Heft 4 / 1996:
Law Online
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
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Ursuppe einer neuen Ära
Machtkonzentration und Regulierungsprobleme am Vorabend der Informationsgesellschaft
 

"Kann ich bitte einmal telefonieren?"

Stefan Derrick

Ignoriert man einmal die Ekstase der Propagandisten der neuen Ära, so wirkt die Flut an Einzelmeldungen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft erst einmal lediglich erschlagend: Beinahe täglich verkünden Großkonzerne neue Kooperationen, strategische Allianzen und Fusionen oder kündigen alte auf, um ihre jeweiligen Startpositionen für die kommende Ära zu verbessern. Gleichzeitig steht der Gesetzgeber vor nie dagewesenen Aufgaben: das bisherige rechtliche Instrumentarium greift an weiten Teilbereichen der neuen Techniken vorbei, und Bund und Länder streiten sich, wer überhaupt die Kompetenz hat, die neuen Angebote zu regeln.
Im folgenden soll daher ein Überblick über die bisherigen Entwicklungen in dreierlei tragenden Bereichen versucht werden: zunächst bei den Medienkonzernen "alten Stils", dann bei der Liberalisierung der Telekommunikation und schließlich im Softwaremarkt.

Global media players

In den USA begann im Sommer 1995 ein regelrechtes Fusionsfieber. Walt Disney kaufte die Fernsehkette ABC, Time Warner und Ted Turner fusionierten, und der Elektrokonzern Westinghouse übernahm das CBS Network.1 Offensichtlich kommen finanzstarken Unternehmen aus "externen" Branchen die Profitmöglichkeiten im Mediengeschäft sehr attraktiv vor. Dazu tritt aber die Tendenz, daß inzwischen auch die amerikanischen Medienkonzerne selbst versuchen, alle Stufen der Medienproduktion und Wertschöpfung unter einem Konzerndach zu vereinen, um ihren Einfluß zu maximieren: die Produktion von Unterhaltung in Film- und Fernsehstudios, der Verleih in die Kinos, die Ausstrahlung im Fernsehen und schließlich die internationale Verwertung über Filmbibliotheken und Verleihe.
Der Markt boomt schließlich seit Jahren: Das Gesamtvolumen des zu verteilenden Werbekuchens betrug 1994 in ganz Europa 19 Mrd. US-$, die Prognose für das Jahr 2000 liegt bei 23,4 Mrd. US-$. Allein in Deutschland flimmerten 1994 rund 1,1 Mio. Werbespots über die Bildschirme.2 Eine neue Welt hat sich auch in Deutschland aufgetan, seitdem RTL am 2. Januar 1984 über die luxemburgische Grenze zu senden begann. Die Aktivitäten von RTL schufen dann für einzelne, zumeist von der CDU regierten Bundesländern das nötige politische Klima, eiligst (und teilweise verfassungswidrig4) Landesmediengesetze zu verabschieden und so das "duale Rundfunksystem" einzuführen - schließlich war ihnen der öffentlich-rechtliche "Rotfunk" schon seit langem ein Dorn im Auge. Dabei wurden die bereits laufenden "Kabelpilotprojekte" in verschiedenen Bundesländern größtenteils durch die faktische Entwicklung überholt.
Hauptsächlich weil es aber wirtschaftlich unsinnig war, unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern zu schaffen, einigten sich 1987 alle Bundesländer auf einen Rundfunkstaatsvertrag (RfStV), der die Firmenbeteiligungen im Fernsehmarkt beschränken und die Meinungsvielfalt sichern sollte. Dazu verbot er den Konzernen, bestimmte Grenzen der Kapitalbeteiligung an den Programmanbietern zu überschreiten. Unter diesen Regeln haben sich im wesentlichen nur zwei große Fernsehfamilien im deutschen Fernsehbusiness formiert.
Der umstrittenste Akteur ist sicherlich Leo Kirch, ein Filmhändler aus München. Seinen gigantischen Programmvorrat spult er auf seinem eigenen Sender Sat 1 ab; daß Kirch daran kräftig verdient, der Sender bis heute aber noch keinen Gewinn abgeworfen hat, ist ein Grund für die latenten Dauerspannungen mit dem zweiten Hauptaktionär, dem Axel-Springer-Verlag - an dem Kirch allerdings selbst wiederum Anteile hält. Weiterhin ist sein Sohn Thomas Kirch an Pro 7 beteiligt, und Kabel 1, DSF und Premiere sichern ihm eine Mehrfachverwertung seines Filmlagers und der Sportrechte. Aber auch das ZDF deckt einen Großteil seines Spielfilmbedarfs bei ihm. Außerdem besitzt er eine Vielzahl von Sportrechten (Bundesliga) und hat soeben die Übertragung der Fußball-WMs ab 2002 erworben.5
Daneben steht der Bertelsmann-Konzern, der in Deutschland an RTL, RTL 2, Vox und Premiere beteiligt ist. Den Bertels-Hauptmann Mark Wössner wurmte allerdings schon seit langem, daß sein Unternehmen bei den neuen Medien im internationalen Vergleich nur ein Zwerg war - das Unternehmen mit Sitz im westfälischen Gütersloh ist zwar der drittgrößte Medienkonzern der Welt, schöpft seine 20 Mrd. Mark Jahresumsatz aber hauptsächlich aus Presse- und Bucherzeugnissen und dem Musikgeschäft.
Der zweite RTL-Betreiber ist die Compagnie Luxembourgoise de Television (CLT), ein verwirrendes Geflecht französischer und belgischer Firmen, das auch durch den größten französischen Pay-TV-Sender Canal Plus, den französischen Medienkonzern Havas und die belgische Großbank Bruxelles Lambert unterstützt wird. Nachdem Bertelsmann jahrelang einen intensiven Streit mit der CLT über die Vorherrschaft bei RTL pflegte, überraschten die beiden Konzerne nun plötzlich mit der Absicht zu fusionieren.6

