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Politische Justiz   Heft 3/2006
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Kriminalpolitik
Seite 105
 
 

Dirty Talk

--> Staatsverunglimpfung. Der Staat kann nicht beleidigen. Hierfür fehlen ihm die strafrechtsdogmatisch geforderten Tätereigenschaften. Dass aber in seinem Namen sehr wohl Verunglimpfungen ausgesprochen werden, dürfte jedem klar geworden sein, dem durch eine großflächige Anzeige mit den Worten "Du bist Deutschland!" in ehrverletzender Weise unterstellt wurde, sich gemein zu machen mit einer rassistischen Migrationspolitik, mit sozialer Ausgrenzung, mit Angriffskriegen oder gar mit den monströsen Verbrechen jener Zeit, als der einfältige Satz "Du bist Deutschland!" noch allein dem Führer galt.
Der Staat selbst kann indes beleidigt werden. So macht sich nach § 90a Strafgesetzbuch (StGB) strafbar, wer "öffentlich die Bundesrepublik Deutschland beschimpft oder böswillig verächtlich macht". Seinen Ursprung hat der Straftatbestand der Staatsverunglimpfung als sogenanntes Republikschutzgesetz, mit dem gegen die Herabwürdigung der republikanischen Staatsform durch die reaktionären Kräfte in der Weimarer Republik vorgegangen werden sollte. Doch nicht die rechtsextremen Tiraden der Kaisertreuen und Nationalsozialisten wurden von der damaligen Justiz vornehmlich verfolgt, sondern linke und liberale AutorInnen. Bis heute hat sich das kaum gerändert. § 90a StGB, der seine jetzige Fassung im Rahmen der Notstandsgesetzgebung von 1968 erhielt, wird immer wieder genutzt, um die politische Kritik oder Polemik linker Menschen und Medien zu kriminalisieren und das Grundrecht auf Meinungs- und Redefreiheit einzuschränken. Das jedoch ist mit dem entsprechenden Artikel 5 im Grundgesetz (GG) kaum zu vereinbaren. Nach Art. 5 II GG findet das Recht auf freie Meinungsäußerung seine Schranken nur in dem Recht der persönlichen Ehre oder in den allgemeinen Gesetzen. Das Ansehen des Staates ist aber weder eine persönliche Ehre, noch kann die Strafvorschrift als allgemeines Gesetz gelten, weil es sich als Sondergesetz zum Schutz der staatlichen Ehre gerade auf bestimmte staatskritische Meinungsäußerungen bezieht.
Betroffene des vielfach schlicht als verfassungswidrig eingestuften Strafgesetzes wurde nun zuletzt eine Antifaschistin, die im Mai 2005 an einer Demonstration gegen das "Pfingsttreffen der Gebirgsjäger" im bayerischen Mittenwald teilnahm. Jene Truppe beteiligte sich europaweit mit unzähligen Schreckenstaten an der letzten großen Deutschlandkampagne in den Jahren 1939 bis 1945 und feiert das Ereignis noch heute anstandslos. Als die Demonstrantin nach einer brutalen Polizeiattacke empört ausrief "BRD - Bullenstaat - wir haben dich zum Kotzen satt!" wurde sie festgenommen. Für die spontane Unmutsäußerung, die andernorts kaum mehr als ein müdes Lächeln provoziert, wurde sie vom Amtsgericht Garmisch-Patenkirchen nach § 90a StGB zu einer Geldstrafe von 800 Euro verurteilt.
Den Gebirgsjägern wurde übrigens nie der Prozess für die Massaker u.a. auf der griechischen Insel Kephallonia oder dem Dorf Kommeno gemacht. Diese Justiz, das ist Deutschland. (str)

Kreuzritter

--> Demosanis. "Um sich das Vertrauen aller zu bewähren, enthält sich die Rotkreuzbewegung der Teilnahme an Feindseligkeiten wie auch, zu jeder Zeit, an politischen, rassischen, religiösen oder ideologischen Auseinandersetzungen", so lautet einer der Grundsätze des Roten Kreuzes. Seine deutsche Sektion nimmt es mit dieser Neutralitätsverpflichtung offensichtlich nicht als zu genau.
Oft genug mussten in der Vergangenheit verletzte DemonstrantInnen, die die Hilfe der RotkreuzhelferInnen in Anspruch nahmen, feststellen, dass ihre Personalien umgehend an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben worden waren. Und weil die offiziellen Rettungsorganisationen zudem häufig nicht auf Verletzungen, wie man sie auf Demonstrationen etwa durch Tränengas, Schlagstöcke, Fesseln und Hundebisse erleiden kann, vorbereitet waren, riefen linke SanitäterInnen in den 1980er Jahren eigene Rettungsgruppen ins Leben. Die autonomen Demosanis adaptierten das international bekannte rote Kreuz als Erkennungszeichen, modifiziert mit einem senkrecht erhobenen Arm mit geballter Faust. Mit diesem Symbol machen sie nicht nur auch dem letzten schlagwütigen Polizisten deutlich, dass sie medizinische Hilfe leisten, sondern grenzen sich auch deutlich von offiziellem Sanitätspersonal ab und sind in stressigen Situationen als "parteiliche" und damit vertrauenswürdige HelferInnen zu erkennen.
Wegen angeblicher Verwechselungsgefahr untersagte das Landgericht Hamburg auf Betreiben des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) nun der Roten Hilfe (RH) die weitere Verwendung des Symbols für ihre Sani-Broschüre "Ruhig Blut!". Nach Angaben der Roten Hilfe war es dem DRK dabei möglich, einen völlig überhöhten Streitwert ansetzen zu lassen, weil es die Gerichtskosten nicht zu fürchten braucht. Denn seit ihrer bereitwilligen Einbindung in den Wehrmachts- und Luftschutz-Sanitätsdienst des NS-Regimes, kann sich das DRK von Gerichtskosten befreien lassen. (str)
(Näheres unter: www.rote-hilfe.de)

Schwaches Immunsystem

--> Immunität. Das Europäische Parlament hat auf Anregung der rechten Lega Nord die Immunität des Abgeordneten der Linksfraktion Tobias Pflüger aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft München I wirft ihm vor, während einer Demonstration gegen die Nato-Sicherheitskonferenz Straftaten gegen Polizeibeamte begangen zu haben. Tatsächlich, so Pflüger, habe er aber lediglich um Auskunft über die Personalien eines festgenommenen Demonstranten gebeten und sich dabei ihnen gegenüber als Europaabgeordneter ausgewiesen. Die betreffende Staatsanwaltschaft hat sich offenbar auf den Friedensaktivisten eingeschossen. Schon 1999, 2003 und 2004 hat sie wegen seiner Beteiligung an Protesten gegen die Sicherheitskonferenz gegen ihn ermittelt und musste jedes Mal klein beigeben: Die Verfahren wurden eingestellt oder endeten mit Freispruch. Die Immunität soll die Abgeordnete gerade vor derartiger Strafverfolgung in politischen Angelegenheiten schützen, so bemerkte Pflüger richtig. (str)
(Infos unter: http://tobiaspflueger.twoday.net)