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Die Bundesrepublik Deutschland gestaltet ihre Außenpolitik offensichtlich
unter ständiger Missachtung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen. Während
im Juni letzten Jahres das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig "gravierende
völkerrechtliche Bedenken" gegen die deutsche Unterstützung des angloamerikanischen
Angriffkrieges gegen den Irak erhoben hatte (FoR 4/2005), wurde im November
bekannt, dass das Sanitätspersonal der deutschen Streitkräfte in Afghanistan
regelmäßig zum bewaffneten Einsatz abkommandiert wird und die Bundeswehr
somit systematisch gegen grundlegende Normen des humanitären Kriegsvölkerrechts
verstößt.
Den Sanitätseinheiten wurde die umfassende militärische Absicherung der
Garnisonen der in Afghanistan stationierten multinationalen Truppen übertragen.
Hierfür wurden sie sogar am Maschinengewehr eingesetzt, nachdem ihnen
zuvor das Ablegen der Rotkreuzarmbinden befohlen worden war. Diese Praxis
verstößt gegen eindeutige Regelungen der vier Genfer Abkommen von 1949
sowie den beiden Zusatzprotokollen von 1977, wonach das Sanitätspersonal
unter strikten Schutz gestellt wird. Voraussetzung ist allerdings, dass
SanitäterInnen "ausschließlich zum Aufsuchen, zur Bergung, Beförderung
oder Behandlung von Verwundeten und Kranken oder zur Verhütung von Krankheiten
sowie ausschließlich zur Verwaltung von Sanitätseinheiten und -einrichtungen"
verwendet werden. Leisten SanitätssoldatInnen andere militärische Dienste,
verlieren sie den ihnen garantierten Schutzstatus als NichtkombattantInnen.
Deshalb dürfen ihnen im keinen Fall die Erkennungszeichen abgenommen werden.
Als eine Sanitätssoldatin ihren Kommandierenden gegenüber einwandte, dass
ihre Verwendung zu den Sicherungsaufgaben nicht mit den Regeln des humanitären
Völkerrechts in Übereinstimmung zu bringen sei, wurde sie umgehend vom
Dienst suspendiert, nach Deutschland zurückgeschickt und mit einer Disziplinarbuße
belegt. Die Beschwerde der Soldatin gegen diese Maßregelung wurde vom
zuständigen Truppendienstgericht abgewiesen. Es warf der Soldatin vor,
den Dienstbetrieb gestört zu haben, und bescheinigte der Sanitäterin,
dass ihr Handeln "ein bedenkliches Licht auf ihren Charakter" werfe.
Das Verteidigungsministerium bestätigte diese obskure Rechtsauffassung.
Deutschlands Truppen seien in Afghanistan nicht in einem internationalen
bewaffneten Konflikt tätig, demnach würde sich hier auch nicht der Anwendungsbereich
des Kriegsvölkerrechts eröffnen. Die Leugnung des Kriegszustandes hat
allerdings nicht nur zur Folge, dass man das Sanitätspersonal zu Waffengängen
freisetzen kann, sondern auch, dass man sich in den als "Auseinandersetzungen
mit irregulären Kräften" bezeichneten Gefechten ebenfalls nicht an das
internationale Kriegsrecht gebunden fühlen muss.
Stephen Rehmke, Hamburg
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