Heft 4 / 2001:
grenzenlos beschränkt
MigrantInnenpolitik in BRD und Europa
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Politische Justiz
 

Göteborg und Genua: Sommer der Eskalation

Der Sommer 2001 war von zwei Groß-Gipfeln und den in diesem Zusammenhang stattfindenden Protesten gegen die kapitalistische Globalisierung geprägt: dem EU-Gipfel vom 14. bis 16. Juni in Göteborg und dem G8-Gipfel vom 19. bis 22. Juli in Genua.

Nicht nur der Einsatz der Polizei gegen linke AktivistInnen war besonders drastisch.

Bemerkenswert ist auch, wie sowohl die schwedische als auch die italienische Justiz sich an der Repression der AktivistInnen beteiligte. In Italien saßen auch Wochen nach dem Gipfel noch Menschen z.T. nach mehreren Haftprüfungen noch in U-Haft, obwohl sich die Vorwürfe fast ausschließlich auf nahezu schwachsinnige Indizien stützen. So reichte das Mitführen von schwarzer Kleidung und von Dingen des täglichen Reisegebrauchs, um von der italienischen Justiz der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung (dem von der Justiz hochstilisierten "Black Bloc") verdächtigt zu werden.

Auch die schwedische Justiz zeigte nichts von der ihr sonst nachgesagten Liberalität. Bis Anfang September wurden bereits 19 Verurteilungen gemeldet. Dabei wurden vielfach sogar mehrjährige Gefängnisstrafen ohne Bewährung verhängt, teilweise auch gegen Menschen ohne Vorstrafen. Die Ermittlungen gegen die Polizisten, die auf DemonstrantInnen geschossen hatten, haben dagegen noch keine nennenswerten Ergebnisse erbracht.

Aber auch der deutsche Staatsapparat hat sich an der Repression gegen linke AktivistInnen beteiligt. Die rechtlichen Regelungen, die ursprünglich mit dem Ziel erlassen wurden, organisierte Hooligans an Krawallen im Ausland zu hindern, wurden nun mit der Verhängung von Ausreiseverboten mit polizeilichen Meldeauflagen gegen links-politische AktivistInnen angewendet. Dies geschah zum großen Teil lediglich aufgrund der Tatsache, dass gegen die betreffenden Personen einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde bzw. sie irgendwann einmal festgenommen wurden.

§ 129-Verfahren in Leipzig

Zum wiederholten Male hat sich in Leipzig die wahre Funktion des § 129 Strafgesetzbuch gezeigt: Der Ausforschungsparagraph wurde hier von April 2000 bis Mai 2001 - über ein Jahr - zu Ermittlungen gegen die dortige Szene genutzt. Die Ergebnisse waren wie immer spärlich, das Verfahren wurde schließlich mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Ganz erheblich dürften jedoch die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen einschließlich ihres Umfelds gewesen sein. Bei Ermittlungen zu § 129 sind den Staatsschutzbehörden u.a. Überwachungen des Telekommunikationsverkehrs, langfristige Observationen und der Einsatz von verdeckten ErmittlerInnen möglich.

Es ist davon auszugehen, dass in diesem Verfahren eine Menge Informationen über AktivistInnen der linken Szene gesammelt wurde, die jetzt sicherlich nicht sofort in den Papierkorb wandern, sondern fleißig weiter genutzt werden. Gut möglich ist auch, dass dies ewig so weiter gegangen wäre, wenn nicht eine Kleine Anfrage der PDS im Sächsischen Landtag das Verfahren an die Öffentlichkeit gebracht hätte. Neun Tage nach dem Eingang der Anfrage bei der Staatskanzlei wurde das Verfahren eingestellt: es fällt schwer, hier keinen Zusammenhang zu sehen.

