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"Kann ich bitte einmal telefonieren?"
Stefan Derrick
Ignoriert man einmal die Ekstase der Propagandisten der neuen Ära, so
wirkt die Flut an Einzelmeldungen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft
erst einmal lediglich erschlagend: Beinahe täglich verkünden Großkonzerne
neue Kooperationen, strategische Allianzen und Fusionen oder kündigen
alte auf, um ihre jeweiligen Startpositionen für die kommende Ära zu verbessern.
Gleichzeitig steht der Gesetzgeber vor nie dagewesenen Aufgaben: das bisherige
rechtliche Instrumentarium greift an weiten Teilbereichen der neuen Techniken
vorbei, und Bund und Länder streiten sich, wer überhaupt die Kompetenz
hat, die neuen Angebote zu regeln.
Im folgenden soll daher ein Überblick über die bisherigen Entwicklungen
in dreierlei tragenden Bereichen versucht werden: zunächst bei den Medienkonzernen
"alten Stils", dann bei der Liberalisierung der Telekommunikation und
schließlich im Softwaremarkt.
Global media players
In den USA begann im Sommer 1995 ein regelrechtes Fusionsfieber. Walt
Disney kaufte die Fernsehkette ABC, Time Warner und Ted Turner fusionierten,
und der Elektrokonzern Westinghouse übernahm das CBS Network.1 Offensichtlich
kommen finanzstarken Unternehmen aus "externen" Branchen die Profitmöglichkeiten
im Mediengeschäft sehr attraktiv vor. Dazu tritt aber die Tendenz, daß
inzwischen auch die amerikanischen Medienkonzerne selbst versuchen, alle
Stufen der Medienproduktion und Wertschöpfung unter einem Konzerndach
zu vereinen, um ihren Einfluß zu maximieren: die Produktion von Unterhaltung
in Film- und Fernsehstudios, der Verleih in die Kinos, die Ausstrahlung
im Fernsehen und schließlich die internationale Verwertung über Filmbibliotheken
und Verleihe.
Der Markt boomt schließlich seit Jahren: Das Gesamtvolumen des zu verteilenden
Werbekuchens betrug 1994 in ganz Europa 19 Mrd. US-$, die Prognose für
das Jahr 2000 liegt bei 23,4 Mrd. US-$. Allein in Deutschland flimmerten
1994 rund 1,1 Mio. Werbespots über die Bildschirme.2 Eine neue Welt hat
sich auch in Deutschland aufgetan, seitdem RTL am 2. Januar 1984 über
die luxemburgische Grenze zu senden begann. Die Aktivitäten von RTL schufen
dann für einzelne, zumeist von der CDU regierten Bundesländern das nötige
politische Klima, eiligst (und teilweise verfassungswidrig4) Landesmediengesetze
zu verabschieden und so das "duale Rundfunksystem" einzuführen - schließlich
war ihnen der öffentlich-rechtliche "Rotfunk" schon seit langem ein Dorn
im Auge. Dabei wurden die bereits laufenden "Kabelpilotprojekte" in verschiedenen
Bundesländern größtenteils durch die faktische Entwicklung überholt.
Hauptsächlich weil es aber wirtschaftlich unsinnig war, unterschiedliche
Regelungen in den Bundesländern zu schaffen, einigten sich 1987 alle Bundesländer
auf einen Rundfunkstaatsvertrag (RfStV), der die Firmenbeteiligungen im
Fernsehmarkt beschränken und die Meinungsvielfalt sichern sollte. Dazu
verbot er den Konzernen, bestimmte Grenzen der Kapitalbeteiligung an den
Programmanbietern zu überschreiten. Unter diesen Regeln haben sich im
wesentlichen nur zwei große Fernsehfamilien im deutschen Fernsehbusiness
formiert.
Der umstrittenste Akteur ist sicherlich Leo Kirch, ein Filmhändler aus
München. Seinen gigantischen Programmvorrat spult er auf seinem eigenen
Sender Sat 1 ab; daß Kirch daran kräftig verdient, der Sender bis heute
aber noch keinen Gewinn abgeworfen hat, ist ein Grund für die latenten
Dauerspannungen mit dem zweiten Hauptaktionär, dem Axel-Springer-Verlag
- an dem Kirch allerdings selbst wiederum Anteile hält. Weiterhin ist
sein Sohn Thomas Kirch an Pro 7 beteiligt, und Kabel 1, DSF und Premiere
sichern ihm eine Mehrfachverwertung seines Filmlagers und der Sportrechte.
