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Wozu Jura studieren?
2002/2003

Seite 7-9
 
  Die Struktur des Jurastudiums und die Suche nach dem eigenen Weg  
 

Der Beginn eines Studiums bedeutet den Eintritt in ein bis dahin unbekanntes Umfeld. Sucht man in dieser neuen Situation nach Orientierung, so bietet es sich natürlich an, einfach das zu tun was die anderen tun. Bei der derzeitigen Ausgestaltung des Jurastudiums kann dies jedoch dazu führen, ausgetretene Pfade niemals zu verlassen und sich vermeintlichen, von anderen vorgelebten Zwängen vorschnell unterzuordnen. Daher soll hier auf ein paar Besonderheiten des Studiums eingegangen werden. Da einige von diesen eng mit dessen gegenwärtiger Struktur zusammenhängen, wird gleichzeitig ein Überblick über den aktuellen Stand der Reformierung der Ausbildung gegeben.

Der Gang zum Repetitor

Es ist zunächst der Aufbau des Studiums, der zu einigen Besonderheiten führt. An der Universität werden in den Übungen die Scheine gemacht, denen die Studierenden natürlich den meisten Arbeitsaufwand widmen. Die einzelnen Klausuren und Hausarbeiten haben oft nur schwierige, eingegrenzte Spezialprobleme zum Gegenstand, so daß auch bei Bestehen aller Scheine in einem Fach trotz hohen Arbeitsaufwandes nicht gewährleistet ist, daß eine umfassende Beschäftigung mit den Grundlagen und der Systematik des Faches stattgefunden hat.
Dies könnte durch andere Veranstaltungen gewährleistet werden. Hier bietet die Uni jedoch überwiegend Vorlesungen an, die unter didaktischen Gesichtspunkten sehr umstritten sind. Viele Studierende meiden diese veraltete Form des Frontalunterrichtes grundsätzlich, da hier meist weder Fälle gelöst werden noch eine intensive Diskussion zwischen den TeilnehmerInnen stattfindet, wie sie beispielsweise in einer Kleingruppe möglich wäre. Das, was für Verständnis und Anwendung des Rechtes notwendig wäre, lernt sich in vielen Formen besser als in der von der Universität angebotenen Vorlesung.
Diese mangelnde Vorbereitung seitens der Universität steht in krassem Widerspruch zu dem Examen, das am Ende des Studiums steht. In einer Reihe von Prüfungen wird hier die Kenntnis des gesamten Stoffes vorausgesetzt. Dies umfaßt nicht nur die grundlegende Systematik der einzelnen Rechtsgebiete, sondern in den Kernfächern auch eine aberwitzige Menge einzelner Probleme und Theorien. Die Bewältigung dieses Examens erfordert zwischen ein und zwei Jahren intensivster Vorbereitung, und es ist nur folgerichtig, daß sich die Mehrzahl aller Studierenden in dieser Situation vor dem Hintergrund der Stofffülle und der sehr hohen Durchfallquoten überfordert fühlt.
In dieser Situation treten kommerzielle Repetitorien auf den Plan. Sie bieten als private Unternehmen einjährige Crash-Kurse an, in denen das examensrelevante Wissen vermittelt wird. Hierbei vermitteln sie den KursteilnehmerInnen die Sicherheit, daß, wer ihren Kurs besuche, nichts von dem versäume, was examensrelevant ist. Gleichzeitig präsentieren sie sich als einzige Institution, die den Studierenden einen Wegweiser durch eine als undurchschaubar dargestellte Stofffülle bietet. Das Geschäft mit der Angst lohnt sich: in manchen Universitäten besuchen bis zu 90 % der Studierenden ein Repetitorium. Wer seinen Weg außerhalb dieses Weges geht gilt entweder als ziemlich mutig oder ziemlich verrückt. Der Umstand, daß der Rep die Norm ist, führt dazu, daß viele davon ausgehen, ein Examen ohne Rep sei überhaupt gar nicht erst möglich - sonst würden es ja viel mehr Leute machen.

