xxx

  Philip Rusche   Forum Recht Home

 

Mildes Urteil im Berliner Ehrenmordprozess   Heft 3/2006
Ausschließen durch Einschließen:
Kriminalpolitik
Seite 104
 
 

Die 18. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin hat am 13. April 2006 ihr Urteil im so genannten Ehrenmordprozess gesprochen. Der heute 20-jährige Hauptangeklagte wurde nach Jugendstrafrecht wegen Mordes zu neun Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Seine beiden älteren Brüder waren wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, wurden aber freigesprochen.
Der Hauptangeklagte hatte, damals 18-jährig, am 7. Februar letzten Jahres seine 23-jährige Schwester erschossen, da er ihren westlich-säkularen Lebensstil missbilligte. Seine beiden 25 und 26 Jahre alten Brüder sollen der Aussage der Freundin des Hauptangeklagten zu Folge die Waffe besorgt und Schmiere gestanden haben. Die Polizei vermutet außerdem, dass ein Familienrat die Tötung der jungen Frau beschlossen und den Hauptangeklagten für die Ausführung der Tat gezielt ausgewählt habe, da dieser mit der geringsten Strafhöhe würde rechnen müssen. Sowohl die Tatbeiträge der beiden älteren Brüder als auch die Planung der Tat im Familienrat konnten jedoch nicht bewiesen werden.
Das Urteil wurde von zahlreichen Politikern als zu milde kritisiert. Dies betrifft zum einen die Anwendung von Jugendstrafrecht auf den heranwachsenden Hauptangeklagten, welches eine Strafhöhe von mehr als 10 Jahren nicht zulässt. Zum anderen stieß der Freispruch der Familienangehörigen auf Unverständnis. Dadurch würde die Praxis der Auswahl eines jungen Familienangehörigen für die Ausführung einer Tat zur Rettung der Familienehre vom Berliner Gericht indirekt belohnt.
Besondere Brisanz erhielt der Fall für zahlreiche Politiker, da die Familie der drei Angeklagten aus der Türkei stammt. Der Berliner CDU-Spitzenkandidat, Friedberg Pflüger, forderte die Ausweisung der Familie - obgleich deren Verstrickung in die Tat vom Gericht gerade nicht als erwiesen angesehen wurde. Die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus verlangte trendgemäß eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Der Innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU), trieb den Aktionismus am weitesten: er erhob im Zusammenhang mit der Urteil die Forderung nach einem Straftatbestand der Integrationsverweigerung. Noch trauriger ist nur die Replik von Gunter Widmaier, dem Vorsitzenden des Strafrechtsausschusses bei der Bundesrechtsanwaltskammer. Dieser lehnt eine solche Strafnorm nicht etwa wegen des zweifelhaften Unrechtsgehalts ab, sondern da sie tatbestandlich nicht klar zu fassen sei. Die Staatsanwaltschaft strebt hinsichtlich aller drei Urteile Revision an.

Philipp Rusche, Greifswald