Heft 4 / 1996:
Law Online
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
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Hochschulabschluß als Wettbewerbsverletzung?
Zugleich eine Anmerkung zu einem Beschluss des OLG Köln v. 14.12.1995
 

Erstaunliche Neuigkeiten aus dem Land Humboldtscher Bildungsideale: Wohl erstmals muß sich eine öffentliche Hochschule vorwerfen lassen, sie greife durch die Verleihung akademischer Grade auf unlautere Weise "in den Wettbewerb" ein und solle dies "unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel" unterlassen.
So geschehen vor dem Landgericht (LG) und dem Oberlandesgericht (OLG) Köln. Parteien des Rechtsstreits: ein vor dem LG Köln zugelassener Rechtsanwalt, bei der größten deutschen Anwaltssozietät Oppenhoff und Rädler beschäftigt, und die Fachhochschule (FH) Lüneburg. Streitpunkt: der Titel "Diplom-Wirtschaftsjurist(-in) (FH)", den die beklagte FH an die erfolgreichen AbsolventInnen ihres 1994 /95 nach langer Diskussion schließlich eingeführten Studiengangs "Wirtschaftsrecht" verleihen will. Damit, so der Kläger, verschaffe sie "als neben bzw. hinter den zukünftigen Absolventen stehende (Mit-) Störerin" diesen die Möglichkeit, erst den Zusatz "Diplom" und dann auch noch "(FH)" so schnell als möglich von der Visitenkarte verschwinden zu lassen. Im Ergebnis werde "bei den betroffenen Verkehrskreisen", wie es im besten JuristInnendeutsch heißt, "die irrige Vorstellung hervorgerufen, der Betreffende sei Volljurist mit der Befähigung zum Richteramt". Auf diese Weise, so muß mensch den Gedankengang fortsetzen, nehmen "bloße FHlerInnen" dem Kläger die besten Plätze an den Fleischtöpfen weg. So weit, so schlimm; schlimmer nur noch, daß auch all die anderen bedroht sind, die durch Uni, Referendariat und Rep zum Richteramt befähigt sich glauben; mensch muß dem klagenden Rechtsanwalt also fast dankbar sein, daß er "erklärtermaßen nicht nur seine eigenen, sondern auch Standesinteressen wahrnimmt".
Seine Sorgen sind unsere Sorgen; leicht getrübt nur durch die folgenden Überlegungen: Unter welche Alternative des von ihm geltendgemachten § 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, auf den die Klage gestützt ist, paßt das Verhalten der FH Lüneburg: Ist ein Titel eine irreführende Angabe "über die Beschaffenheit ... oder die Preisbemessung einzelner Waren"? Oder eine schlichte Fehlinformation über "den Besitz von Auszeichnungen"? Kann es eigentlich eine aufschlußreichere Aussage über den Warencharakter menschlicher Arbeit geben als diese Gleichstellung gefälschter Lacoste-Hemden und preisgekrönter Mastochsen mit menschlicher Bildung und ihrer Testierung?
Dem OLG war das alles offenbar nicht sehr geheuer, so daß es schon für den Vorabentscheid über die Zulässigkeit der Klage den Weg zum Bundesgerichtshof (BGH) geöffnet hat.
Inhaltlich ist also nichts entschieden, und doch habe ich selten ein so eindrucksvolles Symbol für den Weg gefunden, den die juristische Ausbildung in den letzten Jahren genommen hat. Denn mit jeder "Studienreform" rückt ja die monetäre Verwertbarkeit juristischer Kenntnisse stärker in den Vordergrund. Komisch nur, daß der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), als anerkannte Verfechterin aller möglichen Liberalisierungen um den Konkurrenzschutz weniger besorgt als unser Kläger, zu dem Rechtsstreit noch immer keine andere Frage einfällt als die, "warum FH-Studiengänge für Studenten und Wirtschaft interessant erscheinen, und ob nicht etwas an der juristischen Ausbildung geändert werden müßte". Als wären die letzten Jahre nicht voll von dem Versuch gewesen, die juristische Ausbildung kürzer, marktgängiger und europaweit "konkurrenzfähiger" zu machen.
Aber nicht nur die FAZ wünscht weitere Veränderungen, deren Richtung durch das suggerierte gemeinsame Interesse von StudentInnen und Wirtschaft überdeutlich wird. Die Fachhochschulausbildung soll gemäß dem Konzept der beklagten FH vermitteln, daß die StudentInnen "vor allem Anwälte der wirtschaftlichen Interessen ihrer Unternehmen sind, die im Rahmen des geltenden Rechts möglichst weitgehend verwirklicht werden sollen". Die juristische Hochschulausbildung verabschiedet sich damit von dem Ziel, auf die soziale und politische Komplexität rechtlicher Streitigkeiten vorzubereiten.
Alte Visionen der StudentInnenbewegung von größerem, zur Kritik befähigendem Praxisbezug im Studium sind dagegen zwar berechtigter denn je; Hoffnungen aber, diese könnten auf dem Umweg über die FHen Realität werden, sind zur Zeit mehr als kühn. Im Gegenteil: Die etablierten und "zum Richteramt befähigten" JuristInnen scheinen die Herausforderung "Fachhochschule" ernster zu nehmen, als nach einer jahrhundertelangen Geschichte universitärer JuristInnenausbildung zu erwarten war und so läßt sich absehen, daß die Rufe, auch die universitäre JuristInnenausbildung müsse sich an ähnlichen Kriterien wie in Lüneburg ausrichten, in Zukunft eher lauter als leiser werden.
Die Inhalte der Ausbildung und die Vorbereitung auf die immer wieder problematische Rolle der JuristInnen in der Gesellschaft stehen dabei mehr denn je im Hintergrund. Um (un-)lauteren Wettbewerb geht es, um nicht mehr und nicht weniger. Viele KollegInnen an der FH, vom Titel und damit von der bloßen Möglichkeit, ihn zu mißbrauchen, vielleicht noch Jahre entfernt, wird Entrüstung überkommen, wenn sie sehen, wie sie durch einen absehbar jahrelangen Rechtsstreit als KonkurrentInnen aus dem Spiel gehalten werden sollen. Zu Recht, aber irgendwie auch blauäugig: Es dominiert die große "Sorge vor einem Verdrängungswettbewerb", so die FAZ und die hat insofern ja meist ihr Ohr am Puls der Zeit.

Rainer Kallert studiert Jura in Tübingen und Sozialwissenschaften an der FernUniversität Hagen

Literatur:

FH Nordostniedersachsen, 3. Fassung der Projektbeschreibung für den grundständigen Studiengang Wirtschaftsrecht der FH Niedersachsen, 1993.
Kallert, Rainer, Zur Debatte: Jura an die Fachhochschule, Forum Recht (FoR) 2/94, 66 ff.
Schreiber, Frank, Deregulierung statt Reglementierung, FoR 3/93, 99 ff.
Az.: 6 W 84/95. OLG Köln, Umdruck S. 6.
OLG Köln, Umdruck S. 2. OLG Köln, Umdruck S. 11.
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) v. 3.2.1996, 35.
FH Nordostniedersachsen 1993, 11 f.
Vgl. dazu schon Schreiber FoR 3/1993, 99 und meine Entgegnung in FoR 2/94, 66.
FAZ v. 3.2.1996, 35.