Heft 4 / 1996:
Law Online
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
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Das 18. BAföG-Änderungsgesetz
Ein Gesetz verliert sein Gesicht
 

Viele Änderungen hat das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) seit seiner Einführung 1971 erfahren. Und just zu seinem 25-jährigen Geburtstag ist das Gesetz in diesem Jahr auf eine noch nicht dagewesene Art "geändert" worden. Tendenz: Schneller studieren, insgesamt weniger Geld für weniger Studierende und ein höherer Schuldenberg am Ende der Ausbildung dank privatrechtlicher Zwangsverträge, genannt Zins-BAföG.
Es war einmal…
Ziel des BAföG sollte es sein, das in Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip durch einen Rechtsanspruch "auf individuelle Ausbildungsförderung […] für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung" 1 zu gewährleisten. Es sei mit dem verfassungsrechtlichen Auftrag an den Gesetzgeber zum Ausgleich sozialer Unterschiede nicht vereinbar, wenn wegen nicht vorhandener gesetzlicher Förderungsmöglichkeiten eine akademische Ausbildung nicht aufgenommen werden könne, hieß es damals. 2
Diesen hehren Prinzipien folgten leider wenige Taten: Von 1971 bis 1992 sank die Kaufkraft der BAföG-Leistungen um 13 %. Die Zahl der Studierenden aus einkommensschwachen und bildungsfernen Herkunftsgruppen machen heute mit Abstand den geringsten Anteil aller Studierenden aus. 3
Statt dessen wurde die SchülerInnenförderung 1983 weitgehend abgeschafft. 4 Das elternunabhängige BAföG gibt es seit 1990 nur noch in seltenen Ausnahmefällen, und zwischen 1983 und 1990 gab es BAföG lediglich als Volldarlehen, wodurch die Förderungsquoten auf unter 20 % sanken (1982 wurden noch 37 % aller Studierenden gefördert 5).

Abschaffung oder Änderung?

