|
Viele Änderungen hat das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) seit
seiner Einführung 1971 erfahren. Und just zu seinem 25-jährigen Geburtstag
ist das Gesetz in diesem Jahr auf eine noch nicht dagewesene Art "geändert"
worden. Tendenz: Schneller studieren, insgesamt weniger Geld für weniger
Studierende und ein höherer Schuldenberg am Ende der Ausbildung dank privatrechtlicher
Zwangsverträge, genannt Zins-BAföG.
Es war einmal…
Ziel des BAföG sollte es sein, das in Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz verankerte
Sozialstaatsprinzip durch einen Rechtsanspruch "auf individuelle Ausbildungsförderung
[…] für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung"
1 zu gewährleisten. Es sei mit dem verfassungsrechtlichen
Auftrag an den Gesetzgeber zum Ausgleich sozialer Unterschiede nicht vereinbar,
wenn wegen nicht vorhandener gesetzlicher Förderungsmöglichkeiten eine
akademische Ausbildung nicht aufgenommen werden könne, hieß es damals.
2
Diesen hehren Prinzipien folgten leider wenige Taten: Von 1971 bis 1992
sank die Kaufkraft der BAföG-Leistungen um 13 %. Die Zahl der Studierenden
aus einkommensschwachen und bildungsfernen Herkunftsgruppen machen
heute mit Abstand den geringsten Anteil aller Studierenden aus.
3
Statt dessen wurde die SchülerInnenförderung 1983 weitgehend abgeschafft.
4 Das elternunabhängige BAföG gibt es seit 1990 nur
noch in seltenen Ausnahmefällen, und zwischen 1983 und 1990 gab es BAföG
lediglich als Volldarlehen, wodurch die Förderungsquoten auf unter 20
% sanken (1982 wurden noch 37 % aller Studierenden gefördert
5).
Abschaffung oder Änderung?
Seit dem 1. August 1996 ist nun das 18. BAföG-Änderungsgestz (BAföGÄndG)
6 in Kraft. Stets waren Änderungen, auch salopp
"Novellen" genannt, ein Synonym für die weitere Verknappung der materiellen
Grundlagen für ein Studium vieler auf das BAföG angewiesener StudentInnen.
Die traditionelle Form der Förderung - halb Darlehen / halb Zuschuß -
wird es nach den neuen Regelungen nur noch für ein Studium mit verringerter
Förderungsdauer geben. In allen anderen Fällen wird das BAföG durch das
Recht abgelöst, einen privatrechtlichen Darlehensvertrag mit der "Deutschen
Ausgleichsbank" abzuschließen. Der Bankkredit wird dabei von der Auszahlung
an verzinst und ist - zusammen mit den bis dahin gestundeten Zinsen -
sechs Monate nach der letzten Darlehensüberweisung zurückzuzahlen. Leistungs-
und Sozialerlasse, wie sie bislang für die BAföG-Darlehen galten, werden
nicht mehr gewährt.
Zu den Regelungen im einzelnen: Die Förderungshöchstdauer (FHD)
war bislang für die Mehrzahl der geförderten Studiengänge je nach Fach
unterschiedlich geregelt. Für alle Studierenden, die ab dem 1. Oktober
1996 noch nicht im 5. Fachsemester sind, ist die BAföG-Förderungshöchstdauer
per Gesetz (neu: § 15a BAföG) weitgehend einheitlich festgeschrieben.
Sie beträgt für Studiengänge an den Universitäten neun Semester, an Fachhochschulen
sieben Semester (ohne Praxiszeit).
Nach altem Recht wurde BAföG für einen "angemessenen Zeitraum" auch nach
Überschreiten der FHD gewährt, wenn "schwerwiegende Gründe" (Krankheit,
sonstige persönliche oder im Ausbildungsgang liegende Gründe), Gremientätigkeit
oder das erstmalige Nichtbestehen der Abschlußprüfung zu einer Studienverzögerung
führten. Diese Verlängerungsgründe gelten nach wie vor, allerdings bewirken
sie künftig lediglich das Recht, einen Kreditvertrag mit der "Deutschen
Ausgleichsbank" eingehen zu "dürfen". Das Schlimme dabei: die Regelungen
greifen ohne Bestands- / Vertrauensschutz ab sofort, d. h. alle Bewilligungen
ab / seit August 1996 nehmen keinerlei Rücksicht mehr auf Krankheit oder
Gremientätigkeit. Dies gilt auch für Auslandsaufenthalte. Die bislang
geltende "Nichtanrechnung von Ausbildungszeiten im Ausland" (max. ein
Jahr) wird ersatzlos und rückwirkend (!) gestrichen. Einzige Ausnahme:
Auslandsaufenthalte, die mit Auslands-BAföG vor dem 1. August 1996 absolviert,
vom BAföG-Auslandsamt positiv bestätigt oder angetreten wurden (allerdings
müssen dann die Antragsunterlagen vor dem 1. August 1996 beim BAföG-Amt
eingegangen sein), werden weiterhin auf die FHD angerechnet.
