Heft 4 / 2001:
grenzenlos beschränkt
MigrantInnenpolitik in BRD und Europa
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Imke Kruse Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Reformbemühungen, und was davon übrig bleibt
Gibt es eine neue Zuwanderungspolitik in Deutschland?
 

Im September 2000 berief Bundesinnenminister Otto Schily die Unabhängige Kommission "Zuwanderung" unter Leitung von Rita Süssmuth (CDU) und erteilte ihr den Auftrag, konkrete Empfehlungen für eine zukünftige Zuwanderungspolitik zu erarbeiten. In der Kommission waren Gewerkschaften, Arbeitgeber, Kirchen, Parteien, Nichtregierungsorganisationen und anderen gesellschaftliche Gruppen vertreten, hinzu kamen Wissenschaftler, Rechtsexperten und ein eingewanderter Unternehmer. Die Zusammensetzung der Kommission war Ausdruck der Suche nach einem gesellschaftlichen und politischen Konsens.

Aufgabe der Kommission war es, den künftigen Zuwanderungsbedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Zuwanderungssteuerung und -begrenzung vorzustellen. Sie sollte Vorschläge für eine Verkürzung der Asylverfahren und die Bekämpfung von Missbrauch unterbreiten und ein Konzept zur Integration der AusländerInnen vorlegen. Zudem hatte sie sich mit der organisatorischen, institutionellen und rechtlichen Umsetzung einer neuen Zuwanderungspolitik befassen. Am 4. Juli 2001 übergab die Kommission dem Innenminister ihren Bericht.

"Es gibt Konzepte, die furioser daherkommen als dieses Einwanderungskonzept - Konzepte, die visionärer tun, die mehr Trara und Tamtam machen. (...) Dieses Konzept tut nicht revolutionär, ist aber revolutionär."1 Die Zuwanderungskommission hat ein Gesamtkonzept zur Gestaltung der Zuwanderung nach Deutschland vorgelegt, das sich von vornherein an dem praktisch Machbaren, dem politisch Umsetzbaren orientierte. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen die heterogene Zusammensetzung der Kommission, in der sich Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern, Mitglieder von Regierungs- und Oppositionsparteien, Flüchtlingsvertreter und Asylrechtsexperten einigen mussten. Zum anderen die besondere gesellschaftliche und politische Brisanz des Themas Zuwanderung, das einen möglichst emotionslosen, realistischen und sachlichen Umgang erforderte. Die Kommission kam ohne Minderheitenvotum aus und gelangte in nur wenigen strittigen Punkten nicht zu einem gemeinsamen Standpunkt.

Der Bericht erkennt an, dass Deutschland Zuwanderung braucht. Als Gründe werden vor allem die demografische Alterung, die zahlenmäßige Schrumpfung der deutschen Bevölkerung sowie Engpässe in bestimmten Arbeitsmarktbereichen angeführt. Die Folgen dieser Entwicklungen lassen sich nach Einschätzung der Kommission durch Zuwanderung nicht verhindern, wohl aber abschwächen. Sie nimmt Abstand von dem Versuch, Zahlen für die gesamte Zuwanderung festzulegen und weist auf die Grenzen der Steuerungsmöglichkeiten z.B. durch bindende rechtliche und politische Vorgaben im Asylbereich und beim Familiennachzug hin. Eine Aufrechnung der arbeitsmarktorientierten und der humanitären Zuwanderung lehnt sie mit Hinweis auf die unterschiedlichen Ziele ab.

Arbeitsmarktzuwanderung

Im Zentrum der Kommissionsvorschläge steht ein Zuwanderungsmodell für ausländische Arbeitskräfte, bei dem es vorrangig um gut qualifizierte Menschen geht. Das Modell eröffnet verschiedene Zuwanderungswege für Engpassarbeitskräfte, Führungskräfte aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung, ExistenzgründerInnen, Auszubildende und Studierende sowie die Möglichkeit zum Daueraufenthalt über ein Punktesystem. Des weiteren sieht die Kommission auch einen Zuwanderungsbedarf für geringer qualifizierte Arbeitskräfte.

