Heft 4 / 1996:
Law Online
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
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Achim Berge Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
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Wirkungen der Informationsgesellschaft
 

"Ja weißt Du", seufzt mein Opa, "es hat sich so viel verändert...". Er selbst wohl nicht - oder nicht schnell genug, jedenfalls haben ihn die Veränderungen seiner Umgebung in den letzten Jahrzehnten irgendwann überrollt. Er versteht vieles nicht mehr. Und das als Mitglied der Informationsgesellschaft, nach der ich ihn eben gefragt habe! Alles das bekannte Problem altersfeindlicher rasanter Technikentwicklung? Mitnichten, wenn man glaubt, was scheinbar alle glauben: Viel komplexer das ganze. Die Informationsgesellschaft wird unsere Realität nicht nur verändern, sondern sich ohne sie abspielen - virtuell, im Internet. Dort entstehe eine neue bioelektronische Umwelt, die von Wissen bewohnt werde. Sie speist sich aus 43.000 Netzwerken in 90 Ländern mit Millionen Rechnern und schätzungsweise 40 Millionen NutzerInnen. Und was das schönste ist: Alle beteiligten Menschen haben die gleiche Zugangsberechtigung, können überall mitlesen, mitdiskutieren, und agieren herrschaftsfrei, weil sie machen können, was sie wollen. Auch die Information sucht sich einen eigenen, unvorhersehbaren Weg durch den Dschungel egalitärer Rechner. Heissa! Was interessiert also den Realen: Wie werde ich virtuell? Bin ich im Internet?1

Neuer öffentlicher Raum

Abgesehen von derlei Massenhysterie: Dort gibt es wirklich eine interessante Form der Kommunikation. Die Beteiligten sind optisch oder akustisch nicht identifizierbar und nutzen dies intensiv zu der Möglichkeit eines Rollentauschs oder -verhaltens.2 Sie geben sich also anders als in der realen Welt, leben zwei Leben zugleich, haben über "nicks" und "signatures" eine zweite pseudonyme Identität. Menschen, die aufgrund ihrer äußeren Erscheinung oder sonstigen Präsentationsfähigkeit im Abseits stehen, sind plötzlich akzeptierte Mitglieder einer Gemeinschaft. KommunikationstheoretikerInnen messen dem internet deshalb therapeutische Wirkung bei, weil dort neues Selbstbewußtsein für den Alltag gesammelt werden kann. Manche wollen jedoch gar nicht zurück: Erste Formen der Internet-Sucht werden behandelt. Doch die neue Kommunikation birgt auch andere Probleme. Insbesondere das Fehlen von nonverbaler Kommunikation in Form von Gestik, Mimik oder Tonfall produziert Mißverständnisse. Zumal ist die soziale Kontrolle gering, rüde Pamphlete ("flames") oder unverständliches Daten-Dada stört die Kommunikation in Diskussionsforen. Andererseits gibt es das Problem der Redeleitung ebensowenig wie die Aufteilung der Einwegkommunikation in ProduzentInnen oder RezipientInnen, zudem müssen sich Fachleute mit LaiInnen auseinandersetzen.3 Es diskutieren also Massen ohne Massenkommunikation, bei der Informationen an ein dispersives Publikum gestreut wurden, deren Arbeit nur in Selektion und Verarbeitung bestand. Es entsteht vielmehr eine neue Form von öffentlichem Raum der Multilateralität, asynchron und anonym, in dem der einzelne hier und doch woanders, allein und doch mit anderen verbunden ist. "Informationsgesellschaft" ist deshalb vielleicht der falsche und "Kommunikationsgesellschaft" der treffendere Begriff4, da sich die Wichtigkeit von Informationen kaum verändert hat - der Weg ihrer Vermittlung und Veränderung aber immer facettenreicher wird. Kommunikationstheoretisch verspricht das Internet also ein interessantes und eher positives Aufbrechen der alten Wege.

