Heft 1 / 2000:
status quo vadis
Die Europäische Union zwischen Neoliberalismus und Demokratisierung
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Politische Justiz
 

Freispruch trotz einseitiger Ermittlungen

Nach knapp vier Jahren und zwei Prozessen ist Safwan Eid endgültig vom Vorwurf der schweren Brandstiftung freigesprochen worden. Die Jugendstrafkammer des Landgericht Kiel stellte fest, daß es keinerlei Beweise gibt, welche die Schuld Eids belegt. Weder in der Aussage des Sanitäters, der in der Tatnacht ein Schuldeingeständnis Eids gehört haben will, noch die Abhörprotokolle von in arabisch geführten Gesprächen Eids mit seinem Vater und Brüdern, die anfänglich offensichtlich falsch zuungunsten des Angeklagten übersetzt wurden, haben irgendwelche Beweise ergeben.
Im Gegensatz zum ersten Urteil des Lübecker Jugendkammer im Sommer 1997, welches noch Mittäterschaft für möglich hielt, dies aber nur nicht beweisen konnte, läßt der jetzige Urteilsspruch keinen weiteren Platz für Anschuldigung gegen Eid. Der zweite Prozeß wurde notwendig, weil der Bundesgerichtshof den Freispruch des ersten Instanz verworfen hatte, da diese die Verwendung von im Gefängnis angefertigten Abhörprotokolle abgelehnt hatte.
Entsprechend dem Urteil richtete die Anwältin Gabriele Heinecke den Vowurf an die Staatsanwaltschaft, daß diese aus Beweisnot ein Geständnis konstruiert habe und Hinweisen auf vier tatverdächtige Jugendliche aus Grevesmühlen nicht ausreichen nachgegangen sei. Diese waren nach dem Brandanschlag kurzzeitig festgenommen worden.

Quelle: Jungle World v. 10.11.99; die tageszeitung (taz) v. 03.11.99

Bußgeldverfahren wegen Blockade gegen den Krieg

Wegen der Blockade der Rhein-Main Airbase als Protest gegen den Kosovo-Krieg wurden 32 Demonstranten vom Frankfurter Ordnungsamt mit Bußgeldbescheiden belegt. Aufgerufen zu der Demonstration hatte die "Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstverweigerer" und der "Totalverweigerer-Initative Frankfurt". Von den 80 Demonstranten waren 32 in polizeilichen Gewahrsam genommen worden. Ihnen wird ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen.
Die Adressaten der Bescheide wollen nicht bezahlen und berufen sich auf das Widerstandsrecht der Verfassung, weil die BRD einen verbotenen Angriffskrieg geführt habe. Sie wollen diese Frage von einem Gericht klären lassen und legte gegen die Bußgeldbescheide Widerspruch ein. Ausgewählt für die Protestaktion wurde die Airbase, weil von dort 100 US-amerikanische Militärmaschinen starteten, um die NATO-Kampfflugzeuge mit Treibstoff zu versorgen

Quelle: Rote Hilfe Zeitung 4/99, 13; Frankfurter Rundschau v. 13.10.99

Eine Zensur findet doch statt

Die Staatsschutzkammer des Münchener Landgericht hat die Beschlagnahmung der kurdischen Studentenzeitung "Ronahi" (Sonne) für Rechtens erklärt. Die 24-jährige Hilfsarbeiterin Claudia W. hatte auf dem kurdischen Neujahrsfest am 20. März einen Infostand betreut, als der Staatsschutz sämtliche Ausgaben der "Ronahi" und das Buch "Die Kurdischen Frage - Europa ist gefordert" beschlagnahmt. Als Propaganda für die kurdische Arbeiterpartei PKK bezeichnete die Staatsanwaltschaft unter anderem die Dokumentation des Asylantrages von Abdullah Öcalan in Italien sowie seines 7-Punkte Plan für eine friedliche Lösung des Kurdistan-Konfliktes. Unkommentierte Photos eines "lachenden Abdullah Öcalan" in den Publikationen seien eine "Verherrlichung der PKK".
W. wurde zu einer Strafe von 20 Tagessätzen zu DM 15,- verurteilt. Auch das Berufen der Angeklagten auf einen Irrtum mit der Begründung, daß es nicht ihre Aufgabe sei die spezielle bayrische Auslegung des PKK-Verbotes zu suchen, half ihr nichts, obwohl die deutschsprachige Zeitung seit Jahren problemlos verkauft werden kann. Vielmehr schlug ihr der verhandelnde Richter vor, in Zukunft Publikationen quasi zur Vorzensur bei der Polizei nach strafbaren Inhalt prüfen zu lassen.

Quelle: Rote Hilfe Zeitung 4/99; 9, junge welt v. 30.07.99

Erste Urteile wegen Anti-Kriegsaufrufen

Unterschiedlich fallen bisher die Urteile wegen Aufrufen zur Befehlsverweigerung und Entfernung von der Truppe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg aus. Während es in zwei Fällen, die im Zusammenhang mit dem Aufruf in der taz vom 21.04.99 (vgl. FoR 4/99, 142) standen, zu Freisprüchen kam, wurde Martin Singer, Sekretär des "Komitees für Grundrechte und Demokratie", zu einer Geldstrafe von DM 4000,- verurteilt, weil er Flugblätter vor dem Verteidigungsministerum verteilte.
Entsprechend der unterschiedlichen Ergebnisse fallen die Urteilsbegründungen aus. Bei den beiden Freisprüchen wurde entweder eine Deckung der Äußerung durch die Meinungsfreiheit festgestellt oder darauf abgestellt, daß die Angeklagten davon ausgingen, daß der Krieg völkerrechtswidrig sei und bei einer solchen Annahme eine Befehlsverweigerung durch Soldaten zulässig sei. Sie müßten sogar die Befehle verweigern. Bei der Verurteilung stellte das Gericht fest, daß die Frage der Völkerrechtswidrigkeit eine politsche Entscheidung sei und nicht in der Entscheidungsmacht des einzelnen Soldaten stünde.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Urteil, daß sich mit Frage beschäftigte, ob in einem solchen Zusammenhang überhaupt Strafbefehle zu erlassen sind. Einige Amtsgerichte hatten sich geweigert solche auszustellen, wogegen die Staatsanwaltschaft Widerspruch beim Landgericht einlegte. Dieses stellte fest, daß Irrtümer über die Strafbarkeit vermeidbar waren, weil bei juristisch kontrovers diskutierten Fragen, wie bei der Völkerrechtswidrigkeit des Krieges, Zurückhaltung geboten sei. Außerdem suggeriert das Urteil, daß das Bundesverfassungsgericht bei der Beschwerde des PDS die Völkerrechtswidrigkeit negativ beschieden hätte, obwohl dieses die Klage bereits nicht zugelassen hatte.

Quelle: taz v. 05.11.99, 18.11.99, 20.11.99.