7 Verschont bleiben von den unverhältnismäßigen Restriktionen
allein die Regelungen über die Weiterförderung wegen Behinderung, Schwangerschaft
oder der Pflege und Erziehung eines bis zu fünf Jahre alten Kindes. Unverändert
wird in diesen Fällen BAföG ausschließlich als Zuschuß geleistet.
Stichwort "Studienabschlußförderung": Die Verlängerung der Förderung
um höchsten 12 Monate 8 war 1990 erstmals
bis zum 30. September 1993 befristet eingeführt worden. Anlaß war seinerzeit
die Feststellung, daß die wenigsten Studierenden innerhalb der FHD zu
einem Studienabschluß gelangen. 9 Ursprünglich
nur als "Aushilfsregelung" angedacht, erlangte die Maßnahme für eine Vielzahl
der BAföG-EmpfängerInnen jedoch enorme Bedeutung. Da sich die Studiersituation
bis 1993 nicht verbesserte, wuchs der politische Druck auf die Bundesregierung,
wenn schon nicht die FHD an die Studienzeiten anzugleichen, so doch zumindest
die Abschlußförderung zu verlängern. Erst am 13. Juli 1993 führte das
16. BAföGÄndG die - wiederum auf drei Jahre befristete - Studienabschlußförderung
fort. Drei Jahre vergehen mitunter recht schnell, und so drohte wiederum
das Auslaufen der Studienabschlußförderung zum 30. September 1996. Mit
den aktuellen Regelungen des 18. BAföGÄndG wurde nun zwar redaktionell
eine neuerliche Befristung der Maßnahme bis zum 30. September 1999 beschlossen,
gleichzeitig jedoch ist festgelegt, daß die Gelder ausschließlich als
Bankdarlehen erhältlich sind. Faktisch gibt es also auch die Studienabschlußförderung
nicht mehr.
Die ohnehin schon sehr restriktive Handhabung in den Fällen, in denen
die Förderung einer anderen Ausbildung nach einem Fachrichtungswechsel
(bzw. Abbruch) bislang möglich war, werden noch enger gezurrt. Wurde das
Studium in der gewählten Fachrichtung ab dem 1. August 1996 begonnen,
ist ein Wechsel im Studiengang nur noch ein einziges Mal förderungsfähig
- und auch nur dann, wenn er bei Vorliegen des "wichtigen Grundes" (Neigungswandel,
Eignungsmangel, "Parkstudium") innerhalb des ersten Studienjahres erfolgt.
Die bereits "verbrauchte" Zeit im alten Studiengang wird dann auf das
neue Studium angerechnet - die FHD entsprechend verringert. Bislang bedeutete
ein anerkannter Fachrichtungswechsel, daß für das neue Studium auch die
jeweilige FHD neu angesetzt wurde. Ausgenommen von der Neuregelung ist
ein notwendiger Wechsel aus "unabweisbarem Grund". Dieser neu eingeführte,
extrem eng auszulegende Begriff umfaßt unvorhersehbare - beispielsweise
unfallbedingte - Behinderungen, die eine spätere Berufsausübung in der
studierten Disziplin unmöglich machen.
Eine Erhöhung der Bedarfssätze ist trotz der nach wie vor zu konstatierenden
Unterdeckung nicht vorgesehen. Die nur geringfügige Erhöhung der Sozialpauschalen,
Ausbildungs- sowie Eltern- und Ehegattenfreibeträge bei der Einkommensanrechnung
wirkt sich kaum auf das auszuzahlende BAföG aus. Real steht den BAföG-EmpfängerInnen
erneut eine Minusrunde bevor.
Rechtliche Probleme
Die Restriktionen im Bereich der Verlängerungsgründe und der Studienabschlußförderung
stehen auf höchst bröckeligem juristischen Boden. Für die Gremientätigkeit
bedeuten sie, daß BAföG-Geförderte nicht mehr in den demokratisch gewählten
Organen der Hochschule mitarbeiten können, ohne finanzielle Nachteile
erleiden zu müssen. Dies ist ein offensichtlicher Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Des weiteren werden diejenigen bestraft, denen in der Vergangenheit wegen
Gremienarbeit, Fachrichtungswechsel, Krankheit etc. Verlängerungsgründe
für das Studium entstanden sind. Vielfach lagen sie auch ihren Entscheidungen
zugrunde. In gleicher Weise verletzt die rückwirkende Anrechnung von Studienzeiten
bei einem Auslandsaufenthalt den Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes.