Zukunftsfernsehen

Der neu entstandene Fernsehriese steht jedoch trotz allen Verhandlungsgeschicks vor einem imposanten "Scherbenhaufen"7. Weil die Einnahmemöglichkeiten beim werbefinanzierten Fernsehen an ihre Grenzen stoßen, sollen sich die Konsumenten in Zukunft ihr Programm pro Sendung bezahlen (sog. pay per view). Für dieses "digitale Fernsehen" ist dann auch ein Decoder notwendig. Leo Kirch setzte aber der "Mediabox" der von Bertelsmann mobilisierten Multimedia-Betriebsgesellschaft (MMBG) auf der Funkausstellung 1995 seine eigene "d-Box" entgegen und begann im Juli plötzlich mit der Ausstrahlung seines eigenen digitalen Fernsehens. Inzwischen scheint Bertelsmann eingeschüchtert seine ganz großen Pläne aufgegeben zu haben, vor allem seitdem Kirch es geschafft hat, den amerikanisch-australischen Medienmagnaten und Programmlieferanten Rupert Murdoch von Bertelsmann abzuwerben.8
Während es der Bundesregierung für die Regelung der neuen Dienste reichen soll, "wenn sich ein Anbieter neuer Dienste den Gewerbeschein holt"9, wollen die Länder für Dienste wie abrufbares Fernsehen und Teleshopping-Kanäle Anzeige- und Zulassungsregeln erlassen; sie wissen, wenn Multimedia ihnen verschlossen bleibt, wird ihre jetzige Medienhoheit erodieren. Sie wünschen sich dabei weiterhin eine Konzentrationskontrolle, wenn der Inhalt eines Multimediums der Definition des Rundfunks als "Massenkommunikation" nahekommt. Vor allem sollen Anbieter von bewegten Bildern nach wie vor der Kontrolle der Landesmedienanstalten unterfallen. So würden sie sich über kurz oder lang auch Eintritt ins Internet verschaffen, wo jetzt teilweise schon bewegte Bilder abrufbar sind.
Wie aber die fließenden Übergänge zwischen diesen Kategorien erfaßt werden sollen, ist noch offen. Bisher waren die Definitionen wegen der unterschiedlichen Technik noch sehr bequem. Allerdings hat sich auch bereits das Bundeskartellamt in die Diskussion eingeschaltet, das einen Teil der neuen Dienste innerhalb seiner Kompetenz sieht.
Daß aber die Medienkontrolle qualitativ und nicht quantitativ verbessert werden muß, ist den 16 Ländern offensichtlich entgangen. Dabei müßten sie selbst am besten um die beiden kapitalen Defizite der bisherigen Medienkontrolle wissen: Einerseits ist ihnen beim Fernsehen bisher das T-Shirt immer näher als der Rock gewesen. In Nordrhein-Westfalen förderte Wolfgang Clement (SPD) Bertelsmann, und Edmund Stoiber (CSU) stützte Kirch in Bayern, statt seinen Einfluß zu begrenzen - während wiederholt die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Frage gestellt wurde.
Außerdem hat der RfStV zu einem kaum mehr durchschaubaren Dickicht an Quer- und Schattenbeteilungen der Konzerne untereinander geführt. Nach jahrelangen Verhandlungen einigte man sich jetzt auf eine radikale Liberalisierung (!) der Beschränkungen. Es soll nicht nicht mehr auf Kapitalbeteiligungen, sondern auf die Einschaltquoten abgestellt werden: Ein Unternehmen darf nicht mehr als 30 % des Zuschauermarktes bedienen, die sich aus den Einschaltquoten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) errechnen. Der Marktanteil eines Senders wird dann über die Kapitalbeteiligungen auf die einzelnen Konzerne verteilt. Werden die 30 % für ein Unternehmen überschritten, so sind ihm lediglich weitere Zukäufe verwehrt; ein Konzern kann nicht zwangsgeschrumpft werden.10
Diese "Beschränkungen" entstanden unter dem Druck der schon während der Vertragsverhandlungen angekündigten Bertelsmann-CLT-Fusion. Medienpolitik ist damit offensichtlich so sehr an den einzelnen Konzerne orientiert, daß von abstrakt-genereller Normengebung eigentlich nicht mehr die Rede sein kann; die Revision des RfStV paßt sich vielmehr den faktischen Verhältnissen an. Daß diese sich durch die stetig neuen Allianzen ändern, wird das neue Werk (verdientermaßen) schon bald wieder neuen Diskussionen aussetzen.
Daß die KundInnen außerdem in Zukunft mit mehreren hundert Mark an Abo-Gebühren für Großveranstaltungen rechnen müssen und die öffentlich-rechtliche Grundversorgung bei den heutigen Preisen für Spielfilme und Sportereignisse nicht mehr finanzierbar ist, scheint keine Rolle zu spielen; ebenso ist uninteressant, daß eine Vielzahl an Kanälen nicht zwangsläufig zu einer erhöhten Programmvielfalt führt; die Minderheitenprogramme werden auch im Pay-TV nicht profitabel sein, und die nicht pleite gegangenen übrigen Kanäle werden sich inhaltlich kaum unterscheiden - genauso wie sich jetzt schon die Programme der in Deutschland empfangbaren 30 Kanäle bis zur Unkenntlichkeit angenähert haben. Dies wird von den Neuregelungen billigend in Kauf genommen.

