Heft 1 / 2000:
status quo vadis
Die Europäische Union zwischen Neoliberalismus und Demokratisierung
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Marei Pelzer Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Umstrittenes Terrain Europa
Über die Bedingungen linker Politik in einem demokratischen Europa
 

Wenn man sich aus linker Perspektive mit europäischer Politik beschäftigt, so bestehen je nach Themenfeld sehr unterschiedliche politische Bewertungen. Auf der einen Seite mangelt es an Kritikpunkten nicht. Hierzu nur drei Beispiele: Europa ist von einem "Sozialen Europa" noch weit entfernt. Das "Europa der Banken und des Geldes" erscheint als zutreffende Zustandsbeschreibung. Die europäischen Gewerkschaften verschlafen derweil den Aufbau einer geeinten europäischen Gewerkschaftsbewegung, die Neoliberalismus und Sozialdumping wirksam entgegentreten könnte.1 Die Errichtung des europäischen Polizeiamtes "Europol" wird zu recht als "entfesselte Polizei", die rechtsstaatlichen Schranken und Kontrollen weitestgehend entbehrt, kritisiert.2 Die unter dem Stichwort "Festung Europa" anzudeutende europäische Asyl- und Migrationspolitik steht der Abschottungspolitik der einzelnen europäischen Staaten um nichts nach.
Auf der anderen Seite fehlt es jedoch auch nicht an Beispielen für eine fortschrittliche europäische Politik. Ein Beispiel ist die Umweltpolitik. Auch frauenpolitisch gehen positive Impulse von Europa aus: Das vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelte Verbot der mittelbaren Diskriminierung von Frauen korrigierte das starre Gleichheitsverständnis der deutschen Rechtsdogmatik. Und mit der Einführung von Schadensersatzansprüchen bei geschlechtsspezifischer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt wurde zumindest in einem Teilbereich ein Antidiskriminierungsgesetz geschaffen. Und es bedurfte erst der europäischen Datenschutzrichtlinie, um die von DatenschützerInnen immer wieder aufgestellten Forderung durchzusetzen, europaweit Datenschutzbestimmungen nicht nur für die öffentliche Verwaltung, sondern auch für Private zu erlassen.

Wie also hält man es mit Europa?

Es erscheint wenig sinnvoll, sich der Europa-Frage anhand einzelner Politikbereiche zu nähern. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Resultate zu bewerten. Ob Europäische Politik neoliberal und repressiv oder aber emanzipatorisch und grundrechtsorientiert ist, hängt von den jeweiligen politischen Akteuren ab und davon, welche politischen Kräfte sich durchgesetzt haben. Eine grundsätzliche Positionierung zu EU-Europa kann also nicht von dem politischen Output in Einzelbereichen abhängig gemacht werden. Die Europa-Frage muss daher grundsätzlicher beantwortet werden. Der zentrale Kristallisationspunkt, an dem sich die politischen Lager spalten, ist die Bewertung, ob das politische Gebilde der Europäischen Union demokratischen Anforderungen genügt.
Mit zunehmender europäischer Integration wurde Europa immer mehr auch an seinen demokratischen Standards gemessen. Als Ende der 50er Jahre die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet wurde, war das Bedürfnis nach demokratischer Kontrolle noch nicht sehr hoch. Die EWG war als Institution gegründet worden, die auf einen sachlich begrenzten Aufgabenkreis und auf vertraglich vorgegebene Politikinhalte beschränkt wurde. In den folgenden Jahrzehnten veränderten sich die Strukturen grundlegend. Die ersten Direktwahlen des Europäischen Parlaments (EP) fanden 1979 statt. Die Einheitliche Europäische Akte von 1986 gab der EWG neue Kompetenzen und bewirkte einen ersten Demokratisierungsschub der Gemeinschaftsorgane. Mit dem Maastrichter Vertrag von 1992 wurden die drei Gemeinschaften (EWG, EGKS und EAG) in der EU zusammengefasst und so zu einer einheitlichen Organisation verschmolzen.3 Mit dem Amsterdamer Vertrag, der 1999 in Kraft getreten ist, kam es zu einer Vergemeinschaftung von weiteren Politikbereichen. Zwar werden die Kompetenzen der EU auch heute noch nach dem Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung vertraglich festgelegt. Das heißt, die EU darf nur auf dem Gebiet tätig werden, auf dem sie dazu von ihren Mitgliedstaaten ausdrücklich in den Verträgen ermächtigt wurde. Die EU hat also keine Kompetenz-Kompetenz, sie kann sich also nicht selbst die Zuständigkeit für neue Bereiche schaffen. Jedoch hat sich die Anzahl der Politikbereiche, in der für die EU die Zuständigkeit normiert wurde, mittlerweile so ausgeweitet, daß die in den Mitgliedstaaten anzuwendenden Regeln zu einem immer größeren Prozentsatz auf europäisches Recht zurückzuführen sind. Beispielsweise waren schon im Jahre 1991 ca. 53 Prozent der in Frankreich in Kraft getretenen Gesetze auf Gemeinschaftsrecht zurückzuführen.4
Diese enorme rechtliche und politische Bedeutung der EU ist für die Demokratiefrage von entscheidender Bedeutung. Die Verlagerung politischer Entscheidungen von der nationalen auf die europäische Ebene wäre als Entdemokratisierung zu kritisieren, wenn die EU im Vergleich zu den europäischen Nationalstaaten systematisch niedrigere demokratische Standards hätte. Die Ausweitung der Kompetenzen auf europäischer Ebene würde damit die Schwächung demokratischer Partizipation bedeuten - ein vernichtender Befund.

