicht nicht in der Lage, in nennenswertem Umfang Einkommen zu erzielen. Für Ablösezahlungen beispielsweise fehlen die Mittel.

Die Folge: Resignation statt Resozialisierung

Viele Inhaftierte empfinden ihre finanziellen Probleme als zusätzlich bedrückende Belastung und sehen in ihrer Schuldenlast ein zentrales Zukunftsproblem für die Zeit nach ihrer Haftentlassung. Die finanziellen Schwierigkeiten stellen nach der Haftentlassung dann auch ein wesentliches Eingliederungshindernis dar. Häufig führt die Schuldenlast zur völligen Resignation oder gar zur Rückfälligkeit.
Ausgehend von der Tatsache, dass leider über 80% der inhaftierten Personen teils sehr hohe Schulden angehäuft haben, wäre es notwendig und im Rahmen des gesellschaftlichen Interesses an ihrer Resozialisierung auch geboten, den Inhaftierten den Zugang zu einem Verbraucherinsolvenzverfahren oder einem ähnlich gelagerten Verfahren zu eröffnen.
Es sollte für jeden nachvollziehbar sein, wie wichtig ein schuldenfreier Start nach der Entlassung in ein neues, unbelastetes Leben für eine/n ehemalige/n Strafgefangene/n ist. Es gibt es wohl kaum einen Häftling, der oder die sich neben der lang ersehnten Freiheit nicht auch eine normale Existenz, das heißt ein Leben ohne übermäßige Schuldenlast, wünscht. Wird ein/e Strafgefangene/r nach mehreren Jahren Haft ohne Vorbereitung auf das Leben in Freiheit sowie nach wie vor mit hohen Schulden vor die Gefängnistore gestellt, so ist die Gefahr sehr groß, dass dieser erst recht wieder im kriminellen Milieu versinkt. Für die meisten Insassen bedeutet die Schuldenlast das größte Hindernis für ein späteres straffreies Leben!

Ralph Horst Scheer ist Strafgefangener in der JVA Bruchsal und war Mitglied der dortigen Gefangenenvertretung.