Gerangel um die Drähte

Der zweite boomende Bereich ist die Kommunikationstechnik. Wie beim Rundfunk Auslandssender die Schaffung eines dualen Rundfunksystems erzwangen, wird auch hier die Deregulierung durch weltwirtschaftliche Entwicklungen nötig: Durch internationale Konkurrenz gerät auch ein Staatsmonopolbetrieb wie die Telekom unter Druck; vor allem Großkunden haben die Möglichkeit, ausländische Telefongesellschaften zu nutzen. Auch liegt es im Interesse der deutschen Elektronikindustrie (vor allem Siemens'), wenn die Telekom als Privatunternehmen bei internationalen Aufträgen mitbieten kann, was einem Staatsbetrieb aus verfassungsrechtlichen Gründen direkt nicht möglich ist.
Die wichtigste Frage ist jedoch die folgende: Wie werden sich im Interesse des "Standorts Deutchland" die höchst unterschiedlichen Kommunikationsstandards wie Kabelfernsehen, Satellitenempfang, Kupferkabel-Telefon, ISDN, Mobilfunk und Radio entwickeln? Diese sind in Deutschland fast alle fest in der Hand der Telekom. Der ist es zwar zugute zu halten, daß Deutschland heute weltweit das dichteste Glasfasernetz hat, jedoch sorgt sie bisher durch ihre irrationale Preisstruktur dafür, daß dieses nicht ausgenutzt wird, so daß man auf der Datenautobahn heute fast nur noch im Stau steckt.11
Um der relativen Unbeweglichkeit der staatlichen Monopole auf die Sprünge zu helfen und weil die Legitimation inzwischen weggefallen ist, der Aufbau von Netzen könne nur durch Staatsbetriebe gewährleistet werden - schlußendlich auch auf Druck der Europäischen Union, die die Liberalisierung der Telekommunikation für den Binnenmarkt will, entstand das neue Telekommunikationsgesetz (TKG), das stufenweise Konkurrenz einführen soll.12
Seit 1. Juli 1996 sind in Deutschland bereits die "alternativen Netze" als Konkurrenz zur Telekom zugelassen; diese sind aber noch in sich geschlossen und daher nur für Geschäftsnetze geeignet. Ab 1. Januar 1998 soll es dann EU-weit richtig losgehen: Auch PrivatkundInnen können dann ihre Telefonfirma wählen.13
Auch wegen der notwendigen immensen Investitionen in die neuen Leitungen haben sich in "kopfloser Dynamik"14 schlagkräftige Allianzen gebildet, um das jetzige System zu knacken: vor allem die Töchter finanzstarker Strommonopolisten bereiten sich auf den Einsatz vor. Dabei ist es ihnen vor allem wichtig, möglichst wenig auf die Netze der Konkurrenz zurückgreifen zu müssen, um Geld zu sparen; so findet sich auf der einen Seite ein Superbündnis aus RWE und Viag in Kooperation mit der British Telecom15, auf der anderen Seite der amerikanische Telefonriese AT&T, die weltweite Allianz Unisource und Mannesmann. Letzterer betreibt bereits das Mobilfunknetz D2 und hat jetzt eine Beteiligung an der Deutsche-Bahn-Tochter DBKom erreicht, die entlang der Gleisanlagen über das zweitgrößte (wenn auch antiquierte) Kommunikationsnetz Deutschlands verfügt.16 Dagegen gelten Thyssen und das Bündnis von Veba und Cable & Wireless als relativ chancenlos.17
