Heft 2/2000:
Mächtig organisiert - Die neue Weltordnung
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Studentische Rechtsberatung im Strafvollzug
Der Bremer "Verein für Rechtshilfe" als ein Beispiel praxisorientierter JuristInnenausbildung
 

Die universitäre Juristenausbildung ist bekanntermaßen wenig praxisorieniert. Die Möglichkeiten von Gefangenen, sich über Rechte zu informieren und diese durchzusetzen sind gering. Das Beispiel des Vereins für Rechtshilfe im Justizvollzug des Landes Bremen e.V. zeigt, wie beiden Misständen etwas entgegengesetzt werden kann.

Das Projekt und der Verein

Der heutige Verein für Rechtshilfe ist ursprünglich aus einem Projekt im Rahmen des Schwerpunktstudiums an der Universität hervorgegangen.1 Nach dem Ende des Projektes entschlossen sich einige Teilnehmer, die Arbeit als gemeinnützigen Verein weiterzuführen.2
Die Mitglieder des Vereins kommen mittlerweile ausnahmslos als StudentInnen zur Rechtsberatung; einige bleiben jedoch über viele Jahre, oft auch noch als AnwältInnen, der Vereinsarbeit verbunden und bieten auch dann noch Rechtsberatung an. Im Rahmen der Bremer JuristInnenausbildung werden regelmäßig Veranstaltungen zum Thema Einführung in die Rechtsberatung im Gefängnis angeboten.

Der Ablauf der Rechtsberatung

Anders als Anwälte, die ihre Mandanten in die Kanzlei kommen lassen können, findet die Rechtsberatung mitten in der Anstalt und damit direkt bei den Insassen statt: in einem Büro- oder Gemeinschaftsraum oder in einer leeren Zelle. Wichtig ist, dass die Gefangenen ungehindert zur Rechtsberatung kommen können und auch nicht das Gefühl haben, dass die Beamten "Buch führen" oder registrieren, wer sich wann beraten lässt. Die Rechtsberatung findet dementsprechend zu Zeiten statt, in denen in der Regel die Zellentüren offen sind. Es muß sich also niemand "von einem Vollzugsbeamten durchschließen" lassen, um sich beraten zu lassen.

Inhalte der Rechtsberatung

Die Gegenstände der Rechtsberatung sind vielfältig.3 Häufig geht es um Konflikte mit der Außenwelt (mit Gläubigern, Vermietern, Ausländerämtern usw.), mit der Strafjustiz (neue Verfahren, Bewährungswiderrufe, Gesamtstrafenbildung usw.) oder im Strafvollzug selbst (insbesondere Lockerungen, Fragen zu Arbeit, Disziplinarmaßnahmen usw.) sowie um Fragen der vorzeitigen Entlassung.
In den letzten Jahren sind infolge des auch in der JVA Bremen erheblich angestiegenen Ausländeranteils Fragen im Zusammenhang mit Asylanträgen, drohender Abschiebung usw. hinzugekommen. Auch Probleme aus den Bereichen Sozialhilfe- und Familienrecht nehmen zu.
Vielfach werden an die RechtsberaterInnen auch allgemeine Probleme herangetragen, die das Recht nur am Rande oder gar nicht berühren, mit denen die Gefangenen sich im Vollzug jedoch alleingelassen fühlen. Oftmals hilft es in dieser Situation schon, dass sich ein/e Unbeteiligte/r von draußen die Zeit nimmt, sich diese Probleme einmal anzuhören. Jedoch birgt dies das Risiko, sich zu sehr mit einem Gefangenen zu identifizieren und, wenn dies häufiger geschieht, die auch in der Rechtsberatung erforderliche Distanz zu verlieren.

Was bringt die Rechtsberatung den Akteuren?