Aber auch das ZDF deckt einen Großteil seines Spielfilmbedarfs bei ihm.
Außerdem besitzt er eine Vielzahl von Sportrechten (Bundesliga) und hat
soeben die Übertragung der Fußball-WMs ab 2002 erworben.5
Daneben steht der Bertelsmann-Konzern, der in Deutschland an RTL, RTL
2, Vox und Premiere beteiligt ist. Den Bertels-Hauptmann Mark Wössner
wurmte allerdings schon seit langem, daß sein Unternehmen bei den neuen
Medien im internationalen Vergleich nur ein Zwerg war - das Unternehmen
mit Sitz im westfälischen Gütersloh ist zwar der drittgrößte Medienkonzern
der Welt, schöpft seine 20 Mrd. Mark Jahresumsatz aber hauptsächlich aus
Presse- und Bucherzeugnissen und dem Musikgeschäft.
Der zweite RTL-Betreiber ist die Compagnie Luxembourgoise de Television
(CLT), ein verwirrendes Geflecht französischer und belgischer Firmen,
das auch durch den größten französischen Pay-TV-Sender Canal Plus, den
französischen Medienkonzern Havas und die belgische Großbank Bruxelles
Lambert unterstützt wird. Nachdem Bertelsmann jahrelang einen intensiven
Streit mit der CLT über die Vorherrschaft bei RTL pflegte, überraschten
die beiden Konzerne nun plötzlich mit der Absicht zu fusionieren.6
Zukunftsfernsehen
Der neu entstandene Fernsehriese steht jedoch trotz allen Verhandlungsgeschicks
vor einem imposanten "Scherbenhaufen"7. Weil die Einnahmemöglichkeiten
beim werbefinanzierten Fernsehen an ihre Grenzen stoßen, sollen sich die
Konsumenten in Zukunft ihr Programm pro Sendung bezahlen (sog. pay
per view). Für dieses "digitale Fernsehen" ist dann auch ein Decoder
notwendig. Leo Kirch setzte aber der "Mediabox" der von Bertelsmann mobilisierten
Multimedia-Betriebsgesellschaft (MMBG) auf der Funkausstellung 1995 seine
eigene "d-Box" entgegen und begann im Juli plötzlich mit der Ausstrahlung
seines eigenen digitalen Fernsehens. Inzwischen scheint Bertelsmann eingeschüchtert
seine ganz großen Pläne aufgegeben zu haben, vor allem seitdem Kirch es
geschafft hat, den amerikanisch-australischen Medienmagnaten und Programmlieferanten
Rupert Murdoch von Bertelsmann abzuwerben.8
Während es der Bundesregierung für die Regelung der neuen Dienste reichen
soll, "wenn sich ein Anbieter neuer Dienste den Gewerbeschein holt"9,
wollen die Länder für Dienste wie abrufbares Fernsehen und Teleshopping-Kanäle
Anzeige- und Zulassungsregeln erlassen; sie wissen, wenn Multimedia ihnen
verschlossen bleibt, wird ihre jetzige Medienhoheit erodieren. Sie wünschen
sich dabei weiterhin eine Konzentrationskontrolle, wenn der Inhalt eines
Multimediums der Definition des Rundfunks als "Massenkommunikation" nahekommt.
Vor allem sollen Anbieter von bewegten Bildern nach wie vor der Kontrolle
der Landesmedienanstalten unterfallen. So würden sie sich über kurz oder
lang auch Eintritt ins Internet verschaffen, wo jetzt teilweise schon
bewegte Bilder abrufbar sind.
Wie aber die fließenden Übergänge zwischen diesen Kategorien erfaßt werden
sollen, ist noch offen. Bisher waren die Definitionen wegen der unterschiedlichen
Technik noch sehr bequem. Allerdings hat sich auch bereits das Bundeskartellamt
in die Diskussion eingeschaltet, das einen Teil der neuen Dienste innerhalb
seiner Kompetenz sieht.