Rechtliche Probleme wirft vor allem noch die Frage auf, wie effektive Konkurrenz erzwungen werden kann. Auch wegen ihrer eigenen Mega-Kooperation "Global One" mit Sprint (USA) und France Telecom18 würde die Telekom ohne weitere Maßnahmen auf lange Zeit wohl einen Marktanteil von ca. 80 % halten können. Die Politik steckt dabei in der Zwickmühle, ob sie eine deutliche Marktöffnung fördern will oder (wie der Bundesfinanzminister) eher an einem hohen Börsenkurs der Telekom interessiert ist; dabei scheint der Erfolg der neuen Telekom-Aktie, die im November 1996 ausgeworfen wird, sehr fraglich.
Mitentscheidend für den Erfolg der neuen Konkurrenz wird vor allem sein, wie künftig die Telefonnummern verteilt werden. Es wird diskutiert, das gesamte Nummernsystem nach Vorbild der Postleitzahlenreform umzustellen19; wenn alle TeilnehmerInnen sowieso neue Nummern bekommen, sind die Chancen der Konkurrenten viel größer, der Telekom Kunden abwerben zu können.
Wie die durch den brandneuen Art. 87 f Grundgesetz gesicherte Grundversorgung im einzelnen ausgestaltet werden soll, ist ebenfalls noch offen. Möglich wäre es z. B., der Telekom einen Kontrahierungszwang aufzuerlegen: wenn kein Konkurrent einen Auftrag möchte, muß die Telekom ihn übernehmen. Dies könnte durch einen Fonds kompensiert werden, in den alle Konkurrenten einzahlen müssen. Dies wird auch von der EU favorisiert.20 Eine andere Lösung läge darin, daß nicht einzelne Aufträge, sondern nur "Auftragspakete", also größere Gebiete vergeben werden, in denen auch unattraktive Projekte bedient werden müssen, so daß es schwieriger würde, sich nur die "Rosinen" herauszupicken. Die konkrete Gestaltung dieser Gebiete erscheint jedoch um einiges anfälliger für Lobbyismus als die Fondslösung.
Ein weiterer umkämpfter Schlüsselmarkt ist der der Software. Zu befürchten ist, daß der Löwenanteil der Aufgabe, die zukünftigen Geräte bedienbar zu machen, an den bisher uneingeschränkten Herrscher der Massensoftware geht: Microsoft. Die Firma erlangte ihre Stellung durch die wohl folgenschwerste Fehlentscheidung der Computergeschichte: Als die IBM 1978 aus diversen Bauteilen dritter Hersteller den ersten "Personal Computer" zusammenschraubte, bot die damals nur aus Bill Gates und Paul Alland bestehende Firma Microsoft der Firma ein eilig zusammengekauftes Betriebssystem namens MS-DOS an. IBM lizenzierte das System lediglich; so hatten Dritthersteller die Möglichkeit, funktionsgleiche Computer auszuliefern. Als der PC sich schließlich durchsetzte, hatte IBM bereits die technologische Führerschaft verloren und liegt heute im PC-Markt nur noch an sechster Stelle.

