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       Erstaunliche Neuigkeiten aus dem Land Humboldtscher Bildungsideale: Wohl 
        erstmals muß sich eine öffentliche Hochschule vorwerfen lassen, sie greife 
        durch die Verleihung akademischer Grade auf unlautere Weise "in den Wettbewerb" 
        ein und solle dies "unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel" unterlassen. 
         
        So geschehen vor dem Landgericht (LG) und dem Oberlandesgericht (OLG) 
        Köln. Parteien des Rechtsstreits: ein vor dem LG Köln zugelassener Rechtsanwalt, 
        bei der größten deutschen Anwaltssozietät Oppenhoff und Rädler beschäftigt, 
        und die Fachhochschule (FH) Lüneburg. Streitpunkt: der Titel "Diplom-Wirtschaftsjurist(-in) 
        (FH)", den die beklagte FH an die erfolgreichen AbsolventInnen ihres 1994 
        /95 nach langer Diskussion schließlich eingeführten Studiengangs "Wirtschaftsrecht" 
        verleihen will. Damit, so der Kläger, verschaffe sie "als neben bzw. hinter 
        den zukünftigen Absolventen stehende (Mit-) Störerin" diesen die Möglichkeit, 
        erst den Zusatz "Diplom" und dann auch noch "(FH)" so schnell als möglich 
        von der Visitenkarte verschwinden zu lassen. Im Ergebnis werde "bei den 
        betroffenen Verkehrskreisen", wie es im besten JuristInnendeutsch heißt, 
        "die irrige Vorstellung hervorgerufen, der Betreffende sei Volljurist 
        mit der Befähigung zum Richteramt". Auf diese Weise, so muß mensch den 
        Gedankengang fortsetzen, nehmen "bloße FHlerInnen" dem Kläger die besten 
        Plätze an den Fleischtöpfen weg. So weit, so schlimm; schlimmer nur noch, 
        daß auch all die anderen bedroht sind, die durch Uni, Referendariat und 
        Rep zum Richteramt befähigt sich glauben; mensch muß dem klagenden Rechtsanwalt 
        also fast dankbar sein, daß er "erklärtermaßen nicht nur seine eigenen, 
        sondern auch Standesinteressen wahrnimmt".  
        Seine Sorgen sind unsere Sorgen; leicht getrübt nur durch die folgenden 
        Überlegungen: Unter welche Alternative des von ihm geltendgemachten § 
        3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, auf den die Klage gestützt 
        ist, paßt das Verhalten der FH Lüneburg: Ist ein Titel eine irreführende 
        Angabe "über die Beschaffenheit ... oder die Preisbemessung einzelner 
        Waren"? Oder eine schlichte Fehlinformation über "den Besitz von Auszeichnungen"? 
        Kann es eigentlich eine aufschlußreichere Aussage über den Warencharakter 
        menschlicher Arbeit geben als diese Gleichstellung gefälschter Lacoste-Hemden 
        und preisgekrönter Mastochsen mit menschlicher Bildung und ihrer Testierung? 
         