Daß aber die Medienkontrolle qualitativ und nicht quantitativ verbessert
werden muß, ist den 16 Ländern offensichtlich entgangen. Dabei müßten
sie selbst am besten um die beiden kapitalen Defizite der bisherigen Medienkontrolle
wissen: Einerseits ist ihnen beim Fernsehen bisher das T-Shirt immer näher
als der Rock gewesen. In Nordrhein-Westfalen förderte Wolfgang Clement
(SPD) Bertelsmann, und Edmund Stoiber (CSU) stützte Kirch in Bayern, statt
seinen Einfluß zu begrenzen - während wiederholt die Zukunft des öffentlich-rechtlichen
Fernsehens in Frage gestellt wurde.
Außerdem hat der RfStV zu einem kaum mehr durchschaubaren Dickicht an
Quer- und Schattenbeteilungen der Konzerne untereinander geführt. Nach
jahrelangen Verhandlungen einigte man sich jetzt auf eine radikale Liberalisierung
(!) der Beschränkungen. Es soll nicht nicht mehr auf Kapitalbeteiligungen,
sondern auf die Einschaltquoten abgestellt werden: Ein Unternehmen darf
nicht mehr als 30 % des Zuschauermarktes bedienen, die sich aus den Einschaltquoten
der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) errechnen. Der Marktanteil
eines Senders wird dann über die Kapitalbeteiligungen auf die einzelnen
Konzerne verteilt. Werden die 30 % für ein Unternehmen überschritten,
so sind ihm lediglich weitere Zukäufe verwehrt; ein Konzern kann nicht
zwangsgeschrumpft werden.10
Diese "Beschränkungen" entstanden unter dem Druck der schon während der
Vertragsverhandlungen angekündigten Bertelsmann-CLT-Fusion. Medienpolitik
ist damit offensichtlich so sehr an den einzelnen Konzerne orientiert,
daß von abstrakt-genereller Normengebung eigentlich nicht mehr die Rede
sein kann; die Revision des RfStV paßt sich vielmehr den faktischen Verhältnissen
an. Daß diese sich durch die stetig neuen Allianzen ändern, wird das neue
Werk (verdientermaßen) schon bald wieder neuen Diskussionen aussetzen.
Daß die KundInnen außerdem in Zukunft mit mehreren hundert Mark an Abo-Gebühren
für Großveranstaltungen rechnen müssen und die öffentlich-rechtliche Grundversorgung
bei den heutigen Preisen für Spielfilme und Sportereignisse nicht mehr
finanzierbar ist, scheint keine Rolle zu spielen; ebenso ist uninteressant,
daß eine Vielzahl an Kanälen nicht zwangsläufig zu einer erhöhten Programmvielfalt
führt; die Minderheitenprogramme werden auch im Pay-TV nicht profitabel
sein, und die nicht pleite gegangenen übrigen Kanäle werden sich inhaltlich
kaum unterscheiden - genauso wie sich jetzt schon die Programme der in
Deutschland empfangbaren 30 Kanäle bis zur Unkenntlichkeit angenähert
haben. Dies wird von den Neuregelungen billigend in Kauf genommen.
Gerangel um die Drähte
Der zweite boomende Bereich ist die Kommunikationstechnik. Wie beim Rundfunk
Auslandssender die Schaffung eines dualen Rundfunksystems erzwangen, wird
auch hier die Deregulierung durch weltwirtschaftliche Entwicklungen nötig:
Durch internationale Konkurrenz gerät auch ein Staatsmonopolbetrieb wie
die Telekom unter Druck; vor allem Großkunden haben die Möglichkeit, ausländische
Telefongesellschaften zu nutzen. Auch liegt es im Interesse der deutschen
Elektronikindustrie (vor allem Siemens'), wenn die Telekom als Privatunternehmen
bei internationalen Aufträgen mitbieten kann, was einem Staatsbetrieb
aus verfassungsrechtlichen Gründen direkt nicht möglich ist.