Realität ist Fiktion

Zu eingeschränkt ist deshalb das Jammern um den "Realitätsverlust" in der Informationsgesellschaft oder die Einzigartigkeit der Praxis, die nicht simuliert werden kann.5 Denn eine Vorstellung von Realität als objektiv wahrnehmbare Umwelt ist Fiktion. Die subjektiven Determinanten zwischen dem, was ist und dem, was wir wahrnehmen, sind seit jeher Teil der menschlichen Existenz; ihre Entwirrung eines der ältesten philosophischen Probleme überhaupt. Schrift ist nur ein Versuch, die Abweichungen gering zu halten, das Alphabet im Grunde der erste Computer.6 Die Kritik "Realitätsverlust durch Macht der Bilder" setzt deshalb nicht nur 2000 Jahre zu spät7, sondern überhaupt falsch an. Auch um einen Verlust an Körperlichkeit braucht man sich wohl keine Gedanken machen, da dieses menschliche Grundbedürfnis als Gegengewicht zur vergeistigten Welt eher an Bedeutung gewinnen wird. Aus welchem anderen Grund sonst boomt die Sport- und Freizeitindustrie seit Jahren?
Bedrohlich mutet dagegen das stete Wachsen einer neuen Geißel menschlichen Zusammenlebens an: Zeit als allseits bestimmender Faktor. Unkritisch wird der enorme Effektivitätsschub durch das Internet gerühmt, wird sich über die Kommunikation der kurzen Wege gefreut. SoziologInnen feiern die neue Lebensstilfigur des "zeitjonglierenden Spielers", der die starre Zeitordnung zugunsten einer variablen Orientierung am aktuellen Aktionsdruck aufbricht.8 Vergessen werden die Gefahren eines inhumanen Zeitregiments der reinen Geschwindigkeit, dem der Mensch psychisch irgendwann nicht mehr gewachsen ist - wir könnten uns zu Tode hetzen, untergehen als Chaplin zwischen Rädern der Weltmaschine. Unbeachtet bleibt die oftmals wachsende inhaltliche Qualität langer Wege.
Schließlich wird schon vor einer "Müllhalde von schlecht recherchierten und katastrophalen Texten" gewarnt, die Internet-"SurferInnen" haben wellenreitend kein Interesse an inhaltlichem Tiefgang. Mag man dies noch als zwangsläufiges Ergebnis der Netz-Anarchie akzeptieren, für das es viele Gegenbeispiele gibt, so lauert wohl noch eine andere Gefahr. Die Regierenden werden nämlich nicht müde, von der Wichtigkeit der Information für die Bildung im allgemeinen und dem Internet im besonderen zu reden und Modellprojekte massiv zu fördern. Das Telematik-Programm der EU soll zum Beispiel Informationsschnellstraßen für Städte, elektronische Ausschreibungen oder die Telearbeit voranbringen. So wird ein Markt in die bereits eingeschlagene Richtung subventioniert, obwohl dort am wenigsten Hilfe nötig ist. Zeitgleich herrscht der Bildungsnotstand, "soziale" DemokratInnen fordern Studiengebühren und Bibliotheken müssen geschlossen werden. Die Computernetze werden somit im bildungspolitischen Verteilungskampf instrumentalisiert und vergrößern vorhandene Lücken.

