Heft 1 / 2002:
könnte besser sein
Sozialrecht
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Politische Justiz
 

Beugehaftandrohungen gegen Neonazi-Opfer

Einigen deutschen Justizstellen wird bei dem Aufruf des Kanzlers zum Aufstand der Anständigen wohl immer noch mulmig zumute oder wie anders ließe sich folgendes Vorgehen gegen engagierte Opfer neonazistischer Gewalt erklären:

Im vergangenen Jahr wurde ein Uelzener Antifaschist Opfer eines Überfalls von Neonazis und erstattete auf Bitte der Ermittlungsbehörden Anzeige. Gleichzeitig sollte er die Namen von ebenfalls betroffenen Zeugen des Angriffs zu Protokoll geben. Dies lehnte er ab, weil er befürchten musste, dass die Offenlegung der Personalien der beteiligten Antifas weitere Übergriffe der Nazis zur Folge hätten. Die Richterin verhängte daraufhin ein Ordnungsgeld und drohte mit Beugehaft, die nur nach erheblichen Druck durch die Öffentlichkeit abgewendet werden konnte.

Aus ähnlichen Gründen wollte auch der Düsseldorfer AStA-Presserefent Christian H. den nicht Namen seines Bekannten nennen, nachdem die beiden und ein weiterer Begleiter von mehreren Neonazis angegriffen und mit Messerstichen verletzt worden war. Obgleich der Haupttäter schnell gefasst und auch geständig war, sollte Christian H. dennoch den Namen seines unbekannten Begleiters nennen. Andernfalls drohe ihm nach Ansinnen der Staatsanwaltschaft Beugehaft. Diese konnte nach einer öffentlichen Kampagne des AStA ebenfalls verhindert werden. Wahrscheinlich erinnerte sich die Staatsanwaltschaft zuletzt doch noch an die diversen Regelungen des Zeugenschutzes im Strafverfahren, so auch an § 68 Abs.3 Strafprozessordnung, der einen bedrohten Zeugen erlaubt, seinen Namen und seine Anschrift nicht bekannt zu geben.

Totale Kriegsdienstverweigerer im Bundeswehrarrest

64 Tage saß der Totale Kriegsdienstverweigerer Kai S. aus Bremen in Disziplinararrest bis er Anfang September aus der Schwaneweder Weser-Geest-Kaserne entlassen wurde. Währenddessen ist im November der Berliner Totalverweigerer Malik S. in der Freiherr-von-Fritsch-Kaserne in Breitenburg bei Itzehoe wegen Gehorsamsverweigerung festgenommen und arrestiert worden.

Ein solcher Bundeswehrarrest nach §§ 23, 24 Abs.1 Nr.2a) der Wehrdisziplinarordnung (WDO) wird regelmäßig bei Befehle verweigernden Soldaten angewandt, um diese zur Wiederaufnahme ihrer Dienstverpflichtungen zu disziplinieren. Dass solche Unterfangen bei Totalen Kriegsdienstverweigern, die sich aus gefestigten Gewissensgründen konsequent jeglichen militärisch verwertbaren Zwangsdiensten verweigern, mit Sicherheit keinen Erfolg verzeichnen wird, dürfte gerade den militärischen Vorgesetzten bewusst sein. Dennoch werden in der Regel drei Disziplinararreste von jeweils 21 Tagen von den Truppendienstgerichten in einem rechtstaatlich fragwürdigen Verfahren verhängt. Die Arreste gegenüber den TKDVern erhalten somit unzulässiger Weise den Charakter einer Haftstrafe.

Repressionen gegen AtomkraftgegnerInnen

Mit über 800 Festnahmen und Ingewahrsamnahmen, fast 1200 Identitätsfeststellungen und nahezu 800 Personendurchsuchungen bei 460 Platzverweisen und 103 eingeleiteten Strafverfahren bilanziert die Polizei ihr Vorgehen gegen die Proteste zu den Castortransporte im November letzten Jahres als erfolgreich aber besonnen. Die AtomkraftgegnerInnen sprachen angesichts einer 100 - 500 m weiten Verbotszone für Versammlungen an der Transportstrecke, dem mehrfachen Einsatz von Hundestaffeln und mehreren kurzfristig ausgesprochenen Demonstrationsverboten von einer massiven Aushöhlung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit.

