Heft 4 / 1996:
Law Online
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Bayerischer Abweg im Abtreibungsrecht
 

Die Ende Juli 1996 verabschiedeten bayerischen Ergänzungsregelungen zum Bundesabtreibungsrecht bescheren dem "Abtreibungstourismus" goldene Zeiten: Bayerische ÄrztInnen und Krankenhäuser dürfen ab 1. Oktober 1996 nur noch 25 % ihrer jährlichen Einkünfte aus Schwangerschaftsabbrüchen erzielen. Den Schutz der ÄrztInnen vor einer Gewissenstrübung durch wirtschaftliche Abhängigkeit von Abtreibungen nennt die CSU-Landtagsmehrheit als Regelungsziel (und behält für sich, warum das ärztliche Gewissen eine Abtreibung pro Tag verkraftet, bei ungefähr dreien aber versagt). Erreicht hat das Gesetz das faktische Ende legaler ambulanter Abtreibungen in Bayern: Fast die Hälfte aller Abbrüche dort wurde bisher von zwei darauf spezialisierten Ärzten vorgenommen - beide können ihre Praxis jetzt schließen. Die entstehende Versorgungslücke bleibt offen: Kaum einE ÄrztIn wird sich der Kriminalisierung ihrer / seiner Tätigkeit durch die zur Überprüfung der 25-%-Quote angedrohten Durchsuchungen von Praxis, Wohnung und Patientinnenkartei freiwillig unterwerfen. Nicht nur wegen dieser unverhältnismäßigen Einschränkung ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetz (GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) haben einige ÄrztInnen Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht. Ignoriert hat der bayerische Landtag zudem die im Abtreibungsurteil 1 enthaltene Vorgabe an die Länder, wohnortnahe Abtreibungsmöglichkeiten zu garantieren.
Das Münchener Gesetz verpflichtet die bayerischen Frauen darüber hinaus, ab 1. September 1996 in der Schwangerschaftsberatung ihre Gründe für den beabsichtigten Abbruch mitzuteilen - bei Schweigen gibt es den notwendigen Beratungsschein nicht. Bei Lügen schon; das Gesetz verhindert also keine einzige Scheinerteilung, macht aber die ohnehin problematische Pflichtberatung durch Mißtrauen und zusätzlichen Zwang noch schikanöser für die betroffenen Frauen. Diese von Doppelmoral gekennzeichnete Gesetzgebung zu Lasten von Frauen muß gestoppt werden, etwa durch die Verfassungsbeschwerden gegen die 25%-Quote. Der Ausgang einer gegen die Auskunftspflicht gerichteten Normenkontrollklage derjenigen Bundestagsabgeordneten, die den sicher nicht zur Disposition einzelner Ländern stehenden Abtreibungskompromiß von 1995 mitgetragen haben, ist ungewiß angesichts der Widersprüchlichkeit des Abtreibungsurteils zu diesem Thema: "Wenn es auch der Charakter einer Beratung ausschließt, eine Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren Frau zu erzwingen, ist doch für eine Konfliktberatung, die zugleich die Aufgabe des Lebensschutzes erfüllen soll, die Mitteilung der Gründe unerläßlich, die dazu führen, einen Schwangerschaftsabbruch zu erwägen." 2

Katharina Ahrendts, Freiburg

Anmerkungen:

1 Entscheidungen des BVerfG Bd. 88, 203.
2 ebd. 284 f.

Quellen und Literatur:

Tageszeitungen vom 1.-3.8.1996;
Frommel, Monika: Antworten auf eine Provokation, in: tageszeitung v. 6.9.1996, 10.
Marei Pelzer: Neuer § 218 in Kraft, in: Forum Recht 5/95, 140.