Die Mitarbeit im Verein wird nicht auf Studienleistungen angerechnet. Zwar kann in der o. g. Einführungsveranstaltung in der Regel ein Grundlagenschein gemacht werden. Dieser besteht jedoch auch hier in einer schriftlichen Arbeit zum Thema, die nicht durch engagierte praktische Tätigkeit ersetzt werden kann.
Der Vorteil ist ein anderer: man verlässt den Hörsaal und begibt sich unter Menschen, die konkret vom Strafrecht betroffen sind. Man lernt, dass Rechtsanwendung weit mehr ist, als die universitäre Ausbildung zunächst glauben macht und erfährt aus erster Hand, welche Probleme, Ängste usw. insbesondere mit Verurteilung und Vollzug verbunden sind. Auch kann so schon früh der Umgang mit wirklichen Fallschilderungen gelernt werden, die sich bekanntlich um Welten von den universitären Klausursachverhalten unterscheiden.
Die meisten Gefangenen sind nach dem Urteil nicht mehr anwaltlich vertreten. Aus diesem Grund wird das Angebot der Rechtsberatung gerne angenommen. Dass die BeraterInnen in erster Linie StudentInnen sind und schwierigere bzw. sehr spezielle Rechtsfragen nicht immer sofort und ohne Rückgriff auf die Literatur beantwortet werden können, wird dabei akzeptiert. Ein umso wichtigerer Aspekt der Rechtsberatung ist dafür die Kontinuität. Die Gefangenen verlassen sich darauf, daß die Leute wiederkommen und an ihrem Problem gearbeitet haben.

Der "Verein für Rechtshilfe" als Modell für andere Universitäten?

In Bremen ist die Rechtsberatung seit vielen Jahren von den Beteiligten anerkannt. Dies sollte anderen Universitäten als Beispiel dienen, zu versuchen, eigene Beratungsprojekte zu etablieren.4 Zu beachten sind hierbei jedoch verschiedene Probleme, aufgrund derer das Bremer System nicht ohne weiteres auf andere Bundesländer übertragbar ist.
Nicht-anwaltlicher Rechtsberatung steht in Deutschland das noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Rechtsberatungsgesetz entgegen. Dieses untersagt die Besorgung fremder Rechtsgeschäfte (von einigen Ausnahmen, z.B. Mietervereinen, Verbraucherzentralen u.ä. abgesehen) durch Personen, die keine zugelassenen RechtsanwältInnen sind.
In Bremen gilt eine abweichende Regelung aufgrund einer Durchführungsverordnung aus dem Jahre 1949,5 die das sonst bundeseinheitlich geltende Rechtsberatungsgesetz in einem entscheidenden Punkt modifiziert: in Bremen ist nur die gewerbsmäßige Rechtsberatung beschränkt, wovon nach Rechtsprechung 6 und Literatur 7 nur die entgeltliche regelmäßige Tätigkeit erfasst ist.
In anderen Bundesländern müssten andere Wege gefunden werden. Die Suche nach Alternativen wird neuerdings auch für den Bremer Verein selbst interessant, da z. Z. auf Bundesebene eine Initiative zur Bereinigung des Anwaltschaftsrechtes läuft, durch die auch die genannte Bremer Verordnung zum Rechtsberatungsgesetz aufgehoben werden soll.
Gesprächskreise von "Außenstehenden" mit Insassen werden vom Rechtsberatungsgesetz beispielsweise nicht berührt. Solche Gruppen finden mit oder ohne Anbindung an eine Universität, mit oder ohne Begleitung durch einen Hochschullehrer in vielen Vollzugsanstalten ohnehin regelmäßig statt. Beispiele hierfür sind Gesprächskreise für ausländische Gefangene oder die Gruppen der Anonymen Alkoholiker. Die Beantwortung individueller rechtlicher Fragen im Rahmen einer solchen Gruppensitzung würde jedoch einen Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz bedeuten und wäre demnach nicht zulässig.
Allgemeine juristische Fragen dürfen durch jedermann vorgestellt werden, nur die individuelle Beratung ist vom Rechtsberatungsgesetz betroffen. Denkbar sind dementsprechend regelmäßige Termine im Stile einer "Vorlesung Vollzugskunde".
Ein weiterer Weg ist ein erweitertes Vereinsmodell, in dem auch Gefangene Mitglied sind (vergleichbar bspw. dem Modell der Mietervereine, ähnlich auch bei ASten). Grundsätzlich darf ein Verein ungehindert von den Beschränkungen des Rechtsberatungsgesetzes seine Mitglieder in Rechtsfragen individuell beraten.
Studentische Gruppen können in Zusammenarbeit und nach Absprache mit der Rechtsanwaltskammer die Vollzugsanstalten aufsuchen und mit potentiellen Mandanten ein erstes sondierendes Gespräch führen. Die StudentInnen können Kontakte herstellen, sich die Fallschilderung anhören, auswerten und auf dieser Grundlage den Fall für einen Anwalt vorbereiten, an den sie ihre Informationen abschließend weiterleiten.
Denkbar ist schließlich auch eine Kooperation mit der jeweiligen Vollzugsanstalt im Rahmen des § 73 StVollzG i.V.m. § 154 Abs. 2 StVollzG. Die Anstalt kann die ihr obliegende Aufgabe, den Gefangenen bei der Wahrnehmung seiner Rechte und Pflichten zu unterstützen an einen Dritten (auch eine aus StudentInnen bestehende Arbeitsgruppe) abgeben. Natürlich sind noch andere Lösungen denkbar.
Das wachsende Interesse an der Arbeit des Vereins zeigt, dass Anlaß zur Hoffnung besteht, dass das Modell anderenorts aufgegriffen werden könnte. So wird unter Federführung der LAG Strafvollzugs von Bündnis 90/Die Grünen im Nds. Landtag derzeit geprüft, ob und wo sich in Niedersachsen ein vergleichbares Modell etablieren lässt.