Seit dem 1. August 1996 ist nun das 18. BAföG-Änderungsgestz (BAföGÄndG) 6 in Kraft. Stets waren Änderungen, auch salopp "Novellen" genannt, ein Synonym für die weitere Verknappung der materiellen Grundlagen für ein Studium vieler auf das BAföG angewiesener StudentInnen.
Die traditionelle Form der Förderung - halb Darlehen / halb Zuschuß - wird es nach den neuen Regelungen nur noch für ein Studium mit verringerter Förderungsdauer geben. In allen anderen Fällen wird das BAföG durch das Recht abgelöst, einen privatrechtlichen Darlehensvertrag mit der "Deutschen Ausgleichsbank" abzuschließen. Der Bankkredit wird dabei von der Auszahlung an verzinst und ist - zusammen mit den bis dahin gestundeten Zinsen - sechs Monate nach der letzten Darlehensüberweisung zurückzuzahlen. Leistungs- und Sozialerlasse, wie sie bislang für die BAföG-Darlehen galten, werden nicht mehr gewährt.
Zu den Regelungen im einzelnen: Die Förderungshöchstdauer (FHD) war bislang für die Mehrzahl der geförderten Studiengänge je nach Fach unterschiedlich geregelt. Für alle Studierenden, die ab dem 1. Oktober 1996 noch nicht im 5. Fachsemester sind, ist die BAföG-Förderungshöchstdauer per Gesetz (neu: § 15a BAföG) weitgehend einheitlich festgeschrieben. Sie beträgt für Studiengänge an den Universitäten neun Semester, an Fachhochschulen sieben Semester (ohne Praxiszeit).
Nach altem Recht wurde BAföG für einen "angemessenen Zeitraum" auch nach Überschreiten der FHD gewährt, wenn "schwerwiegende Gründe" (Krankheit, sonstige persönliche oder im Ausbildungsgang liegende Gründe), Gremientätigkeit oder das erstmalige Nichtbestehen der Abschlußprüfung zu einer Studienverzögerung führten. Diese Verlängerungsgründe gelten nach wie vor, allerdings bewirken sie künftig lediglich das Recht, einen Kreditvertrag mit der "Deutschen Ausgleichsbank" eingehen zu "dürfen". Das Schlimme dabei: die Regelungen greifen ohne Bestands- / Vertrauensschutz ab sofort, d. h. alle Bewilligungen ab / seit August 1996 nehmen keinerlei Rücksicht mehr auf Krankheit oder Gremientätigkeit. Dies gilt auch für Auslandsaufenthalte. Die bislang geltende "Nichtanrechnung von Ausbildungszeiten im Ausland" (max. ein Jahr) wird ersatzlos und rückwirkend (!) gestrichen. Einzige Ausnahme: Auslandsaufenthalte, die mit Auslands-BAföG vor dem 1. August 1996 absolviert, vom BAföG-Auslandsamt positiv bestätigt oder angetreten wurden (allerdings müssen dann die Antragsunterlagen vor dem 1. August 1996 beim BAföG-Amt eingegangen sein), werden weiterhin auf die FHD angerechnet. 7 Verschont bleiben von den unverhältnismäßigen Restriktionen allein die Regelungen über die Weiterförderung wegen Behinderung, Schwangerschaft oder der Pflege und Erziehung eines bis zu fünf Jahre alten Kindes. Unverändert wird in diesen Fällen BAföG ausschließlich als Zuschuß geleistet.
Stichwort "Studienabschlußförderung": Die Verlängerung der Förderung um höchsten 12 Monate 8 war 1990 erstmals bis zum 30. September 1993 befristet eingeführt worden. Anlaß war seinerzeit die Feststellung, daß die wenigsten Studierenden innerhalb der FHD zu einem Studienabschluß gelangen. 9 Ursprünglich nur als "Aushilfsregelung" angedacht, erlangte die Maßnahme für eine Vielzahl der BAföG-EmpfängerInnen jedoch enorme Bedeutung. Da sich die Studiersituation bis 1993 nicht verbesserte, wuchs der politische Druck auf die Bundesregierung, wenn schon nicht die FHD an die Studienzeiten anzugleichen, so doch zumindest die Abschlußförderung zu verlängern. Erst am 13. Juli 1993 führte das 16. BAföGÄndG die - wiederum auf drei Jahre befristete - Studienabschlußförderung fort. Drei Jahre vergehen mitunter recht schnell, und so drohte wiederum das Auslaufen der Studienabschlußförderung zum 30. September 1996. Mit den aktuellen Regelungen des 18. BAföGÄndG wurde nun zwar redaktionell eine neuerliche Befristung der Maßnahme bis zum 30. September 1999 beschlossen, gleichzeitig jedoch ist festgelegt, daß die Gelder ausschließlich als Bankdarlehen erhältlich sind. Faktisch gibt es also auch die Studienabschlußförderung nicht mehr.
Die ohnehin schon sehr restriktive Handhabung in den Fällen, in denen die Förderung einer anderen Ausbildung nach einem Fachrichtungswechsel (bzw. Abbruch) bislang möglich war, werden noch enger gezurrt. Wurde das Studium in der gewählten Fachrichtung ab dem 1. August 1996 begonnen, ist ein Wechsel im Studiengang nur noch ein einziges Mal förderungsfähig - und auch nur dann, wenn er bei Vorliegen des "wichtigen Grundes" (Neigungswandel, Eignungsmangel, "Parkstudium") innerhalb des ersten Studienjahres erfolgt. Die bereits "verbrauchte" Zeit im alten Studiengang wird dann auf das neue Studium angerechnet - die FHD entsprechend verringert. Bislang bedeutete ein anerkannter Fachrichtungswechsel, daß für das neue Studium auch die jeweilige FHD neu angesetzt wurde. Ausgenommen von der Neuregelung ist ein notwendiger Wechsel aus "unabweisbarem Grund". Dieser neu eingeführte, extrem eng auszulegende Begriff umfaßt unvorhersehbare - beispielsweise unfallbedingte - Behinderungen, die eine spätere Berufsausübung in der studierten Disziplin unmöglich machen.
Eine Erhöhung der Bedarfssätze ist trotz der nach wie vor zu konstatierenden Unterdeckung nicht vorgesehen. Die nur geringfügige Erhöhung der Sozialpauschalen, Ausbildungs- sowie Eltern- und Ehegattenfreibeträge bei der Einkommensanrechnung wirkt sich kaum auf das auszuzahlende BAföG aus. Real steht den BAföG-EmpfängerInnen erneut eine Minusrunde bevor.