Emanzipation von vorne

Dies verdeutlicht auch ein anderer Blick - der auf den statistisch berechneten Netznutzer: Er ist weiß, männlich (96%!) und lebt in einem westlichen Industriestaat. Nicht von ungefähr erhält man eine ähnliche Anwort, wenn man nach dem typischen Manager, Professor, Politiker oder überhaupt einer sogenannten "Führungsperson" fragt. Es dürfte jedoch schon etwas dunkler, weiblicher und globaler zugehen, weil es gesellschaftliche Gegenbewegungen gab und gibt, die leichte Erfolge hatten. Schlimm ist die Erkenntnis, daß beim Entstehen eines neuen gesellschaftlichen Raumes offenbar von vorne angefangen werden muß: Das Internet steckt in der Industriealisierungs- und Kolonialisierungsphase. Spätestens damit ist die Vorstellung von der Egalität des Netzes als Illusion enttarnt. Und zwar als uralte, die immer auftaucht, wenn neue Technologien Hoffnungen wecken. Lustig zu lesen ist zum Beispiel Jack Londons Glauben an die Revolution durch die Erfindung des Films: "Die bewegten Bilder reißen die Schranken der Armut und der Herkunft nieder, die den Weg zur Bildung versperren, und verbreiten Wissen in einer Sprache, die jeder versteht. Ob Arbeiter mit beschränktem Wortschatz oder Gelehrter, alle sind gleich. Zeit und Distanz werden durch die Zauberkraft des Films aufgehoben, um die Völker der Welt zu vereinen. Man muß nur die grauenhaften Kriegszenen gesehen haben, um zum Fürsprecher des Friedens zu werden."9 Gleiches glaubte man vom Telefon, das nun für das Internet zum entscheidenden Bestimmungsfaktor wird. Nur haben auch heute über die Hälfte der ErdenbewohnerInnen noch nie telefoniert, 15% der Angeschlossenen halten dreiviertel der wichtigsten Leitungen.10 Private Unternehmen investieren schließlich nur dort, wo es auch einen Markt gibt, sprich das nötige Einkommen. Und das gibt es nur dort, wo private Unternehmen investieren. Die bekannte Spirale wirkt also auch hier und drückt die Schere weiter auseinander. Die Informationsgesellschaft ist damit nichts weiter, als eine neue Entwicklungsstufe westlicher Industrieländer, die den Rest der Welt mit ihrem wirtschaftlichen Darwinismus überziehen. Daß der Anstoß zu einer Umwälzung dieser Verhältnisse aus den westlichen Industrieländern oder über den tollen Austausch mit den südländischen WissenschaftlerInnen via internet kommen wird11, muß grundsätzlich bezweifelt werden.

Öffentliche Grundversorgung

Der Zugang zu den neuen Medien zu vergrößern wäre die Hauptaufgabe virtueller Entwicklungspolitik - aber von gefährlicher Arroganz. Das wichtigste Bedürfnis großer Teile der Weltbevölkerung ist nun einmal ausreichende Nahrung, ein Job und überhaupt eine Perspektive, nicht aber der Zugang zu "http://www.spiegel.de". Auf der Südhalbkugel nun massenhaft PCs mit Modem aufzustellen, wäre mangels Strom- und Telephonleitungen nicht nur vergeblich, sondern würde die Fehler der konventionellen Entwicklungspolitik wiederholen und den weltwirtschaftlichen Dampfkochtopf weiter unter Druck setzen.
Wo allerdings die wirtschaftliche Situation der Menschen einigermaßen gesichert ist, wird die Forderung nach einer neuen Defintition öffentlicher Grundversorgung wichtig. Wenn es wirklich so sein wird, daß über die Computernetze nicht nur interessante Informationen und Diskussionen stattfinden, sondern ein großer Teil von Dienstleistungen, insbesondere von staatlicher Seite dort abrufbar ist oder ein Anschluß immer öfter Vorraussetzung für eine Arbeit wird, dann gehört zur Forderung nach der Wohnung und dem Girokonto für alle auch nach einem Anschluß für jeden. Mittelfristig wäre so etwas durch öffentliche Terminals z. B. in Bibliotheken leistbar. Auch ist die Spaltung zwischen "information rich" und "information poor" durch Bildungsarbeit zu bekämpfen, wobei es für die Schule bereits Projekte gibt (z. B. Computer Supported Cooperative Learning), bei denen der Computer in den normalen Lern- und Lehrablauf eingebettet wird und keine zweistündige Exotikveranstaltung für die Freaks ist.

Technikfolgenabschätzung und -mitbestimmung

Ein darüberhinausgehender gesellschaftlicher Diskurs über neue Medien wäre wünschenswert und teilweise auch institutionell verankerbar. Dies gilt im Internet-Bereich für kommerzielle AnbieterInnen, die sich einer Lizenzprüfung unterziehen müßten. Die bisher weitgehend dem freien Markt überlassenen neuen Entwicklungen könnten in Zukunft einem Zulassungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und entsprechenden Technikfolgenabschätzungsberichten unterworfen werden. Arbeitsrechtlich sollten mehr Mitspracherechte der Belegschaft bei der Anschaffung neuer Arbeitsplatztechnologien verankert werden. Prüfkriterien wären z. B. Datenschutz, Sozialverträglichkeit, Ergonomie und insbesondere die Ökologie. Die Umweltfreundlichkeit der neuen Techniken muß nämlich bezweifelt werden: Erstens ist Elektronikschrott ausgesprochen schwer zu recyceln (jährlich in Europa 7-10 Mio. Tonnen), zweitens braucht die Produktion von High-End-Ware große Mengen Energie unter hohem Ausschuß von fehlerhaften Teilen und drittens sind die positiven Wirkungen der Computer auf die Umwelt gering. Das Potential der allseits gerühmten Einsparung von Transportwegen scheint bei nur 8% zu liegen.12 In diesem Zusammenhang sei an die völlig unbegründeten Hoffnungen auf ein papierloses Büro durch den Einsatz von Computern erinnert.

