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Die 18. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin hat am 13. April 2006
ihr Urteil im so genannten Ehrenmordprozess gesprochen. Der heute 20-jährige
Hauptangeklagte wurde nach Jugendstrafrecht wegen Mordes zu neun Jahren
und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Seine beiden älteren Brüder waren
wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, wurden aber freigesprochen.
Der Hauptangeklagte hatte, damals 18-jährig, am 7. Februar letzten Jahres
seine 23-jährige Schwester erschossen, da er ihren westlich-säkularen
Lebensstil missbilligte. Seine beiden 25 und 26 Jahre alten Brüder sollen
der Aussage der Freundin des Hauptangeklagten zu Folge die Waffe besorgt
und Schmiere gestanden haben. Die Polizei vermutet außerdem, dass ein
Familienrat die Tötung der jungen Frau beschlossen und den Hauptangeklagten
für die Ausführung der Tat gezielt ausgewählt habe, da dieser mit der
geringsten Strafhöhe würde rechnen müssen. Sowohl die Tatbeiträge der
beiden älteren Brüder als auch die Planung der Tat im Familienrat konnten
jedoch nicht bewiesen werden.
Das Urteil wurde von zahlreichen Politikern als zu milde kritisiert. Dies
betrifft zum einen die Anwendung von Jugendstrafrecht auf den heranwachsenden
Hauptangeklagten, welches eine Strafhöhe von mehr als 10 Jahren nicht
zulässt. Zum anderen stieß der Freispruch der Familienangehörigen auf
Unverständnis. Dadurch würde die Praxis der Auswahl eines jungen Familienangehörigen
für die Ausführung einer Tat zur Rettung der Familienehre vom Berliner
Gericht indirekt belohnt.
Besondere Brisanz erhielt der Fall für zahlreiche Politiker, da die Familie
der drei Angeklagten aus der Türkei stammt. Der Berliner CDU-Spitzenkandidat,
Friedberg Pflüger, forderte die Ausweisung der Familie - obgleich deren
Verstrickung in die Tat vom Gericht gerade nicht als erwiesen angesehen
wurde. Die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus verlangte trendgemäß
eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Der Innenpolitische Sprecher
der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU), trieb den Aktionismus
am weitesten: er erhob im Zusammenhang mit der Urteil die Forderung nach
einem Straftatbestand der Integrationsverweigerung. Noch trauriger ist
nur die Replik von Gunter Widmaier, dem Vorsitzenden des Strafrechtsausschusses
bei der Bundesrechtsanwaltskammer. Dieser lehnt eine solche Strafnorm
nicht etwa wegen des zweifelhaften Unrechtsgehalts ab, sondern da sie
tatbestandlich nicht klar zu fassen sei. Die Staatsanwaltschaft strebt
hinsichtlich aller drei Urteile Revision an.
Philipp Rusche, Greifswald
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