Kai Bammann ist Mitarbeiter am Strafvollzugsarchiv der Universität Bremen.

Literatur:

Altenhoff, Rudolf/ Busch, Hans/ Chemnitz, Jürgen, Rechtsberatungsgesetz (RBerG). Kommentar, Münster 1993.
Feest, Johannes, Rechtsberatung im Gefängnis, in: Müller-Dietz, Heinz/ Walter, Michael (Hg.), Strafvollzug in den 90er Jahren. Festgabe für Karl-Peter Rotthaus, 1995, 151 ff.
Feest, Johannes (Hrsg.), Kommentar zur Strafvollzugsgesetz. Alternativkommentar, 2000 (erscheint im August).
Projektgruppe Rechtsberatung, Rechtsberatung im Strafvollzug, in: Rasehorn, Theo (Hg.) Rechtsberatung als Lebenshilfe, 1979, 189 ff.
Rennen, Günter/ Caliebe, Gabriele, Rechtsberatungsgesetz mit Ausführungsverordnungen, 1992.
Verein für Rechtshilfe im Justizvollzug des Landes Bremen e.V. (Hg.), Jahresbericht 1998, 1999.
Kontaktadresse:
Strafvollzugsarchiv, z.H. Kai Bammann, Universität - FB 6, Postfach 330 440, 28334 Bremen
Oder im Internet: http://www-user.uni-bremen.de/~sva - email: sva@uni-bremen.de

Anmerkungen:

1 Vgl. hierzu: Projektgruppe Rechtsberatung, 1979
2 Satzung abgedruckt in: Verein für Rechtshilfe 1999
3 Vgl. hierzu Feest 1995, 154
4 In diesem Sinne auch Feest 1995
5 Abgedruckt bei Rennen/Caliebe 1992, Anh. 20
6 vgl. BVerwG NJW 1992, 552 f.
7 h.M. vgl. Rennen/Caliebe 1992, Art. 1 § 1 Rz. 4; Altenhoff/Busch/Chemnitz, Vorb. Rz. 9 ff.