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Berlin-Brandenburg, 5. Mai 2006: Volksabstimmung, zweiter Versuch. Die
Fusion liegt vorne, mit einem knappen Vorsprung von 2500 Klicks. Kein
Wunder eigentlich, denn diesmal haben die MacherInnen nicht nur die gesamte
Parteienlandschaft inklusive Medien hinter sich, sondern zudem die geballte
Kraft der Datenautobahn. Und so fusioniert nun nicht nur Berlin mit Brandenburg,
sondern auch die Gehirnmasse mit der Maustaste. Mit jedem Klick wird wieder
deutlich, daß nun - dank Cyberspace - endlich die letzten gegenseitigen
Vorbehalte zwischen Ost und West weggefallen sind. Jetzt sind also alle
eins im Netz.
Es ist vollbracht. Die Kamera schwingt über zu dem, dem es gelungen ist,
den Graben zwischen Politik und Wirklichkeit zu überbrücken und das Volk
stärker in die politische Entscheidungsfindung einzubinden. Unser Retter
heißt Newt Gingrich. Nachdem es ihm in den USA bereits geglückt war, die
allgemeine Haushaltshysterie dazu zu nutzen, im Sinne der digitalen Demokratie
gleich den ganzen Kongreß wegzurationalisieren (und sich selbst damit
leider auch), ist Gingrich nun schon seit Jahren als Internet-Missionar
auf Welttournee. Jetzt endlich auch in Berlin-Brandenburg - was für eine
Ehre. Und als unabhängiger Regierungsberater erfüllt der "fortschrittskonservative"
Mann der Zukunft unseren Traum von der perfekten Datenwelt nun ganz so,
wie er es schon vor Jahren in seinen Parteiprogrammen versprochen hatte:
Laptops für alle! Jetzt also sitzt er am berlin-brandenburgischen Steuer,
höchstpersönlich, der Chauffeur der Datenautobahn schlechthin. Hoffentlich
erweist er sich, wenn er uns nun im Windschatten von Bill Gates schnurstracks
geradeaus fährt, nicht als Geisterfahrer auf dem "Weg nach vorn".
Doch wenn schon. Ein kleiner Cybercrash verblaßt schnell neben der phantastischen
Datenwelt, die er Berlin-Brandenburg für die Zukunft versprochen hat:
Keine von Partikularinteressen beeinflußten Gesetze mehr, direkte Kontrolle
und totale Transparenz der Politik. Endlich werden wir nun alle Zugang
zu denselben Informationen haben. Das ergibt dann zwar keine reale, aber
immerhin schon virtuelle Chancengleichheit. Wir wollen nicht undankbar
sein; letztere ist schließlich billiger zu haben, zumal jetzt die Kosten
für aufwendige Sozialprogramme wegfallen: In Zukunft brauchen wir den
Kindern im Märkischen Viertel und im Spreewald nur noch den Rechner vor
die Tür zu stellen, damit sie selbst über ihr Schicksal entscheiden können.
Endlich werden nun auch die zur E-Mail kommen, die bisher keine Stimme
hatten. Wer mag da noch von sozialer Ungerechtigkeit sprechen?! Seit Gingrich
bei uns ist, ist die Kritik verstummt und der Haushalt gerettet. Nicht
zuletzt übrigens durch die geniale Idee, Tetris gleich mitzuliefern, so
als Ersatz für diejenigen, die nicht unbedingt digital ins Landesparlament
surfen wollen. Und schon springt einem fast ins Auge, warum die innige
Umarmung von Berlin und Brandenburg 1996 noch so kläglich scheitern mußte:
Es fehlte ein Computerspiel als katalysierendes Werbegeschenk.
Immerhin hatten Diepgen, Stolpe & Co. wenn auch nicht auf das richtige
Pferd, so immerhin den Fuß damals ja schon in die richtige Richtung gesetzt.
Wenn es am Vertrauen in die Politik fehlt, so läßt sich dies am besten
über gezielte Werbung und Stimmungsmache wieder herstellen. Das Zusammenspiel
von Fernsehen und Plebiszit läßt sich jetzt in der Cyberdemokratie aber
noch erheblich perfektionieren. Die Abstimmung kommt nun einfach direkt
nach der (Wahl-) Werbung, und zwar auf allen Kanälen! Wer will da noch
der Fusion widerstehen können, wenn gerade das Grinsen niedlicher kleiner
Babys über die Glotze geflackert kam: "Gemeinsam sind wir stark". Je nach
Entscheidung muß man dann halt mal eben etwas umdisponieren. Für die §
218-Debatte z. B. sollen sich ja im Cyberfreistaat Bayern (dem wir natürlich
wieder etwas hinterhersurfen) bereits die Bilder frisch abgetöteter Föten
als besonders effektiv für den Beeinflussungsinzest durchgesetzt haben.
Die Angst weltfremder SkeptikerInnen wie Neil Postman, der immer noch
allen Ernstes behauptet, wir würden am Ende in der Informationsflut ertrinken,
bringt uns jedenfalls nicht aus der Fassung - erst recht nicht beim inzwischen
ausgebauten Vorsprung der Fusion von 6000 Mausklicks. Es scheint sich
tatsächlich zu bestätigen: Info gut, alles gut. Und daß die Telekom es
über Jahre nicht gebacken gekriegt hat, genügend Haushalte zum Online-Plebiszit
zu verkabeln, störte auch nur die NihilistInnen. Dafür kann sie ja immerhin
schnell Rad fahren - so gesehen bei der Tour de France 1996.
Allein der Einwand mancher KritikerInnen, es fehle der Demokratie am Element
des Dialogs, wenn wir alle allein vor unseren Rechnern sitzen, und Politik
verkümmere zur reinen Willensbekundung ohne Meinungsbildung, mag uns,
während wir gespannt auf die nächste Hochrechnung warten, noch hin und
wieder ins Wanken bringen. Schließlich soll nach jüngsten Studien bereits
eine virtuelle Gruppe von nur vier Personen bis zu zehnmal länger brauchen,
um auf einen Nenner zu kommen als eine reale. Das muß man nur mal auf
4,4 Mio. stimmberechtigte Menschen aus Berlin und Brandenburg hochrechnen,
um zu wissen, wie auch das World Wide Web an der Fusion vielleicht in
letzter Sekunde scheitern könnte: on line, auf ganzer Linie.
Aber während wir noch zweifeln, biegt die Fusion schon ein auf die Zielgerade.
Die letzten digitalen Stimmen einiger NachzüglerInnen, die immer noch
mit Windows 95 arbeiten, sind nun auch endlich eingetrudelt. Das verzweifelte
Ringen der BürgerInnen-Initiativen, die inzwischen auch digital aufgerüstet
haben, kann das Ergebnis nicht mehr umkrempeln. Wenn sich 1996 alle einig
waren, daß bei dieser Abstimmung niemand gewonnen hatte, so steht nun
der wahre Sieger von heute bereits fest: Oben auf dem Treppchen steht
das Internet - nur leider mutterseelenallein.
Lars Abromeit studiert Jura in Freiburg
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