Unnötige U-Haft

Ein Beispiel für völlig unnötige und sinnlose Verhängung von Untersuchungshaft spielte sich im Juli / August in Aachen ab. Der Antifa-Aktivist Kurt K. wurde dort auf offener Straße verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Der Grund: ein laufendes Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs und kein fester gemeldeter Wohnsitz. Die Hintergründe: Der angebliche Landfriedensbruch soll sich im April 1998 zugetragen haben und Kurt K. hat die ganze Zeit über in Aachen gewohnt und gelebt - er hat sich lediglich seit den Volkszählungsprotesten 1987 geweigert, sich polizeilich zu melden. Dass den staatlichen Stellen sein tatsächlicher Aufenthaltsort bekannt war - wie aufgrund des ständigen antifaschistischen Engagements von Kurt K. zu erwarten - räumte der Staatsanwalt während des mündlichen Haftprüfungstermins auch ein. Dieser fand allerdings erst am spätestmöglichen Termin, 14 Tage nach der Verhaftung, statt, obwohl die Anwältin des Verhafteten bereits drei Tage nach der Verhaftung Kontakt zum Haftrichter aufgenommen und die Entrichtung einer Kaution angeboten hatte. Die Haftprüfung endete erwartungsgemäß mit der Freilassung von Kurt K. gegen Kaution und Meldeauflagen.

Nicht demonstrieren!

Eine prompte Antwort mit der klaren Botschaft "Nicht demonstrieren!" gab der Münchener Staatsschutz auf eine Kundgebung für die Aufhebung des PKK-Verbots und die Anerkennung der kurdischen Identität. Obwohl die Versammlungsleiter alle Schritte mit den Behörden zuvor abgeklärt hatten, wurde vom Staatsschutz in der Kundgebung eine Unterstützung der verbotenen PKK gesehen. Die Versammlungsleiter Nick Brauns und Haci Erdogan wurden für mehrere Stunden festgenommen, verhört und erkennungsdienstlich behandelt. Gleichzeitig fanden Durchsuchungen der Privatwohnungen der beiden sowie eines kurdischen Kulturhauses statt, wo sämtliche Computer beschlagnahmt wurden.

PDS-Stadtrat wegen CASTOR-Protest verurteilt

Der Göttinger PDS-Stadtrat Patrick Humke wurde im August 2001 wegen angeblichen Widerstands gegen einen Polizeibeamten im Rahmen einer CASTOR-Protestaktion verurteilt. Neben der Geldstrafe von insgesamt 1.500 DM (25 Tagessätze zu 60 DM) hat Humke auch die Gerichtskosten sowie die Kosten für eine BGS-Zeugin aus Stralsund (Reisekosten und Verdienstausfall) zu tragen.

Dabei gingen nach Angaben aller Anwesenden einschließlich des festnehmenden Polizeibeamten von Patrick Humke keinerlei Tätlichkeiten aus, auch machte er keine Anstalten, sich der Festnahme zu entziehen oder diese in irgendeiner Weise zu behindern.

Zwischen zwei angemeldeten Protestveranstaltungen hatte eine Gruppe von CASTOR-GegnerInnen festgestellt, dass die Bahngleise an einer Stelle nicht abgesperrt waren und hatten spontan die Gleisanlagen betreten, um so symbolisch gegen die rot-grüne Atompolitik zu protestieren. Sie fassten diesen Entschluss in dem Wissen, dass es sich dabei nur um eine Ordnungswidrigkeit handelt, so dass höchstens ein moderates Bußgeld zu erwarten gewesen wäre.

Polizeikessel von Ahaus war rechtswidrig

Das Verwaltungsgericht Münster hat im August 2001 in mehreren Musterverfahren entschieden, dass die massenhaften Ingewahrsamnahmen von DemonstrantInnen anlässlich des CASTOR-Transports im März 1998 rechtswidrig waren. Am 20. März 1998 waren nach Polizeiangaben insgesamt 627 Menschen festgenommen und in sogenannten Gefangenensammelstellen in verschiedenen Städten stundenlang festgehalten worden, teilweise bis zum nächsten Morgen.

Der Grund für die Rechtswidrigkeit war erschreckend einfach und offensichtlich: in keinem Fall war die vorgeschriebene richterliche Entscheidung eingeholt worden. Die Urteile sind rechtskräftig.