Heft 4 / 1996:
Law Online
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
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Der lange Weg zu Land und Freiheit
Die Durchsetzung der Rechte indigener Völker im Süden Mexikos
 

Am Neujahrstag 1994 begann mit der Besetzung der Bezirkshauptstädte des mexikanischen Bundesstaates Chiapas der Aufstand der indianischen Bauern unter der Führung der Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional (EZLN). Nach dem Scheitern der Friedensgespräche im Frühjahr 1994 wird nunmehr seit über einem Jahr zwischen der EZLN und der mexikanischen Bundesregierung über die Durchsetzung der Rechte der indigenen Völker im Süden Mexikos verhandelt.

Das erste Abkommen

Ein erstes Ergebnis wurde Mitte Februar 1996 mit der Unterzeichnung des ersten von sechs Abkommen erzielt. Der Vertrag über "indigene Rechte und Kultur" wurde in den indigenen Dorfgemeinschaften von der EZLN zur Abstimmung gestellt und mit großer Mehrheit angenommen.
Mexiko ist nach der Verfassung ein föderalistischer Staat, das Abkommen umfaßt daher Fragen der kommunalen Selbstverwaltung, des Landesrechts und bundesrechtliche Reformen. In die Bundesverfassung sollen die "sozialen Rechte der Indigenen aufgenommen werden, damit die kommunitären Organisationsformen gewährleistet werden, […]; die kulturellen Rechte, damit sie ihre Kreativität, ihre kulturelle Vielfalt und ihre traditionellen Identitäten entwickeln können; und auch die wirtschaftlichen Rechte, damit ihre […] Organisationsalternativen für die Arbeit […] entwickelt werden."1
Unter dem Titel "Politische Partizipation und Repräsentation" wurde die Einsetzung einer Kommission zur Verwaltungsreform beschlossen. Änderungen des Wahlrechts und des Kommunalverfassungsartikels 115 der Bundesverfassung sollen eine Repräsentation der indigenen Völker garantieren. Die politische Repräsentation soll durch Minderheitenrechte auch in den Städten in Chiapas sichergestellt werden, in denen die indigene Bevölkerung nicht die Mehrheit stellt.
Im Rahmen einer Garantie des "Zugangs zur Justiz" soll u. a. auf Landesebene ein Büro für Menschenrechtsfragen eingerichtet werden. Die angestrebte Justizreform soll zudem die traditionellen Konfliktlösungsmechanismen der indigenen Gemeinschaften respektieren. Sämtliche Rechtsvorschriften werden künftig in indigenen Sprachen bekanntgemacht.
Sozial- und arbeitsrechtliche Reformen wurden im Kapitel über Frauenrechte verankert, die Frage der Gleichstellung der Frau wird jedoch als Querschnittsaufgabe betrachtet, so daß in allen Rechtsgebieten spezielle Frauenrechte geschaffen werden sollen.
Einen Schwerpunkt des Abkommens bildet der Schutz und die Pflege kultureller Belange: Zwar hatte die Bundesregierung schon in den achtziger Jahren ein Programm aufgelegt, mit dem ein System zweisprachiger Erziehung auf- und ausgebaut werden sollte. Ziel der zweisprachigen Ausbildung war für die Bundesregierung jedoch das "de-indigenizing", d. h. die Assimilierung an die Werte der mexikanischen Mehrheitsgesellschaft noch schneller über eine muttersprachliche Erziehung zu erreichen. Im Abkommen wurde nun der Aufbau verschiedener Institutionen geregelt, die eine Abkehr von dieser Kulturpolitik hin zu einer vollständigen Anerkennung indigener Kultur sicherstellen sollen. Die EZLN setzte daneben ein "Recht auf Zugang zu den Medien" durch, mit dem u. a. Radiosendungen in indigenen Sprachen sowie der Aufbau von Sendern ermöglicht werden. Ein "Ombudsman de la Comunicación" wird dieses Recht absichern helfen.
Zentrale Forderungen der EZLN wurden jedoch mit dem ersten Abkommen nicht erfüllt: Unangetastet blieb z. B. die Verfassungsänderung von 1991. Damals wurde - im Rahmen der Vorbereitung des NAFTA-Beitritts - mit der Änderung des Art. 27 der Bundesverfassung die Privatisierung des sog. "Ejido"-Landes eingeleitet. Art. 27 Abs. 2 sah ein kollektives Grundeigentum zum Zwecke der landwirtschaftlichen Nutzung vor. Der Staat war Eigentümer dieses Landes, das bewirtschaftende Kollektiv konnte das Land nicht verkaufen oder verpachten. Auch wenn die Verfassungswirklichkeit z. T. anders aussah, nämlich viele Ejido-Titel auch noch Jahrzehnte nach der Revolution noch nicht vollzogen worden waren, so konnte doch gerade im Bundesstaat Chiapas in vielen Gemeinden auf Ejido-Land die traditionelle Landwirtschaft im Kollektiv der Dorfgemeinschaft verwirklicht werden. Die Privatisierung überforderte viele Kleinbauern finanziell; der dadurch bewirkte dramatische soziale Abstieg war einer der Auslöser des Aufstandes im Januar 1994.
Abgelehnt wurde auch eine umfassende Verankerung des "legal pluralism" in der mexikanischen Rechtsordnung, also die Anerkennung des Nebeneinanders von Mehrheitsrechtsordnung und indigenem Binnenrecht. Mit der Nichtanerkennung des "legal pluralism" bleibt das Abkommen sogar hinter UN-Empfehlungen zurück.2

Der Stand der Verhandlungen

Die Verhandlungen zum zweiten Abkommen mit dem Gegenstand "Demokratie und Justizwesen" begannen im März, wurden aber schon kurz nach Beginn unterbrochen. Ende Juni einigten sich beide Seiten darauf, die Beratungen fortzusetzen. Die EZLN forderte u. a. die Einführung von Instrumenten direkter Demokratie sowie die Stärkung der Selbstverwaltung u. a. in Fragen von Planung und Wirtschaftsentwicklung. Die Regierungsseite war demgegenüber lediglich zur Zustimmung zu plebiszitären Elementen bereit, eine Verfassungsänderung lehnte sie jedoch ab. Mitte August wurden die Verhandlungen wegen dieser Gegensätze erneut bis September ausgesetzt. Dies verwundert angesichts des Beratungsgegenstandes nicht, der - anders als bei dem ersten Abkommen - wenig Raum für nur symbolische Zugeständnisse und Absichtserklärungen läßt.

Frank Schreiber, Regensburg

Literatur:

Land und Freiheit - Sonderblätter der Zeitschrift Die Aktion, Edition Nautilus, Hamburg.
Subcomandante Marcos, Botschaften aus dem Lakandonischen Urwald, Edition Nautilus, Hamburg 1996.
Schreiber, Frank, Nicht nur in der Fremde ist der Fremde fremd, Forum Recht 4/93, 126.
Ya Basta! - the EZLN page: "http://www.peak.org/~justin/ezln/".