Wie demokratisch ist die EU?

Der oft erhobene Vorwurf des Demokratiedefizits der EU kann jedoch heute so nicht mehr aufrecht erhalten werden. Vergleicht man die Strukturen der EU mit denen der BRD, so sind vom Demokratisierungsniveau her keine wesentlichen Unterschiede mehr festzustellen. Das Herrschaftsgefüge der EU ist zunächst einmal auch dem rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsprinzip verpflichtet: Mit dem Europäischen Parlament und dem Rat ist die Legislative als Zweikammer-System organisiert, die Kommission bildet die europäische Regierung und der EuGH nimmt die Funktion der Jurisdiktion wahr. Im Parallelfall BRD ist die alte Verfassungstradition der Checks and Ballances von Verfassungsorganen durch Bundestag und Bundesrat einerseits, sodann der Bundesregierung und drittens dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verwirklicht. Da die Aufteilung der Macht zwischen den drei Gewalten jedoch mehr mit Rechtsstaatlichkeit als mit Demokratie zu tun hat - Gewaltenteilung gab es auch schon in der konstitutionellen Monarchie - ist hier die demokratische Legitimation der in diesem Machtgefüge zustande gekommenen Entscheidungen als maßgeblich anzusehen.
EU-KritikerInnen begründen ihre These vom Demokratiedefizit der EU einerseits mit der schwachen Stellung des Europäischen Parlaments und der Dominanz der Exekutive. Andererseits überschreite der EuGH durch seine integrationsfreundlichen Rechtsprechung regelmäßig seine Kontrollfunktion und nehme legislative Aufgaben wahr.
Die starke Stellung der Regierung (Kommission) ist für sich genommen nicht zu bestreiten. Ihr alleine steht im Gesetzgebungsverfahren das Initiativrecht zu. Zu ihrer demokratischen Legitimation ist vorweg zu betonen, dass sie in voller parlamentarischer Verantwortung steht. Bei der Einsetzung der Kommission bedarf es der Zustimmung der Europäischen Parlaments, d. h. alle Kommissare werden vom Parlament legitimiert. Zum Vergleich: Der deutsche Bundestag wählt lediglich den Kanzler, die Bundesminister werden dann nur noch ernannt. Daß das Europäische Parlament nicht mit einem Initiativrecht ausgestattet ist, scheint es augenscheinlich zu schwächen. Dies sei zugestanden. Doch auch im deutschen Gesetzgebungsverfahren gehen fast alle Gesetzesentwürfe auf die Bundesregierung zurück (auch wenn diese nicht selten formell von der Regierungsmehrheit im Bundestag eingebracht werden, um die verpflichtende erstrangige Zuleitung an den Bundesrat zu umschiffen). Die Gesetzesvorlagen werden also faktisch sowohl in Deutschland als auch in Europa auf Regierungsebene erarbeitet und dann den Parlamenten vorgelegt.
Für das weitere Gesetzgebungsverfahren wurde unter dem Stichwort 'Demokratiedefizit' lange Zeit zu Recht die schwache Stellung des Europäischen Parlamentes bemängelt. Die Rechte des Parlamentes waren in vielen Bereichen auf Informations-, Beratungs- und Kontrollbefugnisse reduziert. Mit jeder neuen Vertragsrevision - zuletzt Amsterdam - wurde das Mitentscheidungsverfahren für immer mehr Politikbereiche eingeführt. Heute gibt es nur noch wenige Bereiche, in denen nicht diese parlamentarische Zustimmung vorgeschrieben ist, wovon eine der problematischen Ausnahmen der Agrarsektor ist. Gering ist der Einfluß der Parlamente (des Europäischen ebenso wie der nationalen Parlamente) auch noch in den sogenannten zweiten und dritten Säulen, der Außen- und Sicherheitspolitik bzw. der Polizei- und Strafrechtspolitik der EU. Erfahrungsgemäß werden jedoch diese Bereiche nach und nach vergemeinschaftet, d. h. den normalen Gesetzgebungsregeln des EG-Vertrags zugeführt und damit einem demokratischen Entscheidungsprozess zugänglich gemacht. Als Beispiel kann hier das Asylrecht dienen, durch das der Amsterdamer Vertrag nun eine Kompetenz der EU im Rahmen des EG-Vertrags begründet hat.5 Insgesamt ist die Stellung des Europäischen Parlaments vielfach stärker, als gemeinhin angenommen wird. Was das EP zukünftig aus dieser starken Stellung im Gesetzgebungsprozess der EU machen wird, ist eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse, aber kaum noch eine seiner Kompetenzen.
Daß nun zusätzlich der jeweils fachlich zuständige Ministerrat dem Gesetz zustimmen muss, relativiert die legislative Macht des Parlamentes nicht unwesentlich. Gemessen an den westeuropäischen Demokratiestandards ist dieses Zweikammer-System jedoch nichts Besonderes. Diese obligatorische Zustimmungspflicht einer von den Regierungen dominierten Staatenkammer entspricht im wesentlichen der des Bundesrates, wenn es sich um einen Fall eines Zustimmungsgesetzes handelt. Zudem besitzen die Mitglieder des Ministerrates eine nicht weniger angemessene Legitimation als die Bundesratsmitglieder: Sie werden in ihren nationalen Parlamenten gewählt oder leiten ihre Mandate von diesen ab.6

