Heft 4 / 1996:
Law Online
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
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Fangfragen vom "aktiven Bürger"
 

Alle Beschuldigten müssen, bevor sie von der Polizei (direkt oder telefonisch) befragt werden, über Tatvorwurf und Schweigerecht aufgeklärt werden - andernfalls ist die Aussage unverwertbar. Wird die Aufklärung unterlassen, die Befragung aber durch eine instruierte Privatperson durchgeführt und hört die Polizei über eine zweite Hörmuschel mit, darf die Aussage verwendet werden und liegt auch keine Telefonüberwachung vor - dies entschied jetzt der große Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH).
Mit der Entscheidung hat sich der Große Senat gegen den Großteil der Literatur gewendet und den Ermittlungsbehörden für die Zukunft die Ausarbeitung eines "ganzen Systems von Fallen", so der Strafprozeßrechtler Claus Roxin, ermöglicht. Unterstützt wurde auch die Sicht des Generalbundesanwalts, der in der befragenden Person keinen Spitzel sah, sondern "den aktiven Bürger, der nicht nur passiv seine Zeugenpflicht wahrnimmt".
Einig ist man sich insoweit, als es sich bei einer privaten Befragung um keine Vernehmung handelt und die Belehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 Strafprozeßordnung (StPO) nicht direkt anwendbar ist. Der Große Senat stellt sich im folgenden auf den Standpunkt, daß die Befragung durch keine Norm verboten wird, die Gegenansicht meint, daß die Befragung durch keine Norm erlaubt wird. Eine Ermächtigungsgrundlage ist aber nach dem System der StPO zwingend erforderlich, die vom Prinzip der "offenen Ermittlungen" ausgeht und Ausnahmen wie das Abhören des Telefons oder Verdeckte Ermittler gesondert aufführt.
Zudem ist die Belehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 StPO grundrechtlich durch das Rechtsstaatsprinzip verbürgt. Nach Interpretation des BGH soll der Grundsatz nur sicherstellen, daß der Beschuldigte aus Ehrfurcht vor der Polizei nicht meint, er wäre zur Aussage verpflichtet. Da im vorliegenden Fall der Beschuldigte nichts von der Polizei wußte, könne er auch keine Pflicht angenommen haben.
Dies ist doppelt falsch: Erstens subsumiert der BGH inkonsequent den vorher abgelehnten § 136 StPO. Zweitens könnten mit diesem Argument alle PolizistInnen ihre Identität verschweigen und Fragen stellen, ohne daß die Beschuldigten sich verpflichtet fühlen müssen -genau das aber verbietet § 136 StPO. Mit der Norm sollen die Beschuldigten nämlich auch über das besondere Gewicht ihrer Aussage und die Folgen aufgeklärt werden. Und da kann es keinen Unterschied machen, ob PolizistInnen oder abgerichtete Dritte die Fragen stellen. Aus diesem Grund sind VertreterInnen einer dritten Ansicht der zutreffenden Meinung, daß das Belehrungsgebot analog heranzuziehen ist, zumal wegen des "offenen Prinzips" der StPO eine Regelungslücke vorliegt.

Achim Berge, Freiburg

Quellen:

(zum Vorlagebeschluß des 5. Senats) Neue Zeitschrift für Strafrecht 1996, 200 ff. mit Anm. Fezer 289 f.;
(zum Urteil des Großen Senats) Tageszeitungen vom 24.7.96
(zum Ganzen) Dencker, Friedrich, Über Heimlichkeit…, Strafverteidiger 1994, 667ff.