Die Überlegungen zur Arbeitsmarktzuwanderung vernachlässigen aber ein sehr grundsätzliches Problem: Während darüber diskutiert wird, wie viele ausländische Arbeitskräfte Deutschland wirklich braucht, um Arbeitsmarktengpässe abzubauen und die sozialen Sicherungssysteme zu finanzieren, wird viel zu wenig danach gefragt, ob denn die willkommenen hoch qualifizierten AusländerInnen überhaupt nach Deutschland kommen wollen. Die Kommission spricht an verschiedenen Stellen ihres Berichtes vom Wettbewerb um die "besten Köpfe", obwohl grundsätzlich fraglich ist, ob Deutschland in dieser Liga spielen kann. Zwar erkennt der Bericht die Notwendigkeit an, hoch qualifizierten ZuwanderInnen den sofortigen Daueraufenthalt und den Familiennachzug zu ermöglichen, doch müssten weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Attraktivität Deutschlands - beispielsweise in der Bildungs- und Hochschulpolitik - folgen, damit ein solches Zuwanderungskonzept überhaupt Erfolg haben kann.

Asylrecht

Die Kommission hält an dem im Asylkompromiss von 1993 vereinbarten Art. 16 a Grundgesetz (GG) und dem darin festgelegten Grundrecht auf Asyl fest. Zur Beschleunigung der Asylverfahren wird das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) zu einer intensiveren Sachverhaltsaufklärung im Verwaltungsverfahren und zu einer besseren Begründung der Bescheide aufgefordert. Traumatisierte Personen sollen besser auf das Verwaltungsverfahren vorbereitet und Antragsteller über ihre rechtliche Situation aufgeklärt werden. Zudem will die Kommission das Amt des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten sowie die Weisungsunkabhängigkeit des/der EinzelentscheiderIn abschaffen und das Folgeantragsverfahren neu regeln. Eine weitere Beschränkung des Instanzenzuges sowie die Einführung eines/einer obligatorischen EinzelrichterIn lehnt sie ab. Das Verwaltungsverfahren vor dem BAFl und das anschließende Verwaltungsgerichtsverfahren sollen innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden. Die Verwaltungsgerichte sollen gesetzlich dazu verpflichtet werden, innerhalb von sechs Monaten nach Klageerhebung mündlich zu verhandeln, und die Oberverwaltungsgerichte müssen innerhalb von zwei Monaten über die Zulassung der Berufung entscheiden.

Zur Bekämpfung von "Asylmissbrauch" schlägt die Kommission vor, Daten und Fotos von Pässen, die keinem/keiner InhaberIn zugeordnet werden können, sowie die Fotos illegal eingereister AusländerInnen, die ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen, zentral zu speichern. Dabei versteht die Kommission unter "Asylmissbrauch" einen unberechtigten Aufenthalt durch Zweckentfremdung der Rechts- und Verfahrensgarantien des Asyl- und Ausländerrechts, durch Unterlassen der Ausreise und durch Vereitelung der Abschiebung. 2 Außerdem sollen Rückkehr- und Rückführungshindernisse abgebaut und die freiwillige Rückkehr gefördert werden. Die Kommission fordert Rechtsgrundlagen für das Kopieren der Pässe von AntragsstellerInnen und - in "bestimmten Fallkonstellationen" 3 - für eine Visumserteilung, die abhängig vom Einverständnis des/der AntragstellerIn zur Abnahme ihrer Fingerabdrücke ist.

Die Kommission stimmt der Notwendigkeit der Schutzgewährung bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung zu. Ihre Mitglieder sind sich aber uneinig darüber, ob sich eine solche Schutzgewährung bereits aus der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. aus dem deutschen Ausländergesetz ergibt oder ob es neuer rechtlicher Regelungen bedarf. Weiter fordert die Kommission eine weitgehende rechtliche Gleichstellung der Konventionsflüchtlinge nach § 51 Abs. 1 Ausländergesetz mit den politisch Verfolgten, die nach Art. 16a Abs. 1 GG asylberechtigt sind. Im Bereich der Duldung schlägt sie zur Verhinderung von Kettenduldungen - und damit der Verlängerung eines quasi-illegalen Status - vor, die Duldung nach Ablauf der Duldungsfrist in eine Aufenthaltsbefugnis umzuwandeln, wenn unklar ist, wie lange die Abschiebung noch ausgesetzt werden muss. Die Kommission nimmt Abstand von einer allgemeinen Härtfallregelung für die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen und einem diesbezüglichen Ermessensspielraum für den/die zuständige MinisterIn.

Die Handlungsfähigkeit von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Asylverfahren soll erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres einsetzen, und Clearingverfahren sollen aussichtslose Asylverfahren unbegleiteter Minderjähriger verhindern. Zudem ist die bundesdeutsche Rücknahme der Erklärungsvorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention zu überprüfen.