        Dem OLG war das alles offenbar nicht sehr geheuer, so daß es schon für 
        den Vorabentscheid über die Zulässigkeit der Klage den Weg zum Bundesgerichtshof 
        (BGH) geöffnet hat.  
        Inhaltlich ist also nichts entschieden, und doch habe ich selten ein so 
        eindrucksvolles Symbol für den Weg gefunden, den die juristische Ausbildung 
        in den letzten Jahren genommen hat. Denn mit jeder "Studienreform" rückt 
        ja die monetäre Verwertbarkeit juristischer Kenntnisse stärker in den 
        Vordergrund. Komisch nur, daß der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), 
        als anerkannte Verfechterin aller möglichen Liberalisierungen um den Konkurrenzschutz 
        weniger besorgt als unser Kläger, zu dem Rechtsstreit noch immer keine 
        andere Frage einfällt als die, "warum FH-Studiengänge für Studenten und 
        Wirtschaft interessant erscheinen, und ob nicht etwas an der juristischen 
        Ausbildung geändert werden müßte". Als wären die letzten Jahre nicht voll 
        von dem Versuch gewesen, die juristische Ausbildung kürzer, marktgängiger 
        und europaweit "konkurrenzfähiger" zu machen.  
        Aber nicht nur die FAZ wünscht weitere Veränderungen, deren Richtung 
        durch das suggerierte gemeinsame Interesse von StudentInnen und Wirtschaft 
        überdeutlich wird. Die Fachhochschulausbildung soll gemäß dem Konzept 
        der beklagten FH vermitteln, daß die StudentInnen "vor allem Anwälte der 
        wirtschaftlichen Interessen ihrer Unternehmen sind, die im Rahmen des 
        geltenden Rechts möglichst weitgehend verwirklicht werden sollen". Die 
        juristische Hochschulausbildung verabschiedet sich damit von dem Ziel, 
        auf die soziale und politische Komplexität rechtlicher Streitigkeiten 
        vorzubereiten.  
        Alte Visionen der StudentInnenbewegung von größerem, zur Kritik befähigendem 
        Praxisbezug im Studium sind dagegen zwar berechtigter denn je; Hoffnungen 
        aber, diese könnten auf dem Umweg über die FHen Realität werden, sind 
        zur Zeit mehr als kühn. Im Gegenteil: Die etablierten und "zum Richteramt 
        befähigten" JuristInnen scheinen die Herausforderung "Fachhochschule" 
        ernster zu nehmen, als nach einer jahrhundertelangen Geschichte universitärer 
        JuristInnenausbildung zu erwarten war und so läßt sich absehen, daß die 
        Rufe, auch die universitäre JuristInnenausbildung müsse sich an ähnlichen 
        Kriterien wie in Lüneburg ausrichten, in Zukunft eher lauter als leiser 
        werden.  
        Die Inhalte der Ausbildung und die Vorbereitung auf die immer wieder problematische 
        Rolle der JuristInnen in der Gesellschaft stehen dabei mehr denn je im 
        Hintergrund. Um (un-)lauteren Wettbewerb geht es, um nicht mehr und nicht 
        weniger. Viele KollegInnen an der FH, vom Titel und damit von der bloßen 
        Möglichkeit, ihn zu mißbrauchen, vielleicht noch Jahre entfernt, wird 
        Entrüstung überkommen, wenn sie sehen, wie sie durch einen absehbar jahrelangen 
        Rechtsstreit als KonkurrentInnen aus dem Spiel gehalten werden sollen. 
        Zu Recht, aber irgendwie auch blauäugig: Es dominiert die große "Sorge 
        vor einem Verdrängungswettbewerb", so die FAZ und die hat insofern ja 
        meist ihr Ohr am Puls der Zeit.  
      Rainer Kallert studiert Jura in Tübingen und Sozialwissenschaften 
        an der FernUniversität Hagen  
      Literatur:  
      FH Nordostniedersachsen, 3. Fassung der Projektbeschreibung für 
        den grundständigen Studiengang Wirtschaftsrecht der FH Niedersachsen, 
        1993.  
        Kallert, Rainer, Zur Debatte: Jura an die Fachhochschule, Forum 
        Recht (FoR) 2/94, 66 ff. 
        Schreiber, Frank, Deregulierung statt Reglementierung, FoR 3/93, 
        99 ff. 
        Az.: 6 W 84/95. OLG Köln, Umdruck S. 6.  
        OLG Köln, Umdruck S. 2. OLG Köln, Umdruck S. 11. 
        Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) v. 3.2.1996, 35.  
        FH Nordostniedersachsen 1993, 11 f.  
        Vgl. dazu schon Schreiber FoR 3/1993, 99 und meine Entgegnung 
        in FoR 2/94, 66.  
        FAZ v. 3.2.1996, 35.  
         
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