Die wichtigste Frage ist jedoch die folgende: Wie werden sich im Interesse
des "Standorts Deutchland" die höchst unterschiedlichen Kommunikationsstandards
wie Kabelfernsehen, Satellitenempfang, Kupferkabel-Telefon, ISDN, Mobilfunk
und Radio entwickeln? Diese sind in Deutschland fast alle fest in der
Hand der Telekom. Der ist es zwar zugute zu halten, daß Deutschland heute
weltweit das dichteste Glasfasernetz hat, jedoch sorgt sie bisher durch
ihre irrationale Preisstruktur dafür, daß dieses nicht ausgenutzt wird,
so daß man auf der Datenautobahn heute fast nur noch im Stau steckt.11
Um der relativen Unbeweglichkeit der staatlichen Monopole auf die Sprünge
zu helfen und weil die Legitimation inzwischen weggefallen ist, der Aufbau
von Netzen könne nur durch Staatsbetriebe gewährleistet werden - schlußendlich
auch auf Druck der Europäischen Union, die die Liberalisierung der Telekommunikation
für den Binnenmarkt will, entstand das neue Telekommunikationsgesetz (TKG),
das stufenweise Konkurrenz einführen soll.12
Seit 1. Juli 1996 sind in Deutschland bereits die "alternativen Netze"
als Konkurrenz zur Telekom zugelassen; diese sind aber noch in sich geschlossen
und daher nur für Geschäftsnetze geeignet. Ab 1. Januar 1998 soll es dann
EU-weit richtig losgehen: Auch PrivatkundInnen können dann ihre Telefonfirma
wählen.13
Auch wegen der notwendigen immensen Investitionen in die neuen Leitungen
haben sich in "kopfloser Dynamik"14 schlagkräftige Allianzen gebildet,
um das jetzige System zu knacken: vor allem die Töchter finanzstarker
Strommonopolisten bereiten sich auf den Einsatz vor. Dabei ist es ihnen
vor allem wichtig, möglichst wenig auf die Netze der Konkurrenz zurückgreifen
zu müssen, um Geld zu sparen; so findet sich auf der einen Seite ein Superbündnis
aus RWE und Viag in Kooperation mit der British Telecom15, auf der anderen
Seite der amerikanische Telefonriese AT&T, die weltweite Allianz Unisource
und Mannesmann. Letzterer betreibt bereits das Mobilfunknetz D2 und hat
jetzt eine Beteiligung an der Deutsche-Bahn-Tochter DBKom erreicht, die
entlang der Gleisanlagen über das zweitgrößte (wenn auch antiquierte)
Kommunikationsnetz Deutschlands verfügt.16 Dagegen gelten Thyssen und
das Bündnis von Veba und Cable & Wireless als relativ chancenlos.17
Rechtliche Probleme wirft vor allem noch die Frage auf, wie effektive
Konkurrenz erzwungen werden kann. Auch wegen ihrer eigenen Mega-Kooperation
"Global One" mit Sprint (USA) und France Telecom18 würde die Telekom ohne
weitere Maßnahmen auf lange Zeit wohl einen Marktanteil von ca. 80 % halten
können. Die Politik steckt dabei in der Zwickmühle, ob sie eine deutliche
Marktöffnung fördern will oder (wie der Bundesfinanzminister) eher an
einem hohen Börsenkurs der Telekom interessiert ist; dabei scheint der
Erfolg der neuen Telekom-Aktie, die im November 1996 ausgeworfen wird,
sehr fraglich.
Mitentscheidend für den Erfolg der neuen Konkurrenz wird vor allem sein,
wie künftig die Telefonnummern verteilt werden. Es wird diskutiert, das
gesamte Nummernsystem nach Vorbild der Postleitzahlenreform umzustellen19;
wenn alle TeilnehmerInnen sowieso neue Nummern bekommen, sind die Chancen
der Konkurrenten viel größer, der Telekom Kunden abwerben zu können.
Wie die durch den brandneuen Art. 87 f Grundgesetz gesicherte Grundversorgung
im einzelnen ausgestaltet werden soll, ist ebenfalls noch offen. Möglich
wäre es z. B., der Telekom einen Kontrahierungszwang aufzuerlegen: wenn
kein Konkurrent einen Auftrag möchte, muß die Telekom ihn übernehmen.