Die generelle Vermutung eines Kriegsfolgenschicksals für SpätaussiedlerInnen aus der ehemaligen Sowjetunion soll nach Auffassung der Kommission bestehen bleiben. Die Regelungen der Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sollen auf die jüdischen Religionsgesetze abgestellt werden, nach denen nur die Person jüdisch ist, die von einer jüdischen Mutter abstammt oder die nach Regeln des Rabbinatsgerichts zum Judentum übergetreten ist.

Personen und Organisationen, die illegal in Deutschland lebende ZuwanderInnen unterstützen, sollen nach Vorstellung der Kommission nicht strafrechtlich wegen Hilfeleistung zum illegalen Aufenthalt belangt werden können. Zudem sollen Schulen nicht verpflichtet werden, Kinder von im Land lebenden Illegalen den Behörden zu melden.

Mit diesen Vorschlägen unterstreicht die Kommission ausdrücklich die humanitären Verpflichtungen Deutschlands und beendet endlich die Diskussion um eine Umwandlung des Grundrechts auf Asyl nach Art. 16a GG in eine institutionelle Garantie. Die von ihr vorgesehene Vereinfachung der Aufenthaltstitel ist seit langem überfällig und im internationalen Vergleich dringend erforderlich. Mit ihrem Votum gegen die Kettenduldung erkennt die Kommission an, dass der quasi-illegale Status der Duldung unzumutbar ist. Diese Vorschläge können durchaus als Ausdruck einer politischen Richtungsänderung gewertet werden.

Allerdings liegt im Asylbereich auch einer der größten Defizite der Kommissionsempfehlungen: Obwohl alle Kommissionsmitglieder die Schutzbedürftigkeit bei nichtstaatlicher und bei geschlechtsspezifischer Verfolgung anerkennen, konnte über eine ausdrückliche Verankerung der Schutzgewährung im Ausländergesetz keine Einigkeit erzielt werden. Mit dieser Position fällt die Kommission weit hinter europäische Standards und internationale Realitäten zurück und erweist Innenminister Schily, der die Aufnahme nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund vehement ablehnt, einen - bedauernswerten - Dienst.

Zu vage bleibt die Kommission auch bei der Problematik der im Land lebenden Illegalen. Hier hätte es weitreichenderer Empfehlungen beispielsweise zur Arbeitsmarktsituation von Illegalen bedurft, die als illegal Beschäftigte zumeist ausgebeutet und schlecht bezahlt werden. Aufgrund der drohenden Abschiebung haben sie oftmals keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen und ihre Situation zu verbessern. Eine weitreichende Auseinandersetzung mit der rechtlosen Situation von Illegalen in Deutschland hat bedauerlicherweise nicht stattgefunden, weshalb dringend notwendige Vorschläge zur Verbesserung ihrer inhumanen Lebenssituation ausgeblieben sind.

Integration

Die integrationspolitischen Empfehlungen der Kommission konzentrieren sich auf die Erstförderung: Erwachsene NeuzuwanderInnen mit dauerhafter Aufenthaltsperspektive und bereits im Land lebende ZuwanderInnen sollen in Integrationskursen mit der deutschen Sprache, der politischen Ordnung und der Funktionsweise des Arbeitsmarktes vertraut gemacht werden.

Die Familie stellt einen Dreh- und Angelpunkt des Integrationskonzepts dar, weshalb der Nachzug der Kernfamilie als vorrangig erachtet wird. Das Höchstalter für den Nachzug von Kindern soll von 16 auf 18 Jahre angehoben werden. In Deutschland geborene oder aufgewachsene Kinder und Jugendliche sollen bei Straffälligkeit nicht ausgewiesen, ihre Straftaten statt dessen mit den Mitteln des deutschen Strafrechts geahndet werden.

Ein Anfang oder schon das Ende?

Die Kommission hat bereits mit ihrer Gründung eine wichtige Aufgabe erfüllt: Sie hat Zuwanderung in Deutschland zu einem öffentlich diskutierten Thema gemacht und eine realpolitische Debatte erzwungen. Die Einberufung der Kommission löste einen zwischenparteilichen Wettbewerb um die besseren Konzepte aus, der die christlichen Parteien letztlich gezwungen hat, Deutschland als ein Einwanderungsland anzuerkennen.