Nicht behebbare Fehler…

Bill Gates dagegen ist inzwischen der reichste Mann der Welt (nach letzter Forbes-Schätzung 26,7 Mrd. US-$ Privatvermögen). Die konkurrierenden Softwareprodukte, die an seinen Strategien zugrundegingen, sind Legion. So hatten IBM und Microsoft sich darauf geeinigt, das antiquierte MS-DOS durch ein modernes System zu ersetzen, das "Operating System/2" (OS/2). Als Übergangslösung entstand "Windows", das zunächst nur ein Abfallprodukt Microsofts bei dieser Entwicklung war, sich in der Version 3 aber plötzlich wie warme Semmeln verkaufte. Da ließ Microsoft IBM im Regen stehen und kündigte die Zusammenarbeit auf.21
Das Problem ist aber nicht nur, daß über 80 % der weltweit betriebenen PCs mit Microsofts Betriebssystemen arbeiten, sondern daß die Firma dazu auch Marktführer bei den Anwendungsprogrammen ist. Bei jeder Neuauflage des Betriebssystems müssen alle Softwarefirmen ihre Software anpassen, während Microsoft mit seinen eigenen Anwendungen immer einen Schritt voraus ist. Während früher die Innovationen im Softwaremarkt noch von einzelnen Herstellern herrührten, hebt sich heute die Softwareindustrie bei jeder erzwungenen Neuprogrammierung einen Bruch.22 Inzwischen ist auch nachgewiesen, daß in Windows undokumentierte Funktionen existieren, die Microsoft für die Konkurrenz nicht veröffentlichte, die aber in Microsoft-Anwendungen aufgerufen werden.23
Durch eine den ganzen Markt lähmende Ankündigungspolitik bei dem Nachfolger "Windows 95", das mit zwei Jahren Verspätung auf den Markt kam, schaffte es Gates wiederum, den Konkurrenten OS/2, der inzwischen von IBM alleine weiterentwickelt worden war, kleinzuhalten. Bei dem wichtigen Markt der vorinstallierten Betriebssysteme zwang er die Computerhändler durch Knebelverträge, pro verkauftem Computer abzurechnen (statt für jede installierte Kopie); wenn also ein Computer mit OS/2 verkauft wurde, mußte der Händler trotzdem an Microsoft zahlen. Die Hersteller früher erfolgreicher Konkurrenz-Software mußten inzwischen fast durch die Bank ihre Selbständigkeit aufgeben (z. B. Lotus und WordPerfect); andere Firmen (Borland) werden werden in der Branche ebenfalls bereits abgeschrieben.
Richtig ärgerlich ist bei dieser Entwicklung, daß die Qualität der Programme relativ wenig Einfluß auf den Markterfolg hat.24 "Word", "Excel" und andere verabschieden sich periodisch mit einem "Nicht behebbaren Fehler im Anwendungsprogramm" - zusammen mit den eingegebenen Daten. Daß inzwischen "Auto-Speichern"-Funktionen vorhanden sind, um wenigstens Teile der Daten zu retten, zeugt immerhin von einem gesunden Selbstbewußtsein der Firma.