Das Grundrecht auf freie Berufswahl wird zunehmend durch soziale Restriktionen
bedroht. 10 Mit dem leistungsrechtlichen
Widerspruch, wonach ein Anspruch auf Förderung zwar eingeräumt wird, jedoch
nur durch einen privatrechtlichen Vertrag über ein Bankdarlehen
realisiert werden kann, aktualisieren sich die verfassungsrechtlichen
Probleme, wie sie bereits seinerzeit für die Volldarlehensregelung formuliert
wurden: Eine Leistungsgewährung in Form von Krediten bewirkt eine, dem
Sozialstaatsgebot gegenläufige, Abschreckungswirkung. Nur eine Vollzuschußförderung
ermöglicht die unbeschränkte, freie Wahl des Zugangs zu Bildungseinrichtungen
und damit den erstrebten sozialen Ausgleich 11.
Gänzlich ungerechtfertigt ist mit der "Bankkreditregelung" ein fortdauernder
Wohngeldausschluß von BAföG-Anspruchsberechtigten (§ 41 Abs. 3 Wohngeldgesetz)
12 Während die Mietzuschüsse nach dem Wohngeldgesetz
nicht rückzahlbar sind, müssen Studierende ihre im BAföG-Bedarf enthaltenen
"Kosten für die Unterkunft" entweder als Darlehen oder demnächst sogar
mit Zinsen als Bankkredit selbst aufbringen bzw. zurückzahlen.
Führten die Beschneidungen des BAföG bislang schon zu wachsendem Funktions-
und Gehaltsverlust des Gesetzes, so bedeutet die nun in Gang gesetzte
Neuregelung die weitgehende Liquidierung staatlicher Ausbildungsförderung.
Künftig werden noch weniger Studierende für eine noch weiter verkürzte
Förderungsdauer ein noch unattraktiveres BAföG erhalten können. Die mit
der Ausbildungsförderung angegangene Aufgabe, Benachteiligungen auszugleichen
und Bildungsgerechtigkeit zu verwirklichen, wird revidiert. Fortan werden
sich Frauen und Männer ihre "Bildung" individuell "leisten können" müssen.
Entweder über eigene bzw. familiäre Ressourcen oder aber durch die Inanspruchnahme
von privatrechtlichen Krediten, sozusagen als Investition.
Jörg Meier studiert Jura in Hannover, Oliver Schilling
studiert Jura in Bonn
Anmerkungen:
1 § 1 BAföG.
2 Bundestags-Drucksache VI/1975 (1971),
19.
3 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft,
Forschung und Technologie 1995, 29, 39, 49-53; siehe zu diesem Befund
auch: Mahlmann FoR 2/94, 56 f.
4 Ramsauer / Stallbaum 1991, 30.
5 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft,
Forschung und Technologie 1995, 242-245.
6 Bundesgesetzblatt I, 1006-1012.
7 Gemäß eines Erlasses des Bundesministeriums
für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie vom 3.9.1996.
8 sofern die Zulassung zur Abschlußprüfung
innerhalb der FHD erfolgt und der Abschluß innerhalb der zwölfmonatigen
Abschlußförderung möglich ist (§ 15 Abs. 3 a BAföG).
9 Bundesrats-Drucksache 548/89, 32.
10 ausführlich dazu: Meier Reader
des fzs, 13-21.
11 Blanke FamRZ 1981, 229 f.
12 Faller FamRZ 1989, 459.
13 Meier FoR 2/96, 47 f.
Literatur:
Blanke, Ernst August, Ausbildungsförderung im sozialen Rechtsstaat,
in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ), 1981, 226-233.
Das soziale Bild der Studentenschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
14. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (hrsg. vom Bundesministerium
für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie), 1995.
Faller, Hans Joachim, Zur Verfassungsmäßigkeit der BAföG-Volldarlehensregelung,
in: FamRZ 1989, 459.
Frankfurter Rundschau v. 28.6.1996, 4: Beim Bafög wollte die SPD
"Schlimmeres verhindern".
Mahlmann, Matthias, Öffnung und Restauration. Zur sozialen Herkunft
der Studierenden, in: Forum Recht (FoR) 2/94, 56 f.
Meier, Jörg, Das pflegebedürftige Gesetz, in: FoR 2/96, 47 f.
Meier, Jörg, Grundgesetz und Ausbildungsförderung. Der Gehalt des
Rechtsanspruch auf BAföG, in: Reader zur aktuellen Debatte über die Studienfinanzierung
(hg. vom fzs, AK Sozialpolitik), 1996, 13-21.
Ramsauer, Ulrich / Stallbaum, Michael, Bundesausbildungsförderungsgesetz,
Kommentar, 1991.
|
|