Heft 1 / 2002:
könnte besser sein
Sozialrecht
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BVerfG: Anketten ist Gewalt
 

Blockaden von DemonstrantInnen gelten bereits dann als Gewalt, wenn sich die TeilnehmerInnen anketten. Solche Arten von Blockaden können daher, wenn die Gewaltanwendung als verwerflich anzusehen ist, als Nötigung gemäß § 240 Strafgesetzbuch bestraft werden. Dies hat der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit Beschluss vom 24. Oktober 2001 entschieden.

In dem einen der beiden entschiedenen Fälle ging es um eine Blockadeaktion aus dem Jahr 1986. Damals war Franz-Josef Strauss bayrischer Ministerpräsident und in der Oberpfalz tobte der Widerstand gegen die Atommüll-Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Dort hatten AKW-GegnerInnen die Zufahrt zum Baugelände der Wiederaufarbeitungsanlage blockiert, indem sie sich vor dem Haupttor des Geländes untereinander und an das Tor anketteten.

Noch 1986 hatte das BVerfG Sitzblockaden, also die Entfaltung lediglich psychischen Zwangs, als strafbare Nötigung eingestuft. Von dieser Ansicht war es aber mit einer Entscheidung aus dem Jahre 1995 abgerückt, wonach die bloße Anwesenheit in Form einer Sitzblockade noch keine Gewalt darstelle und daher nicht als Nötigung zu bestrafen sei.

Diese Rechtsprechung hat der erste Senat aber nicht auf den vorliegenden Fall erstreckt. Als Begründung wird im Beschluss dazu ausgeführt, dass sich das Anketten von bloßen Sitzblockaden unterscheide. Bei Sitzblockaden liege ein durch die körperliche Anwesenheit verursachter psychischer Zwang vor, der keine Gewalt darstelle, während durch das Anketten eine darüber hinaus gehende physische Barriere geschaffen werde, die das Gewaltmerkmal des Nötigungstatbestandes erfülle.

Dem Beschluss kommt auch insofern Bedeutung zu, als sich im März 2001 AktivistInnen in einer spektakulären Aktion gegen Atommülltransporte an Bahngleise gekettet hatten, wodurch der Atommülltransport nach Gorleben verzögert wurde. Dem jetzt ergangenen Beschluss zufolge wäre diese Protestaktion als Nötigungshandlung einzustufen.

Die Qualifikation des Ankettens als Gewalt ist jedoch mehr als fragwürdig, da in einem bloßen Anketten keine körperliche Kraftentfaltung der DemonstrantInnen gesehen werden kann. Die müsste aber vorliegen, um die Anwendung von Gewalt zu bejahen. Zwar müssen die Polizeikräfte, die zur Räumung der Blockade tätig werden, unter Umständen mehr Kraft entwickeln, als bei bloßen Sitzblockaden, dann ist allerdings erstaunlich, wieso die Gewaltanwendung den DemonstrantInnen zugeschrieben wird und nicht der Polizei.

Lena Dammann, Hamburg

Pressemitteilung vom 19.12.2001 und Beschluss des BVerfG unter www.bverfg.de.