Wachsende Bedeutung der Repetitorien

Ist aber möglich. Doch bevor darauf eingegangen wird, stellt sich die Frage, warum in einem Heft für StudienanfängerInnen bereits die Frage nach einem Weg durch das Examen diskutiert wird. Gerade zu Beginn des Studiums gibt es ja wichtigere Fragen als ausgerechnet das Examen.
Jedoch führt der oben beschriebene Mechanismus zur oft vertretenen These, Jura lerne man eh erst beim Rep, in keinem Falle aber an der Uni. Oder gar durch Selbststudium. Dies hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, daß Repetitorien nicht erst als Dienstleister für die Examensvorbereitung bereitstehen, sondern bereits studienbegleitend ihre Dienste anbieten und sich als helfende Hand für die scheinrelevanten Übungen anbieten. Daher ist eine Auseinandersetzung mit dieser Erscheinung auch für Studierende früherer Semester relevant. Denn der momentane Trend führt zu einer noch früheren Verlagerung der Lehre auf Repetitorien.
Hinzu kommt, daß viele Studierende sich über das für die Scheine notwendige hinaus nur sehr wenig mit ihrem Fach beschäftigen. Denn das Angebot der Uni bleibt unbefriedigend, ein Lernen im Selbststudium führt oft dazu, daß man sich in der uferlosen Stofffülle verzettelt, und zuletzt wird vor dem Examen ja eh alles noch einmal im Repetitorium gelernt. Dies hat den Vorteil, daß man viel Zeit für anderes hat, bringt aber auch den Nachteil mit sich, daß man zu Beginn der Examensvorbereitung mit wenig Selbstbewußtsein und Vertrauen in die eigene Studienorganisation dasteht, was den Gang zum Rep noch einmal naheliegender erscheinen läßt.
Aus der wachsenden Bedeutung der Repetitorien nun ergeben sich etliche unangenehme Begleiterscheinungen: Erstens bedeutet sie eine zunehmende Privatisierung der Lehre, die zu einer finanziellen Belastung der Studierenden führt. So ist im juristischen Betrieb längst das Realität, was in allen anderen Bereichen im Kampf gegen Studiengebühren abgewehrt werden soll: die Studierenden zahlen für ihr Studium.
Neben diesem sozialen Aspekt sprechen aber auch inhaltliche Gesichtspunkte für ein Studium ohne Rep. Repetitorien schulen ihre KundInnen einzig anhand der Frage, was prüfungsrelevant ist und was nicht. Der Blick über den Tellerrand, kritisches Hinterfragen der eingepaukten Inhalte oder gar interdisziplinäre Ansätze bleiben auf der Strecke. So wird der Juristerei noch der letzte wissenschaftliche Anspruch genommen. Gleichzeitig werden die KundInnen einzig so geschult, wie es der Methode des jeweiligen Repetitoriums entspricht. Eine individuelle, selbständige Herangehensweise wird damit eher behindert. Und je früher im Studium sich Studierende auf die Hilfe von Repetitorien verlassen, desto stärker wird verhindert, daß der eigene Lerntyp, der eigene Umgang mit Wissenschaft oder ganz einfach Selbständigkeit im Umgang mit neuen Inhalten erlernt wird.

Alternativen - jetzt erst recht

Das Examen ohne Rep ist eine Alternative, die durchaus von vielen gegangen wird. Und dabei nicht als Notlösung, sondern als Chance begriffen werden sollte. Dabei gibt es verschiedene Wege: die einen lernen ganz für sich alleine, andere besuchen Kurse an der Uni, zuletzt - wohl die am häufigsten gewählte Form - besteht die Möglichkeit, sich mit anderen in einer privaten AG zusammenzutun. Zu diesem Thema ist ein sehr guter Ratgeber erschienen, der eine hervorragende Begleitung von ersten Überlegungen bis zur konkreten Planung des Examens ermöglicht 1 - ein paar Aspekte sollen aber auch hier erläutert werden.
Gerade eine private AG bietet etliche Vorteile. Während das Repetitorium eine vorgegebene, massenkompatible Struktur bietet, beinhaltet eine private AG die Möglichkeit, die Examensvorbereitung ganz nach den Vorstellungen, Stärken und Schwächen der einzelnen Mitglieder selber zu gestalten. Die Examensvorbereitung ohne Rep beinhaltet außerdem die Notwendigkeit, sich die Inhalte selber aktiv zu erarbeiten, was oft zu höherem Lernerfolg führt als das passive Entgegennehmen von vom Repetitorium präsentierten Inhalten und Methoden.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die bereits oben angesprochene Angst, etwas zu verpassen -wenn man sich jedoch einmal eingehend mit den einzelnen Themen beschäftigt, so kristallisiert sich in jedem Rechtsgebiet schnell heraus, was wichtig ist und was nicht. Die von den Repetitorien verbreitete Angst erweist sich in diesem Punkt also schnell als Konstrukt.