EuGH: Motor der Integration

Der EuGH wird oft als "Motor der Integration" bezeichnet. Angesprochen wird damit, daß der Gerichtshof mit seiner Rechtsprechung offensiv gestalterisch in den Integrationsprozess eingegriffen hat. Um dies zu veranschaulichen, kann man auf die richterrechtliche Entwicklung des Anwendungsvorranges von EG-Recht gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht verweisen. Indem der EuGH das Gemeinschaftsrecht als "Rechtsordnung eigener Art" qualifizierte und nicht lediglich als innerstaatlich unverbindliches Völkerrecht einstufte, begründete er den Vorrang gegenüber dem nationalen Recht. Ein anderes Beispiel für die Integrationspolitik des EuGH ist die Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung von Gemeinschaftsrecht, so daß sich BürgerInnen vor nationalen Gerichten direkt auf Rechte berufen können, die ihnen das Gemeinschaftsrecht verleiht.
Der Gerichtshof trug durch seine Rechtsprechung, die auf die "Konstitutionalisierung der Verträge" hinauslief, wesentlich dazu bei, die heutige Verfasstheit der EU zu 'erfinden'. Mit der im Gewaltenteilungssystem für die Rechtsprechung vorgesehene Kontrollfunktion hat dies nur schwerlich etwas zu tun. Denselben Vorwurf kann man aber auch gegen das BVerfG erheben, das in seinen Urteilen oft sehr politisch agiert und sich an die Stelle des Gesetzgebers gesetzt hat (genannt sei nur das Stichwort 'Schwangerschaftsabbruch'). Oberste Gerichte wie der EuGH und das BVerfG sind keine direkt demokratisch legitimierten Organe. Die Anmaßung von politischen Gestaltungsaufgaben ist nach demokratischen Maßstäben sehr problematisch. Aber auch an diesem Punkt lässt sich kein besonderes Argument gegen EU-Europa finden. Es handelt sich um ein Demokratieproblem, das Europa mit vielen Staaten teilt.
Mangelnde Transparenz ist ein weiterer Punkt, der gegen die EU zu Felde geführt wird. "Komitologie" wird das undurchschaubare Ausschusswesen genannt, das im Umfeld der EU-Organe errichtet worden ist. Hinter verschlossenen Türen würden Entwürfe beraten, die von einer Versammlung von Botschaftern und auf unterer Ebene von unzähligen gesichtslosen und namenlosen Ausschüssen nationaler Beamter vorbereitet wurden, die ihrerseits niemand Rechenschaft schuldig sind.7 Aus dieser Kritik wird zum Teil sogar die Forderung abgeleitet, die supranationale, föderale Rechtsgemeinschaft EU durch einen Gesamtstaat zu ersetzen. Denn die völkerrechtliche Natur, die sich in nicht-öffentlichen Verhandlungsprozessen von Regierungsvertretern und Ministerialbürokraten ausdrückt, auf die sich das Entscheidungsfindungsverfahren der EU gründe, sei das in diesem Zusammenhang eigentliche Problem.8
