Heft 4 / 2001:
grenzenlos beschränkt
MigrantInnenpolitik in BRD und Europa
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Markus Detjen Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Krawallbekämpfung in europäischer Dimension
 

Welche politischen Entscheidungen auf dem G8-Gipfel Mitte Juli in Genua getroffen wurden, ist bereits in Vergessenheit geraten. Im kollektiven Gedächtnis geblieben sind dagegen Bilder von verwüsteten Straßenzügen in der Genueser Altstadt und vor allem die des so genannten "ersten Toten der Anti-Globalisierungsbewegung" - erschossen von einem italienischen Carabinieri.

Für die politisch Verantwortlichen war die Schuldfrage schnell geklärt: Nicht die vom martialischen Auftreten der Polizei massiv geschürte Eskalation der Gewalt war das Problem, nicht die völlige Desorganisation der eingesetzten PolizistInnen. Nein, schuld war allein der gewaltsam agierende Teil der DemonstrantInnen. Das war praktisch in zweierlei Hinsicht. Eine Auseinandersetzung mit den politischen Anliegen der Demonstrationen wurde weitgehend verhindert; zudem kann nun der Knüppel der Repression geschwungen werden.

Einer der ersten Reflexe kam vom diesbezüglich stets bemühten deutschen Innenminister Schily und seinem italienischem Kollegen Scajola: eine EU-"Anti-Krawall-Polizei" muss her! Der Inhalt des präsentierten Vorschlags ist bisher nur andeutungsweise zu erkennen. Gewollt ist die Ausbildung einer Sondereinheit von SpezialistInnen auf europäischer Ebene, die bei zukünftigen Demonstrationen mit nationalen Sicherheitskräften zusammenarbeiten soll. Eindeutig ist hingegen das damit verfolgte Ziel: "Demonstranten darf nicht die Möglichkeit gegeben werden, zu entscheiden, ob, wie und wann eine Konferenz stattfinden kann".

Neben der grundsätzlichen Frage, ob eine solche Truppe nicht nur dazu beiträgt, dass an der Gewaltspirale gedreht wird und bald weitere Tote bei internationalen Großdemonstrationen zu beklagen sind, ist schon die Umsetzung des Vorschlags utopisch. Das beginnt bei organisatorischen Fragen, wie etwa der Kommunikation einer mehrsprachigen Einheit während eines Einsatzes, betrifft aber insbesondere rechtliche Belange. Zu welchen Aktionen ist eine solche Truppe ermächtigt? Welches Recht ist anzuwenden: das des Einsatzortes, der jeweiligen Nationalität der eingesetzten PolizistInnen oder gar ein noch zu schaffendes europäisches Polizeirecht? Wie kann eine effiziente demokratische Kontrolle solcher Verbände gesichert werden, die schon bei Europol erhebliche Probleme bereitet?

Der Vorschlag Schilys erreicht daher vor allem, dass die Diskussion im Nachgang auf die Ereignisse in Genua auf das Verhalten einiger "DemonstrantInnen" beschränkt bleibt, deren militantes Vorgehen schon die mediale Bühne der Gipfelberichterstattung beherrscht hat. Die Forderungen nach einer umfassenden Aufklärung der Prügel- und Schießorgie der in Genua eingesetzten Polizei und nach einer effektiven Kontrolle zukünftiger Einsätze wird daneben schnell versanden.

Die Anti-Krawall-Truppe hat ihren Zweck schon erfüllt: als politisch wohl kalkulierter Sommerlochfüller.

Markus Detjen, Hamburg

Zum weiterlesen:

Beiträge in Bürgerrechte&Polizei / CILIP 69 (2/2001)