...aber warum das Ganze? - Die Diskussion um die Reform des Jurastudiums

Solange das Examen so ist, wie es ist, ist das Examen ohne Rep eine Möglichkeit, den selbstbestimmten Kampf mit Strukturen aufzunehmen, die an einer verkorksten Studiensituation kranken. Aber wie steht es eigentlich mit der Idee, diese Strukturen zu verändern?
Wohl in keinem anderen Studiengang wird seit so langer Zeit so erbittert um eine Reformierung des Studiums und vor allem des Examens gestritten wie es bei JuristInnen der Fall ist. Nachdem dieser Streit sich durch etwa 200 Jahre Juraausbildung zog, wurde eine erste Reform in den siebziger Jahren umgesetzt. Leitgedanken der Reform waren einerseits Verbesserung der Didaktik sowie die Integration von Theorie und Praxis, vor allem jedoch ein Verständnis von Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft. Diese Reform wurde aber, nachdem sie nur in einigen Ländern umgesetzt worden war, 1984 von der CDU/FDP-Koalition rückgängig gemacht.

Vertane Chancen - Das Ergebnis der aktuellen Reform

Bis dann, nach langer Stagnation, 1998 von der Justizministerkonferenz ein Reformentwurf vorgelegt wurde. Dieser enthielt ebenso weitreichende wie umstrittene Vorschläge.2 Nachdem dieser Entwurf sämtliche Stadien einer Diskussion zwischen Politik, Wissenschaft und Interessenverbänden durchlaufen hatte, wurde dies Jahr ein Gesetz verabschiedet, in dem von den ursprünglichen Reformideen nur noch wenig bleibt. Wesentliches wird sich an der Struktur der Ausbildung nicht ändern.
Es bleibt bei der Zweiteilung in Studium und Referendariat. Im Rahmen des Referendariats wird dem Umstand Rechnung getragen, daß ein Großteil aller AbsolventInnen den Anwaltsberuf ergreift, weshalb die Anwaltsstation nun verpflichtend neun Monate ausmacht - diese klare Ausrichtung auf den AnwältInnenberuf jedoch bedeutet die Einschränkung von Möglichkeiten, im Rahmen des Referendariats andere Akzente durch Tätigkeit in anderen Berufsfeldern zu setzen.
Weiterhin wird dem Wahlfach (jetzt "Schwerpunktbereich") im Rahmen des Examens eine größere Bedeutung gegeben. Während die Pflichtfächer weiterhin als Staatsexamen geprüft werden, liegt die Prüfung des Schwerpunktbereiches nun bei den Universitäten und ist von den Bundesländern noch näher auszugestalten.
Außerdem werden ab jetzt sogenannte "Schlüsselqualifikationen gelernt 3 Dies beinhaltet Verhandlungsmanagement, Mediation, Streitschlichtung, Vernehmungslehre und fachspezifische Fremdsprachenkenntnisse sowie einige Grundkenntnisse in Nachbardisziplinen wie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Der Ansatz ist richtig: im Jurastudium wird bisher beinah ausschließlich die reine Dogmatik vermittelt; eine Beschäftigung mit darüber hinausgehenden Inhalten ist sicher sinnvoll und bildete bereits in der Reformdiskussion der siebziger Jahre eine wichtige Forderung. Dennoch wird die Prüfungssituation voraussichtlich verschärft, denn eine klare Vorgabe dafür, an welchen Stellen Prüfungsstoff zugunsten der neuen Inhalte wegfallen soll, um die Studierbarkeit zu gewährleisten, fehlt. Diese Aufgabe wurde an die Fakultäten delegiert, und hier entscheiden die ProfessorInnen. Die Erfahrung lehrt, daß hier einE jedeR das eigene Fach und dessen Feinheiten für so wichtig hält, daß mit einer wesentlichen Verminderung des Prüfungskanons in den Pflichtfächern nicht zu rechnen ist. Was bleibt, ist, daß die stoffliche Überlastung bestehen bleibt, wenn nicht gar verschärft wird - die Chance, einen zentralen Mißstand zu beheben, wurde verpaßt.

Der Freiversuch - schnell gleich gut?

Ein weiterer Punkt ist die immer kürzer werdende Studienzeit. Im Jurastudium wurde vor einigen Jahren der sog. Freiversuch eingeführt. Wer sich nach acht Semestern zum Examen meldet, hat, je nach Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern, ein paar Vergünstigungen: der erste Versuch, wenn er scheitert, zählt nicht als gescheitertere Versuch; gleichzeitig lassen sich die Prüfungen dadurch entzerren, daß einzelne Fächer abgeschichtet werden können, statt alle Prüfungen auf einmal ablegen zu müssen. Die Motivation der Gesetzgebung war hier, dem politischen Zeitgeist entsprechend, die Verkürzung der Studienzeiten.
Der Freischuß erfreut sich großer Beliebtheit, obwohl seine Vorteile bei näherem Hinsehen zweifelhaft sind: daß er nicht zählt, bedeutet, daß man, wenn man durchfällt, das Examen insgesamt dreimal statt nur zweimal versuchen kann. Das mag psychischen Druck nehmen, wenn man beim ersten Versuch gescheitert ist. Bevor man jedoch das Examen dreimal macht überlegt man sich gut, ob man sich tatsächlich fit dafür fühlt. Außerdem beinhaltet die Prüfungsphase selber soviel Streß und Zeitaufwand, daß man - speziell in Ländern mit Hausarbeitsexamen - sich gut überlegt, ob man es tatsächlich einfach nur so mal versuchen möchte. Und auch das Abschichten von Fächern birgt Probleme in sich: die Prüfungsphase, die den Prüflingen viel Belastung abverlangt, kann durchaus ein halbes Jahr dauern; schichtet man ab, so verlängert sich diese Phase noch einmal.
Trotzdem nehmen sehr viele Studierende diese Möglichkeit wahr, und unter JuristInnen herrscht mittlerweile ein Klima, in dem es beinah die Ausnahme ist etwas länger zu studieren. Sich hier nicht dem durch den allgemeinen Trend entstehenden Druck zu beugen, kann ein weiterer Punkt sein, in dem man sich gegen den Trend behaupten muß.