Während man der Problembeschreibung folgen kann, ist die Schlußfolgerung, die supranationalen Strukturen der EU seine dafür verantwortlich, nicht plausibel. Der Kern des Problems ist hier nicht der diplomatische oder internationale Charakter von Teilen der Gesetzgebung der EU. Wie J. Weiler, einer der maßgeblichen fortschrittlichen Europawissenschaftler und Kritiker des intransparenten Komitologie-Wesens, hervorhebt, handelt sich vielmehr um eines der ernsthaftesten Demokratieprobleme innerhalb des modernen Staates generell. Die meisten Normen in den Nationalstaaten werden von unzähligen gesichtslosen und namenlosen Ausschüssen nationaler Beamter erarbeitet und z. T. auch erlassen.9 Auch ein staatsähnliches Europa kann dieses Problem nicht lösen.
Eine kritische Würdigung der Herrschaftsstrukturen der EU zeigt also, daß sie in vieler Hinsicht noch erheblich demokratisierungsbedürftig sind. Sie zeigt aber auch, dass die EU nicht hinter das Demokratisierungsniveau ihrer Mitglieder zurückfällt. Die vorhandenen Demokratisierungsmöglichkeiten der EU sind politische Perspektiven, für die zu kämpfen sich lohnt. Sie sind jedoch kein grundlegender Einwand gegen die EU.

Status quo vadis

Über Zukunft und Perspektiven der EU wird viel diskutiert. Die Debatte um eine europäische Verfassung hat längst die Fachkreise verlassen und wird in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Damit hängt auch die Frage nach der Staatlichkeit der EU zusammen.
Eine in Deutschland nicht unwesentliche Meinung lehnt beides ab. Gestützt wird diese Ansicht mit dem Argument, daß es kein europäisches Volk gibt. Die geistige, soziale und politische Homogenität charakterisiere die Bevölkerung eines Staates, so die These aus dem Dunstkreis des BVerfG. Auch wenn hier versucht wird, das Staatsvolk von seinem völkisch-organischem Begriffsinhalt zu befreien, so liegt dieser Auffassung doch eher eine nationalistisch-romantische Konzeption zugrunde, die an einem substantiellen Volksbegriff festhält.10 Letztlich wird mit diesem Volksbegriff auch gegen jede Möglichkeit der Demokratie auf EU-Ebene argumentiert. Die Bedingungen für Demokratie sollten jedoch nicht der Definitionsmacht einiger JuristInnen überlassen werden. Demokratie ist vielmehr ein universelles Ordnungsprinzip, daß grundsätzlich auf alle Lebens- und Herrschaftsbereiche anwendbar ist.