Die Kommissionsempfehlungen hätten aber an vielen Stellen innovativer sein können. So geht die Kommission in ihren Vorschlägen von einem traditionellen Familienbegriff aus, der homosexuelle Lebensgemeinschaften ausschließt. Klassische Einwanderungsländer wie z.B. Kanada sind hier wesentlich fortschrittlicher und bedenken diese Lebensformen bei ihren Regelungen zum Familiennachzug. Allerdings scheint Innovation nicht das vorrangige Ziel der Unternehmung gewesen zu sein. Zu sehr wurde während der zehnmonatigen Arbeit an die politische Mehrheitsfähigkeit und den gesellschaftlichen Konsens sowie die Akzeptanz bei der deutschen Bevölkerung gedacht. Am Ende hat aber vielleicht gerade dieses zur Überzeugungskraft des Konzeptes beigetragen.

Großer Jubel erscheint in jedem Fall verfrüht. Wie erfolgreich die Arbeit der Kommission letztlich war, wird erst das Gesetzgebungsverfahren zeigen. Trotz der allerorts hörbaren Rufe nach Konsens, Gemeinsamkeit und parlamentarischer Übereinstimmung distanzierten sich CDU und CSU umgehend von den Empfehlungen der Kommission. Sie warfen der Kommission vor, zu stark auf Zuwanderungserweiterung gesetzt und nur unzureichend die "Notwendigkeit einer Zuwanderungsbegrenzung mit Blick auf die Integrationsfähigkeit der Bundesrepublik"4 berücksichtigt zu haben.

Das Schilykonzept

Diesem Vorwurf von CDU/CSU ist auch der Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz ausgesetzt, den Innenminister Schily Anfang August vorgelegt hat. Spätestens hier jedoch wird er gänzlich lächerlich, denn Schilys Entwurf lässt nicht mehr viel übrig von dem, was die Kommission an erweiterten Zuwanderungswegen schaffen wollte: Der Gesetzentwurf sieht lediglich noch die Zuwanderung von Höchstqualifizierten vor. Um zumindest einen letzten Anschein der Reformbemühungen zu wahren, ist das Punktesystem zwar enthalten, es kann aber nur zum Einsatz kommen, wenn das neu zu schaffende Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - unter Federführung des Innenministers - festgestellt hat, dass diese Art von Zuwanderung notwendig ist. 5 Eine Zuwanderung niedrig qualifizierter Arbeitskräfte, wie sie die deutsche Wirtschaft fordert, lehnt der Innenminister mit diesem Gesetzentwurf ab. Die von der Kommission vorgeschlagene grundlegende Neuorientierung der arbeitsmarktbezogenen Zuwanderung ist im Entwurf somit nicht wiederzufinden.

Im Bereich der Asylpolitik geht der Ministerentwurf noch einen Schritt weiter, indem er Reformvorschläge nicht nur ignoriert, sondern sie ins Gegenteil verkehrt: Statt der von der Kommission vorgeschlagenen Anhebung des Kindernachzugsalters auf 18 Jahre schlägt der Innenminister eine Senkung auf 12 Jahre vor. Einzig die Kinder Höchstqualifizierter sollen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres nachziehen können, womit die schon im Kommissionsbericht angelegte Tendenz zur Ungleichheit zwischen den AusländerInnen unübersehbar in einem "Nachzug erster und zweiter Klasse" 6 manifestiert wird. Die Duldung schafft der Gesetzentwurf gänzlich ab, ohne allerdings einen Ersatz vorzusehen. Es bleibt unklar, nach welchen Kriterien die in Deutschland lebenden geduldeten Flüchtlinge künftig eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können, wer von ihnen eine "Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung" 7 bekommt und wie viele Menschen ohne rechtlichen Status bleiben. Es ist zu befürchten, dass ein Großteil der Geduldeten in die Illegalität gedrängt wird.