Den eigenen Weg finden

Das Studium in seiner derzeitigen Ausgestaltung läßt einen weiteren, bereits angesprochenen Mangel erkennen. Es ist einseitig auf juristische Dogmatik ausgerichtet; kritische Reflektion der bestehenden Gesetze und der dahinterstehenden politischen Ideen und gesellschaftlichen Konflikte, oder auch die Beschäftigung mit Nachbardisziplinen bleiben meist auf der Strecke. Recht wird gelehrt als reine Rechtsanwendung. Diese Loslösung der Herrschaftswissenschaft Recht von politischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen fordert Engstirnigkeit als juristische Grundeigenschaft geradezu heraus.
Zwar ist eine interdisziplinärere Ausrichtung des Studiums durch die Reform nun angestrebt - es ist aber zweifelhaft, daß hier tatsächlich Möglichkeiten gesucht werden, den Blickwinkel zu erweitern. Vielmehr scheint es eher darum zu gehen, die ökonomische Verwertbarkeit der AbsolventInnen für den AnwältInnenmarkt zu erhöhen, indem sie mit Fremdsprachenkenntnissen und Verhandlungsmanagement für die Praxis fit gemacht werden.
Daher bleibt die Frage bestehen, wie einzelne, die etwas weiter denken wollen, dies an der Uni umsetzen können.
Es gibt auch an der Uni vereinzelt Veranstaltungen, vor allem Seminare, die hierzu Möglichkeit bieten. Sie bieten die Chance, einzelne Bereiche zu vertiefen oder sich mit abgelegeneren, den eigenen Interessen entsprechenden Themen zu beschäftigen.
Gleichzeitig gibt es an vielen Fakultäten politische Gruppen, die im rechtspolitischen Bereich arbeiten. Viele von ihnen sind im BAKJ (Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen) zusammengeschlossen, mit dem auch Forum Recht eng vernetzt ist. Wenn es in Eurer Stadt solche Gruppen gibt - die Adressen sind auf der letzten Seite dieses Heftes - schaut einfach mal vorbei.
Doch auch wer sich einfach so mit weitergehenden Inhalten beschäftigen will, kann dies tun. Es gibt etliche Zeitschriften und Bücher, die sich politischen Bezügen des Rechtes widmen - man muß nur ein bißchen suchen, denn es sind nicht gerade die Standardlehrbücher und Ausbildungszeitschriften, die in der Anfänger-AG empfohlen werden. Eine Leseliste findet sich in dieser Ausgabe (S. 16-19).
Wenn man eigene Interessengebiete findet, vermeidet man nicht nur Ignoranz gegenüber vielfältigen interdisziplinären Bezügen des Rechts, sondern entdeckt vielleicht, abseits des Prüfungskanons, eigene Schwerpunkte und Interessengebiete. Diese können es oft leichter machen, das Interesse für das Fach zu wahren und dadurch auch souveräner durch Phasen zu kommen, in denen man sich mit verpflichtenden Inhalten beschäftigen muß, die einem nicht so liegen. Außerdem helfen sie dabei, ein instrumentelles Verhältnis zum Studium zu entwickeln und die Frage zu klären, was man eigentlich mit dem eigenen Studium erreichen möchte.

Tillman Löhr lebt in Göttingen und ist Referendar.

Fußnoten:

1 Berge, Achim/ Wapler, Frederike/ Rath, Christian, Examen ohne Repetitor, Nomos Verlag, 2. Auflg. 2001
2 vgl. hierzu Funke, in: FoR 2/99, S. 60 f sowie Boysen, in: FoR 2/99, S. 62 f.
3 vgl. hierzu Gehrken, in: FoR 4/01, S. 130 f.