Europa hat eine Verfassung

Wie ist jedoch die Forderung nach einer europäischen Verfassung zu beurteilen? Ist diese notwendig, um der EU Legitimität zu verleihen? Die Antwort ist einfach: Die EU braucht keine Verfassung, sie hat bereits eine. Von einer Vertragsänderung zur nächsten geht es um die Verfassungsgebung als Prozess der schrittweisen Konstituierung effektiver, demokratisch legitimierter und kontrollierter Hoheitsbefugnisse auf europäischer Ebene.11 Die Verträge sind also die europäische Verfassung, um deren Inhalte und Weiterentwicklung es sich zu streiten lohnt.
Dagegen kann man der EU eine Staatlichkeit nur schwer zusprechen. Ihr fehlt das Gewaltmonopol. Weiterhin ist sie auch kein Staat im Sinne eines modernen Sozialstaatsbegriffs. Man muss sich jedoch fragen, ob der Super-Staat EU als Perspektive für Europa in Betracht kommt. Wie oben angedeutet, wäre die Staatlichkeit kein Garant für ein Mehr an Demokratie. Demokratie ist genauso viel oder wenig ohne einen Gesamtstaat zu realisieren. Was aber gegen ein staatlich organisiertes Europa spricht, ist, daß der Graben zwischen Europa und den nicht-europäischen Staaten tief genug ist. Ein Staat Europa würde diesen noch vertiefen. Weiler formuliert seine Skepsis so: "Es wäre mehr als ironisch, wenn eine politische Ordnung, die als Mittel gewählt wurde, den Exzessen der Staatlichkeit entgegenzutreten, damit enden würde, sich im Kreise zu drehen und sich selbst in einen (Super-)Staat verwandelte. Und es wäre gleichfalls ironisch, wenn derjenige Ethos, welcher die Verletzung der Grenzen des Nationalstaates verwirft, eine politische Ordnung mit demselben Verletzungspotential hervorbringen würde." 12
Das entscheidende Kriterium für die Bedingungen von politischen Gestaltungsmöglichkeiten Europas ist allein die demokratische Steuerungsmöglichkeit der EU. Und die hat bei allen Unzulänglichkeiten einen Grad an Demokratisierung erreicht, der eine echte Möglichkeit zur politischer Partizipation bietet. Bei der Standortbestimmung linker Politik in Europa sollte es also nicht länger um die Existenzberechtigung der EU gehen. Die bedingungslose Parteinahme für Europa ist allerdings auch nicht zu fordern. Hier kann auf die eingangs erwähnten Politikbereiche verwiesen. Es geht gerade darum, auch auf europäischer Ebene in politische Prozesse zu intervenieren - gegen rassistische Asylpolitik zu protestieren, rechtsstaatswidrige Überwachungssysteme zu bekämpfen oder fortschrittliche Umweltpolitik zu forcieren. Nur eines sollte sich die demokratische Linke keinesfalls erlauben - Europa als Ort der politischen Auseinandersetzung zu ignorieren.

Marei Pelzer ist Rechtsreferendarin und lebt in Berlin.

Anmerkungen:

1 Bourdieu, Le Monde diplomatique, 11. Juni 1999, 1.
2 Pelzer, FoR 4/1996, 122, 1223.
3 v. Bogdandy, NJW 1995, 2324, 2325.
4 Mancini, KritV 81 (1998), 386, 400.
5 Siehe dazu Artikel von von Alemann in diesem Heft, 15.
6 Mancini, KritV 81 (1998), 386, 400.
7 Mancini, KritV 81 (1998), 386, 400.
8 Mancini, KritV 81 (1998), 386, 402.
9 Weiler, The Case Against the Case for Statehood, 1998.
10 v. Bogdandy 1999, 58.
11 Pernice, JÖR 99, 12.
12 Weiler, ELJ 219, 229, 248.

Literatur:

Bourdieu, Pierre, Das soziale Europa, in: Le Monde diplomatique, 11. Juni 1999, 1.
Grimm, Dieter, Braucht Europa eine Verfassung?, in: Juristen Zeitung (JZ) 1995, 581 ff.
Mancini, Federico, Europa: Gründe für einen Gesamtstaat, in: Kritische Vierteljahreszeitschrift (KritV) 81/1998, 386.
Pelzer, Marei, Datenflut und Normenebbe, Datenschutz in der Informationsgesellschaft, in: FoR 4/1996, 122 ff.
Von Bogdandy, Armin, Supranationaler Föderalismus als Wirklichkeit und Idee einer neuen Herrschaftsform, Zur Gestaltung der Europäischen Union nach Amsterdam, Baden-Baden 1999.
Von Bogdandy, Armin, Die Verschmelzung der Europäischen Gemeinschaften in der Europäischen Union, in Neue Juristischen Wochenschrift (NJW) 1995, 2324 ff.
Weiler, Joseph, Does Europe Need a Constitution? Demos Telos an the German Maastricht Decision, in European Law Journal (ELJ) 219, 1995, 219 ff.
Weiler, Joseph, Europe: The Case Against the Case for Statehood, Havard Jean Monnet Working Papers, http://www.law.harvard.edu./Programs/JeanMonnet/papers/98/98-6-.html.