Digitalisierte Globalisierung

Globalisierung lautet das Stichwort bei der Frage nach zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklung, Dienstleistung bezüglich der zukünftigen Struktur der Arbeitswelt und eben Digitalisierung für die Kommunikation. Ein Zusammenhang ist unschwer zu konstruieren: Schon heute findet die häufigste Anwendung des Internets im kommerziellen Bereich statt, es droht die virtuelle Kommerzialisierung des Planeten. Zudem gewinnen firmen- und konzerninterne Netze ("intranets") immer stärker an Bedeutung, es scheint nur eine Frage der Zeit, bis diese oder die ebenfalls hierarchisch aufgebauten Online-Dienste den Rest marktbeherrschend im wahrsten Sinne des Wortes "on line" gebracht haben. Das Interesse am Internet ist offensichtlich: beschleunigte Kapitalbewegungen, stärkere Globalisierung, geringe Kontrolle, Personaleinsparungen. Insbesondere letzterer Punkt wird häufig übersehen, allseits von einem "Boom der Dienstleistungsbranche" gesprochen. Der Dienstleistungsbereich wird derzeit jedoch einer personalminimierenden Umstrukturierung unterzogen, wie sie vor einem Jahrzehnt die Industrie erlebte und kann den Arbeitsplatzverlust anderer Wirtschaftsbereiche nicht auffangen.13 Diese Nachteile betriebswirtschaftlicher Kostenentlastung durch Computer werden zudem der Gesellschaft und ihrem magersüchtigen Staat aufgehalst, während der Nutzen in der Tasche weniger verbleibt. Hier regulativ tätig zu werden ist ausgesprochen schwierig und das Grundproblem gegenwärtiger politischer Ökonomie. Die politischen Strukturen globalisieren sich nämlich nur im Schneckentempo und werden von ernst zu nehmenden Vorbehalten derer behindert, die mehr Demokratie verankern wollen. Anders geht es den Wirtschaftsunternehmen - sie finden in den neuen digiatalen Möglichkeiten die technische Unterstützung für ihre Expansion, werden ungehindert größer und weniger (euphemistisch "Hochzeit" genannt). Die Konzentrationsprozesse im Bereich moderner Medien (siehe Seite 118) gleichen denen auf dem Zeitungsmarkt und machen die Einrichtung einer starken europäischen Kartellbehörde immer wichtiger, zumal die Art. 85 ff. Europäischer Grundlagenvertrag (EGV) und die Verordnung zur Fusionskontrolle bisher weitgehend ins Leere greifen.

Progressive politische Vernetzung

Nach Kontrolle rufen jedoch auch die Regierenden, meinen damit aber nicht die Monopole, sondern den Inhalt des Internets. Das macht mißtrauisch: Verändert sich durch das Internet am Ende doch etwas zum Positiven, oder warum soll es sonst verboten werden? Schließlich versuchten auch im 15. Jahrhundert Klerus und Adel, die Schriftsatz-Erfindung mit strenger Zensur zu verfolgen. In der Tat haben im Internet Gruppen und Themen eine Plattform, die in konventionellen Medien mit Breitenwirkung nur geringe Chancen haben. Initiativen vernetzen sich im wahrsten Sinne des Wortes, deren Kommunikation ohne das Internet ausgesprochen schwierig wäre. In einem der bekanntesten Netze, dem "APC-Network", sind zum Beispiel über 1000 Organisationen aus 94 Ländern miteinander verbunden. Das ganze gleicht einem riesigen Archiv für soziale Bewegungen - mit dem Unterschied, daß die NutzerInnen über das Material in kommunikativem Kontakt stehen. Auch ist wohl die Front zwischen TechnikkritikerInnen und -begeisterten aufgeweicht worden, das Internet wird wahrgenommen als Ausbruch aus den herrschenden Medien- und Kommunikationsstrukturen, bei denen sich zuerst immer die gleichen Fragen stellten: Wie kommen wir in die Öffentlichkeit, wie werden wir wahrgenommen, wie können wir Breitenwirkung finanzieren? Hier liegt der Ursprung von der Begeisterung über Anarchie im Netz. Und sie ist begründet. Als neue Form öffentlicher Kommunikation im politischen Prozeß bietet das Internet mehr "Waffengleichheit" im Kampf um und die Suche nach besseren Argumenten. Auch müssen Daten nicht mehr mundgerecht zusammengestückelt werden, sondern können als Riesenfußnote einen Text ergänzen. Sich diesen Möglichkeiten zu verschließen wäre folgenschwer, da auch der/die politische GegnerIn die neuen Möglichkeiten der Verbreitung nutzt. Allerdings wird man damit ProtagonistIn der informationellen Aufrüstungsspirale - eine Frage des politischen Selbstverständnisses, die bisher wenig diskutiert wird.