Rechtliche Probleme

Die Restriktionen im Bereich der Verlängerungsgründe und der Studienabschlußförderung stehen auf höchst bröckeligem juristischen Boden. Für die Gremientätigkeit bedeuten sie, daß BAföG-Geförderte nicht mehr in den demokratisch gewählten Organen der Hochschule mitarbeiten können, ohne finanzielle Nachteile erleiden zu müssen. Dies ist ein offensichtlicher Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Des weiteren werden diejenigen bestraft, denen in der Vergangenheit wegen Gremienarbeit, Fachrichtungswechsel, Krankheit etc. Verlängerungsgründe für das Studium entstanden sind. Vielfach lagen sie auch ihren Entscheidungen zugrunde. In gleicher Weise verletzt die rückwirkende Anrechnung von Studienzeiten bei einem Auslandsaufenthalt den Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes.
Das Grundrecht auf freie Berufswahl wird zunehmend durch soziale Restriktionen bedroht. 10 Mit dem leistungsrechtlichen Widerspruch, wonach ein Anspruch auf Förderung zwar eingeräumt wird, jedoch nur durch einen privatrechtlichen Vertrag über ein Bankdarlehen realisiert werden kann, aktualisieren sich die verfassungsrechtlichen Probleme, wie sie bereits seinerzeit für die Volldarlehensregelung formuliert wurden: Eine Leistungsgewährung in Form von Krediten bewirkt eine, dem Sozialstaatsgebot gegenläufige, Abschreckungswirkung. Nur eine Vollzuschußförderung ermöglicht die unbeschränkte, freie Wahl des Zugangs zu Bildungseinrichtungen und damit den erstrebten sozialen Ausgleich 11.
Gänzlich ungerechtfertigt ist mit der "Bankkreditregelung" ein fortdauernder Wohngeldausschluß von BAföG-Anspruchsberechtigten (§ 41 Abs. 3 Wohngeldgesetz) 12 Während die Mietzuschüsse nach dem Wohngeldgesetz nicht rückzahlbar sind, müssen Studierende ihre im BAföG-Bedarf enthaltenen "Kosten für die Unterkunft" entweder als Darlehen oder demnächst sogar mit Zinsen als Bankkredit selbst aufbringen bzw. zurückzahlen.
Führten die Beschneidungen des BAföG bislang schon zu wachsendem Funktions- und Gehaltsverlust des Gesetzes, so bedeutet die nun in Gang gesetzte Neuregelung die weitgehende Liquidierung staatlicher Ausbildungsförderung. Künftig werden noch weniger Studierende für eine noch weiter verkürzte Förderungsdauer ein noch unattraktiveres BAföG erhalten können. Die mit der Ausbildungsförderung angegangene Aufgabe, Benachteiligungen auszugleichen und Bildungsgerechtigkeit zu verwirklichen, wird revidiert. Fortan werden sich Frauen und Männer ihre "Bildung" individuell "leisten können" müssen. Entweder über eigene bzw. familiäre Ressourcen oder aber durch die Inanspruchnahme von privatrechtlichen Krediten, sozusagen als Investition.

Jörg Meier studiert Jura in Hannover, Oliver Schilling studiert Jura in Bonn

Anmerkungen:

1 § 1 BAföG.
2 Bundestags-Drucksache VI/1975 (1971), 19.
3 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie 1995, 29, 39, 49-53; siehe zu diesem Befund auch: Mahlmann FoR 2/94, 56 f.
4 Ramsauer / Stallbaum 1991, 30.
5 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie 1995, 242-245.
6 Bundesgesetzblatt I, 1006-1012.
7 Gemäß eines Erlasses des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie vom 3.9.1996.
8 sofern die Zulassung zur Abschlußprüfung innerhalb der FHD erfolgt und der Abschluß innerhalb der zwölfmonatigen Abschlußförderung möglich ist (§ 15 Abs. 3 a BAföG).
9 Bundesrats-Drucksache 548/89, 32.
10 ausführlich dazu: Meier Reader des fzs, 13-21.
11 Blanke FamRZ 1981, 229 f.
12 Faller FamRZ 1989, 459.
13 Meier FoR 2/96, 47 f.

Literatur:

Blanke, Ernst August, Ausbildungsförderung im sozialen Rechtsstaat, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ), 1981, 226-233.
Das soziale Bild der Studentenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. 14. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (hrsg. vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie), 1995.
Faller, Hans Joachim, Zur Verfassungsmäßigkeit der BAföG-Volldarlehensregelung, in: FamRZ 1989, 459.
Frankfurter Rundschau v. 28.6.1996, 4: Beim Bafög wollte die SPD "Schlimmeres verhindern".
Mahlmann, Matthias, Öffnung und Restauration. Zur sozialen Herkunft der Studierenden, in: Forum Recht (FoR) 2/94, 56 f.
Meier, Jörg, Das pflegebedürftige Gesetz, in: FoR 2/96, 47 f.
Meier, Jörg, Grundgesetz und Ausbildungsförderung. Der Gehalt des Rechtsanspruch auf BAföG, in: Reader zur aktuellen Debatte über die Studienfinanzierung (hg. vom fzs, AK Sozialpolitik), 1996, 13-21.
Ramsauer, Ulrich / Stallbaum, Michael, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Kommentar, 1991.