Heft 4 / 1996:
Law Online
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
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Mouseklick for President!
Newt Gingrich fusioniert Berlin-Brandenburg - online
 

Berlin-Brandenburg, 5. Mai 2006: Volksabstimmung, zweiter Versuch. Die Fusion liegt vorne, mit einem knappen Vorsprung von 2500 Klicks. Kein Wunder eigentlich, denn diesmal haben die MacherInnen nicht nur die gesamte Parteienlandschaft inklusive Medien hinter sich, sondern zudem die geballte Kraft der Datenautobahn. Und so fusioniert nun nicht nur Berlin mit Brandenburg, sondern auch die Gehirnmasse mit der Maustaste. Mit jedem Klick wird wieder deutlich, daß nun - dank Cyberspace - endlich die letzten gegenseitigen Vorbehalte zwischen Ost und West weggefallen sind. Jetzt sind also alle eins im Netz.
Es ist vollbracht. Die Kamera schwingt über zu dem, dem es gelungen ist, den Graben zwischen Politik und Wirklichkeit zu überbrücken und das Volk stärker in die politische Entscheidungsfindung einzubinden. Unser Retter heißt Newt Gingrich. Nachdem es ihm in den USA bereits geglückt war, die allgemeine Haushaltshysterie dazu zu nutzen, im Sinne der digitalen Demokratie gleich den ganzen Kongreß wegzurationalisieren (und sich selbst damit leider auch), ist Gingrich nun schon seit Jahren als Internet-Missionar auf Welttournee. Jetzt endlich auch in Berlin-Brandenburg - was für eine Ehre. Und als unabhängiger Regierungsberater erfüllt der "fortschrittskonservative" Mann der Zukunft unseren Traum von der perfekten Datenwelt nun ganz so, wie er es schon vor Jahren in seinen Parteiprogrammen versprochen hatte: Laptops für alle! Jetzt also sitzt er am berlin-brandenburgischen Steuer, höchstpersönlich, der Chauffeur der Datenautobahn schlechthin. Hoffentlich erweist er sich, wenn er uns nun im Windschatten von Bill Gates schnurstracks geradeaus fährt, nicht als Geisterfahrer auf dem "Weg nach vorn".
Doch wenn schon. Ein kleiner Cybercrash verblaßt schnell neben der phantastischen Datenwelt, die er Berlin-Brandenburg für die Zukunft versprochen hat: Keine von Partikularinteressen beeinflußten Gesetze mehr, direkte Kontrolle und totale Transparenz der Politik. Endlich werden wir nun alle Zugang zu denselben Informationen haben. Das ergibt dann zwar keine reale, aber immerhin schon virtuelle Chancengleichheit. Wir wollen nicht undankbar sein; letztere ist schließlich billiger zu haben, zumal jetzt die Kosten für aufwendige Sozialprogramme wegfallen: In Zukunft brauchen wir den Kindern im Märkischen Viertel und im Spreewald nur noch den Rechner vor die Tür zu stellen, damit sie selbst über ihr Schicksal entscheiden können. Endlich werden nun auch die zur E-Mail kommen, die bisher keine Stimme hatten. Wer mag da noch von sozialer Ungerechtigkeit sprechen?! Seit Gingrich bei uns ist, ist die Kritik verstummt und der Haushalt gerettet. Nicht zuletzt übrigens durch die geniale Idee, Tetris gleich mitzuliefern, so als Ersatz für diejenigen, die nicht unbedingt digital ins Landesparlament surfen wollen. Und schon springt einem fast ins Auge, warum die innige Umarmung von Berlin und Brandenburg 1996 noch so kläglich scheitern mußte: Es fehlte ein Computerspiel als katalysierendes Werbegeschenk.
Immerhin hatten Diepgen, Stolpe & Co. wenn auch nicht auf das richtige Pferd, so immerhin den Fuß damals ja schon in die richtige Richtung gesetzt. Wenn es am Vertrauen in die Politik fehlt, so läßt sich dies am besten über gezielte Werbung und Stimmungsmache wieder herstellen. Das Zusammenspiel von Fernsehen und Plebiszit läßt sich jetzt in der Cyberdemokratie aber noch erheblich perfektionieren. Die Abstimmung kommt nun einfach direkt nach der (Wahl-) Werbung, und zwar auf allen Kanälen! Wer will da noch der Fusion widerstehen können, wenn gerade das Grinsen niedlicher kleiner Babys über die Glotze geflackert kam: "Gemeinsam sind wir stark". Je nach Entscheidung muß man dann halt mal eben etwas umdisponieren. Für die § 218-Debatte z. B. sollen sich ja im Cyberfreistaat Bayern (dem wir natürlich wieder etwas hinterhersurfen) bereits die Bilder frisch abgetöteter Föten als besonders effektiv für den Beeinflussungsinzest durchgesetzt haben.
Die Angst weltfremder SkeptikerInnen wie Neil Postman, der immer noch allen Ernstes behauptet, wir würden am Ende in der Informationsflut ertrinken, bringt uns jedenfalls nicht aus der Fassung - erst recht nicht beim inzwischen ausgebauten Vorsprung der Fusion von 6000 Mausklicks. Es scheint sich tatsächlich zu bestätigen: Info gut, alles gut. Und daß die Telekom es über Jahre nicht gebacken gekriegt hat, genügend Haushalte zum Online-Plebiszit zu verkabeln, störte auch nur die NihilistInnen. Dafür kann sie ja immerhin schnell Rad fahren - so gesehen bei der Tour de France 1996.
Allein der Einwand mancher KritikerInnen, es fehle der Demokratie am Element des Dialogs, wenn wir alle allein vor unseren Rechnern sitzen, und Politik verkümmere zur reinen Willensbekundung ohne Meinungsbildung, mag uns, während wir gespannt auf die nächste Hochrechnung warten, noch hin und wieder ins Wanken bringen. Schließlich soll nach jüngsten Studien bereits eine virtuelle Gruppe von nur vier Personen bis zu zehnmal länger brauchen, um auf einen Nenner zu kommen als eine reale. Das muß man nur mal auf 4,4 Mio. stimmberechtigte Menschen aus Berlin und Brandenburg hochrechnen, um zu wissen, wie auch das World Wide Web an der Fusion vielleicht in letzter Sekunde scheitern könnte: on line, auf ganzer Linie.
Aber während wir noch zweifeln, biegt die Fusion schon ein auf die Zielgerade. Die letzten digitalen Stimmen einiger NachzüglerInnen, die immer noch mit Windows 95 arbeiten, sind nun auch endlich eingetrudelt. Das verzweifelte Ringen der BürgerInnen-Initiativen, die inzwischen auch digital aufgerüstet haben, kann das Ergebnis nicht mehr umkrempeln. Wenn sich 1996 alle einig waren, daß bei dieser Abstimmung niemand gewonnen hatte, so steht nun der wahre Sieger von heute bereits fest: Oben auf dem Treppchen steht das Internet - nur leider mutterseelenallein.

Lars Abromeit studiert Jura in Freiburg