Dies könnte durch einen Fonds kompensiert werden, in den alle Konkurrenten
einzahlen müssen. Dies wird auch von der EU favorisiert.20 Eine andere
Lösung läge darin, daß nicht einzelne Aufträge, sondern nur "Auftragspakete",
also größere Gebiete vergeben werden, in denen auch unattraktive Projekte
bedient werden müssen, so daß es schwieriger würde, sich nur die "Rosinen"
herauszupicken. Die konkrete Gestaltung dieser Gebiete erscheint jedoch
um einiges anfälliger für Lobbyismus als die Fondslösung.
Ein weiterer umkämpfter Schlüsselmarkt ist der der Software. Zu befürchten
ist, daß der Löwenanteil der Aufgabe, die zukünftigen Geräte bedienbar
zu machen, an den bisher uneingeschränkten Herrscher der Massensoftware
geht: Microsoft. Die Firma erlangte ihre Stellung durch die wohl folgenschwerste
Fehlentscheidung der Computergeschichte: Als die IBM 1978 aus diversen
Bauteilen dritter Hersteller den ersten "Personal Computer" zusammenschraubte,
bot die damals nur aus Bill Gates und Paul Alland bestehende Firma Microsoft
der Firma ein eilig zusammengekauftes Betriebssystem namens MS-DOS an.
IBM lizenzierte das System lediglich; so hatten Dritthersteller die Möglichkeit,
funktionsgleiche Computer auszuliefern. Als der PC sich schließlich durchsetzte,
hatte IBM bereits die technologische Führerschaft verloren und liegt heute
im PC-Markt nur noch an sechster Stelle.
Nicht behebbare Fehler…
Bill Gates dagegen ist inzwischen der reichste Mann der Welt (nach letzter
Forbes-Schätzung 26,7 Mrd. US-$ Privatvermögen). Die konkurrierenden
Softwareprodukte, die an seinen Strategien zugrundegingen, sind Legion.
So hatten IBM und Microsoft sich darauf geeinigt, das antiquierte MS-DOS
durch ein modernes System zu ersetzen, das "Operating System/2" (OS/2).
Als Übergangslösung entstand "Windows", das zunächst nur ein Abfallprodukt
Microsofts bei dieser Entwicklung war, sich in der Version 3 aber plötzlich
wie warme Semmeln verkaufte. Da ließ Microsoft IBM im Regen stehen und
kündigte die Zusammenarbeit auf.21
Das Problem ist aber nicht nur, daß über 80 % der weltweit betriebenen
PCs mit Microsofts Betriebssystemen arbeiten, sondern daß die Firma dazu
auch Marktführer bei den Anwendungsprogrammen ist. Bei jeder Neuauflage
des Betriebssystems müssen alle Softwarefirmen ihre Software anpassen,
während Microsoft mit seinen eigenen Anwendungen immer einen Schritt voraus
ist. Während früher die Innovationen im Softwaremarkt noch von einzelnen
Herstellern herrührten, hebt sich heute die Softwareindustrie bei jeder
erzwungenen Neuprogrammierung einen Bruch.22 Inzwischen ist auch nachgewiesen,
daß in Windows undokumentierte Funktionen existieren, die Microsoft für
die Konkurrenz nicht veröffentlichte, die aber in Microsoft-Anwendungen
aufgerufen werden.23
Durch eine den ganzen Markt lähmende Ankündigungspolitik bei dem Nachfolger
"Windows 95", das mit zwei Jahren Verspätung auf den Markt kam, schaffte
es Gates wiederum, den Konkurrenten OS/2, der inzwischen von IBM alleine
weiterentwickelt worden war, kleinzuhalten. Bei dem wichtigen Markt der
vorinstallierten Betriebssysteme zwang er die Computerhändler durch Knebelverträge,
pro verkauftem Computer abzurechnen (statt für jede installierte Kopie);
wenn also ein Computer mit OS/2 verkauft wurde, mußte der Händler trotzdem
an Microsoft zahlen. Die Hersteller früher erfolgreicher Konkurrenz-Software
mußten inzwischen fast durch die Bank ihre Selbständigkeit aufgeben (z.