Authentizität und Autorisation

Freilich hat das junge Glück auch andere Schattenseiten: Neben der Gefahr der zunehmenden Kommerzialisierung und Schaffung neuer Zugangshürden (s.o.), bilden sich auch im Netz Hierachien. So gibt es weiterhin WortführerInnen, besonders involvierte Eliten-Zirkel, aber auch technische Macht durch SystemverwalterInnen und ModeratorInnen, die eine neue Form redaktioneller Arbeit in den Newsgroups übernehmen. Damit will wohl einem neuen Problem begegnet werden: das der mangelnden Authentizität und Autorisation. Anders als bei klassischen Medien gibt es überhaupt keine Versuche der Kontrolle darüber, ob etwas Behauptetes stimmt, richtig belegt ist oder ob ein Text ein Original darstellt. Hier wird wohl nur besondere Wachsamkeit der NutzerInnen und ein kritischeres Verhältnis zur Wahrheit helfen, will man die Vorzüge des neuen Systems nicht gleich wieder abschaffen. Außerdem wird durch die Reproduzierbarkeit der Daten der herkömmliche Begriff geistigen Eigentums erodiert. Interessant wäre die Entwicklung hin zu einer neuen Art des Verwertungsrechtes: JedeR darf alles benutzen, muß für die Zeit der Nutzung aber eine Gebühr bezahlen. Zu fragen wäre dann nach Auswirkungen auf den allgemeinen Eigentumsbegriff. Die Diskussion um die angeblichen enormen Umwälzungen durch die Informationsgesellschaft und ihr Flaggschiff Internet wird, im ganzen betrachtet, an der schillernden Oberfläche geführt, ohne die Bewältigung der hinreichend bekannten, vor allem sozialen Probleme anzugehen. Das scheinbar Neue entwickelt sich in den eingeschlagenen Richtungen weiter - verbunden mit der Verstärkung bekannter Gefahren. HauptnutznießerInnen ist nicht die Bildung, die Gesellschaft, sondern die Wirtschaft. Als Gegenbewegung bleibt neben stärkerer Regulierung nur die effektive Nutzung der wenigen, aber um so interessanteren progressiven Potentiale. "Aber irgendwie", fährt mein Opa schließlich fort, "wird alles schon seinen altbewährten Gang nehmen." Alt schon, Opa.

Achim Berge studiert Jura in Freiburg

Literatur:

de Kerckhove, Derrick, Schriftgeburten, 1995.
Wetzstein, u. a., Datenreisende, Opladen 1995.
Hörning, Karl u. a., Vom Wellenreiter zum Spieler, Soziale Welt 1/1996, 7 ff.
le monde diplomatique 5/96, Schwerpunktausgabe zum Internet.
Renaud, Pascal u. a., Internet - eine Chance für die Südhalbkugel, le monde diplomatique 2/1996, 4 f.
Schöning, Barbara, Surfing, Cybersex an on-line-shopping: reality on your PC, tendenz 1/1996, 10 ff.
Wolf, Frieder Otto (Hrsg.), Informationsgesellschaft - Perspektive für Europa, Köln 1996 (mit umfangreichem Literatur- und Adressenanhang, zu bestellen unter 0228/639251).