Ein Grundrecht auf Asyl 8 oder eine Gewährung des so genannten "kleinen Asyls" 9 für Opfer nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung lehnt der Innenminister mit seinem Entwurf ab und stellt sich damit gegen die europäische Praxis. Weiter vorgesehen ist eine Kürzung der Leistungen für Asylbewerber. Die Entscheidung zur Asylanerkennung soll nach drei Jahren noch einmal hinsichtlich einer veränderten Situation im Herkunftsland überprüft werden. Anstelle einer Härtefallregelung legt der Innenminister einen Vorschlag zur "Legalisierung" des Kirchenasyls vor: Besonderen humanitären Interessen soll dadurch Rechnung getragen werden, dass ein befristetes Aufenthaltsrecht für Personen gewährt werden kann, wenn die damit verbundenen Kosten von international tätigen Körperschaften, beispielsweise den Kirchen übernommen werden. 10 Erhebliche Verschärfung erfährt das Asylrecht im Bereich der so genannten "gewillkürten Nachfluchtgründe": Wenn der/die AusländerIn erst in Deutschland politisch aktiv geworden ist und ihn/ihr in Folge dessen Verfolgung im Herkunftsland droht, soll dies im Asylfolgeantragsverfahren künftig nicht mehr berücksichtigt werden.11

Gänzlich unberücksichtigt lässt der Gesetzentwurf des Innenministers den Abschiebungsschutz für straffällig gewordene Jugendliche, die in Deutschland geboren bzw. aufgewachsen sind. Auch ein verbesserter Schutz unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge gemäß der UN-Kinderrechtskonventionen wird es nicht geben.

Unter dem Vorwand angeblicher Konsenssuche ging der Innenminister mit diesem Entwurf weit auf die Unionsparteien zu, ignorierte dabei den eigenen Koalitionspartner und machte deutlich, dass es keine weitreichenden Neuerungen in der deutschen Zuwanderungspolitik geben wird. Dies rief kaum Widerstand hervor. Zwar äußerten Kirchen und Flüchtlingsvertreter unmittelbar nach der Veröffentlichung des Gesetzentwurfes ihre Kritik, der Koalitionspartner aber hielt sich zurück. Es dauerte lange, bis die Grünen sich wieder an ihre eigenen Überzeugungen erinnerten und die Koalitionsdisziplin aufgaben. Zu dem Zeitpunkt aber, als die Grünen endlich klar machten, dass es eine Absenkung des Kindernachzugsalters, eine Schlechterstellung der Geduldeten sowie die Leistungskürzung für AsylbewerberInnen mit ihnen nicht geben werde, stellten die Terroranschläge in New York und Washington die Welt auf den Kopf. Plötzlich ist kein Raum mehr da für inhaltliche Auseinandersetzungen, für Reformen, für eine weltoffene Zuwanderungspolitik. Statt dessen spricht der Innenminister von einer Überprüfung aller Asylbewerber durch den Verfassungsschutz und findet damit breite Zustimmung. Nachdem die Bundesregierung zunächst verlauten ließ, eine neue Zuwanderungsregelung werde es vor der Bundestagswahl 2002 nun nicht mehr geben, wird mittlerweile wieder an dem Plan festgehalten, in den nächsten Wochen einen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen, der noch bis Ende des Jahres verabschiedet werden und zu einem Zuwanderungsgesetz führen soll. Wenn die Ereignisse in den USA aber unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus zum Anlass genommen werden, das deutsche Asylrecht noch restriktiver zu gestalten, ist für einen Politikwechsel kein Platz. Noch vor wenigen Monaten sah es so aus, als wäre eine Neuorientierung in der deutschen Zuwanderungspolitik möglich. Jetzt wird deutlich: Einen ungünstigeren Zeitpunkt könnte es für eine zukunftsfähige Regelung kaum geben.

Imke Kruse studiert in Potsdam Geschichte und Politikwissenschaften und ist Mitarbeiterin der Geschäftsstelle der Kommission "Zuwanderung".

1 Heribert Prantl. Ein deutscher Expeditionsbericht. In: Süddeutsche Zeitung (SZ), 4. Juli 2001, S. 4.
2 Vgl. Bericht der Unabhängigen Kommission "Zuwanderung". Zuwanderung gestalten, Integration fördern. Berlin 2001, S. 146.
3 Bericht der Unabhängigen Kommission "Zuwanderung", a. a. O., S. 156.
4 Philip Grassmann und Joachim Käppner. CDU bei Einwanderung auf Konfrontationskurs. In: SZ, 5. Juli 2001, S. 1.
5 Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz - ZuwG), §20, S. 15.
6 Presseerklärung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom 23.8.2001.
7 Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz - ZuwG), Begründung, S. 121.
8 gefordert im Beschluss des Parteirates von Bündnis 90/Die Grünen vom 13.11.2000, S. 5.
9 gefordert im Zuwanderungskonzept der FDP-Bundestagsfraktion, S. 6.
10 Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung, a. a. O., Begründung, S.148.
11 Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung, a. a. O., Begründung, S. 124.