B. Lotus und WordPerfect); andere Firmen (Borland) werden werden in der
Branche ebenfalls bereits abgeschrieben.
Richtig ärgerlich ist bei dieser Entwicklung, daß die Qualität der Programme
relativ wenig Einfluß auf den Markterfolg hat.24 "Word", "Excel" und andere
verabschieden sich periodisch mit einem "Nicht behebbaren Fehler im Anwendungsprogramm"
- zusammen mit den eingegebenen Daten. Daß inzwischen "Auto-Speichern"-Funktionen
vorhanden sind, um wenigstens Teile der Daten zu retten, zeugt immerhin
von einem gesunden Selbstbewußtsein der Firma.
… und die neuen Pläne
Vor diesem Hintergrund gewinnt die aktuelle Firmenpolitik an Gewicht:
Nachdem Microsoft die Bedeutung des Internets zunächst völlig unterschätzt
hatte25, bricht sie nun nach einem halben Jahr der Umorientierung mit
aller Macht auch in diesen Markt hinein. Neue Netzsoftware wird kostenlos
angeboten, um den bisherigen Marktführer Netscape auszutrocknen; neue
Internet-Technologien ("Java") werden in Windows integriert; mit NBC zusammen
wird ein Nachrichtenprogramm im Internet lanciert26; Microsoft-Agenten
kaufen die weltgrößten Fotoarchive auf27; weitere Kooperationen mit Fernseh-
und Telekom-Firmen und sogar Steven Spielberg runden das Bild ab - Bill
Gates' offensichtliches Ziel scheint zu sein, die Medienwelt der Zukunft
in allen Teilbereichen seinem Einfluß zu unterwerfen, und zwar Netze und
Inhalte - mit seiner Software.
Zwar hat die amerikanische Kartellbehörde vor allem wegen ihrer Vertragspraxis
jahrelang Ermittlungen gegen Microsoft geführt, diese sind jedoch nach
lächerlich geringfügigen Auflagen inzwischen eingestellt.28
Ernsthafte Maßnahmen sind allerdings dringend nötig. Die Konzerne müssen
per Gesetz von einer inhaltlichen Kontrolle der Medien ferngehalten werden.
Es darf nicht sein, daß die Betreiber der Netze die in ihnen verbreiteten
Meinungen zensieren. Dazu ist allerdings ein hohes Maß an internationaler
Kooperation nötig.
Zweitens muß die ständige Konzentration im Medienbereich endlich gestoppt
werden, anstatt nur um Kompetenzen zu streiten. Die Marktanteilsquoten
im neuen RfStV müssen gesenkt werden, und zu große Firmen müssen gezwungen
werden, die zugekauften Anteile wieder abzustoßen. Für die Inhalte der
neuen Medien reichen die bestehenden Strafgesetze aus.
Schließlich müssen dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland
auch in Konkurrenz zu den neuen Diensten substantielle Programme erhalten
werden29, um weiterhin eine Grundversorgung zu gewährleisten. Andernfalls
werden bei ARD und ZDF über kurz oder lang nur noch Minderheitenprogramme
laufen. Sie brauchen aber auch Sportereignisse und andere Unterhaltungsprogramme,
denn diese Felder dürfen nicht allein den Privaten überlassen werden.
Wenn diese Maßnahmen nicht bald ergriffen werden, werden nur wenige globale
Konzerne mit Microsofts Programmen die verfügbaren Informationen kontrollieren
- wie Anfang des Jahrhunderts die steel trusts das Stahlgeschäft
in den USA.
Ulrich Möller studiert Jura in Berlin
Literatur:
Carroll, Paul, Die Offene Schlacht, Die Zeit
(Dossier) v. 23.9.1993, 17.
Fey, Jürgen, Hauen und Stechen, in: c't 6/1996, 26.
Frieder Otto Wolf / Die Grünen im Europäischen Parlament (Hrsg.),
Cyberflash, Cybercash,. Cybercrash. Informationsgesellschaft, Perspektive
für Europa?, 1996.
Schulman, Andrew, Undocumented Windows, 1994.
Zivadinovic, Dusan, Tele-Zauber, in: c't 4/1996, 148 f.
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