… und die neuen Pläne

Vor diesem Hintergrund gewinnt die aktuelle Firmenpolitik an Gewicht: Nachdem Microsoft die Bedeutung des Internets zunächst völlig unterschätzt hatte25, bricht sie nun nach einem halben Jahr der Umorientierung mit aller Macht auch in diesen Markt hinein. Neue Netzsoftware wird kostenlos angeboten, um den bisherigen Marktführer Netscape auszutrocknen; neue Internet-Technologien ("Java") werden in Windows integriert; mit NBC zusammen wird ein Nachrichtenprogramm im Internet lanciert26; Microsoft-Agenten kaufen die weltgrößten Fotoarchive auf27; weitere Kooperationen mit Fernseh- und Telekom-Firmen und sogar Steven Spielberg runden das Bild ab - Bill Gates' offensichtliches Ziel scheint zu sein, die Medienwelt der Zukunft in allen Teilbereichen seinem Einfluß zu unterwerfen, und zwar Netze und Inhalte - mit seiner Software.
Zwar hat die amerikanische Kartellbehörde vor allem wegen ihrer Vertragspraxis jahrelang Ermittlungen gegen Microsoft geführt, diese sind jedoch nach lächerlich geringfügigen Auflagen inzwischen eingestellt.28
Ernsthafte Maßnahmen sind allerdings dringend nötig. Die Konzerne müssen per Gesetz von einer inhaltlichen Kontrolle der Medien ferngehalten werden. Es darf nicht sein, daß die Betreiber der Netze die in ihnen verbreiteten Meinungen zensieren. Dazu ist allerdings ein hohes Maß an internationaler Kooperation nötig.
Zweitens muß die ständige Konzentration im Medienbereich endlich gestoppt werden, anstatt nur um Kompetenzen zu streiten. Die Marktanteilsquoten im neuen RfStV müssen gesenkt werden, und zu große Firmen müssen gezwungen werden, die zugekauften Anteile wieder abzustoßen. Für die Inhalte der neuen Medien reichen die bestehenden Strafgesetze aus.
Schließlich müssen dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland auch in Konkurrenz zu den neuen Diensten substantielle Programme erhalten werden29, um weiterhin eine Grundversorgung zu gewährleisten. Andernfalls werden bei ARD und ZDF über kurz oder lang nur noch Minderheitenprogramme laufen. Sie brauchen aber auch Sportereignisse und andere Unterhaltungsprogramme, denn diese Felder dürfen nicht allein den Privaten überlassen werden.
Wenn diese Maßnahmen nicht bald ergriffen werden, werden nur wenige globale Konzerne mit Microsofts Programmen die verfügbaren Informationen kontrollieren - wie Anfang des Jahrhunderts die steel trusts das Stahlgeschäft in den USA.

Ulrich Möller studiert Jura in Berlin

Literatur:

Carroll, Paul, Die Offene Schlacht, Die Zeit (Dossier) v. 23.9.1993, 17.
Fey, Jürgen, Hauen und Stechen, in: c't 6/1996, 26.
Frieder Otto Wolf / Die Grünen im Europäischen Parlament (Hrsg.), Cyberflash, Cybercash,. Cybercrash. Informationsgesellschaft, Perspektive für Europa?, 1996.
Schulman, Andrew, Undocumented Windows, 1994.
Zivadinovic, Dusan, Tele-Zauber, in: c't 4/1996, 148 f.