Derweil beschreitet die Lüneburger Bezirksregierung andere Wege, um den Widerstand im Wendland zu brechen. Sie hat offenbar die 1983 vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg als unzulässig erachtete und danach als vergessen geglaubte Niedersächsische Polizeigebührenverordnung wieder hervorgeholt und rund 600 GegnerInnen des Castor-Transportes vom Frühjahr 2001 einen Kostenbescheid über 108 Mark pro Tag für den Zwangsaufenthalt in einer Zelle und dem Transport in einer Polizeiwanne ausgestellt. Der EA Gorleben wird zusammen mit den Betroffenen Klagen gegen die Leistungsbescheide einreichen. Derweil hat der niedersächsische Innenminister Bartling angekündigt, den im Herbst in Polizeigewahrsam genommen DemonstrantInnen ebenfalls Kostenstellungen in gleicher Höhe zu präsentieren.

Entkriminalisierung

Nach einer aktuellen Liste der "Frankfurter Rundschau" und des Berliner "Tagesspiegel" vom 5. Oktober 2001 beträgt die Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990 mindestens 97. Das veranlasste den sächsischen Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm offenbar dazu, zumindest die Anzahl rechter Straftaten in seinem diesbezüglich arg gebeutelten Bundesland zu korrigieren. Er teilte seinen KollegInnen mit, dass die auf Nazi-Demos und Fußballbegegnungen gern verkündete Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" keine Volksverhetzung darstelle und somit nicht mehr als Straftat verfolgt werden könne. Dieser Auffassung schloss sich auch der Berliner Professor für Rechtsgeschichte Uwe Wesel an und erklärte im Mitteldeutschen Rundfunk, dass die Teilorganisation der vom Nürnberger Militärtribunal als verbrecherisch erklärten SS militärisch gesehen ein ganz normale Kampftruppe der Wehrmacht gewesen sei. Und die ist wohl ebenfalls nicht verbrecherisch gewesen. Das sächsische Justizministerium machte den beiden jedoch ein Strich durch die Rechnung und ließ die Anweisung des Generalstaatsanwalts zurückziehen.

Auf eine andere Auslegung der Norm verständigten sich derweil zwei Skinheads in Schleswig-Holstein. Nachdem sie von drei Migranten als "Scheiß-Deutsche" bezeichnet worden waren, erstatteten sie Anzeige wegen Volksverhetzung. Die Staatsanwaltschaft nahm routiniert die Ermittlungen auf.

Libertad! nach Cyberterrorimsus durchsucht

13 000 UserInnen nahmen am 20. Juni 2001 auf Initiative der Organisationen "Libertad!" und "Kein Mensch ist illegal" an einer sogenannten Online-Demonstration gegen das Abschiebegeschäft der Lufthansa teil. Die Luftlinie reagierte barsch, versuchte die ungewöhnliche Protestform als "Cyberterrorismus" zu diskreditieren und erstatte Strafanzeige. Nachdem der vorerst in Erwägung gezogene Vorwurf der Computersabotage nach § 303b Strafgesetzbuch (StGB) wohl einer juristischen Überprüfung nicht stand hielt, stützte sich die beauftragte Staatsanwaltschaft auf den in solchen Fällen gern genutzten Auffangtatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) und verband ihn mit dem Vorwurf der Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB). In der Folge wurden am 17. Oktober 2001 die Räume der Initiative Libertad! im Frankfurter Dritte Welt Haus durchsucht und sämtliche Computer, Speichermedien und Dokumente beschlagnahmt. Damit nicht genug versucht die Staatsanwaltschaft nach Auskunft der Initiative offenbar ebenfalls einzelne TeilnehmerInnen an der Online-Demo ausfindig zu machen und strafrechtlich zu verfolgen. Sie beabsichtige, über die Internet-Provider an die Personalien der bei der Lufthansa gespeicherten IP-Adressen zu gelangen.

Farbbeutelwurf auf Fischer verurteilt

Das Landgericht Bielefeld hat in der Berufungsverhandlung wegen des Farbbeutelwurfes auf Außenminister Fischer das Urteil des Amtsgerichts bestätigt und die Betroffene Samira F. wegen gefährlicher Körperverletzung zur Zahlung von 120 Tagessätzen à 30 DM verurteilt. Samira F. hatte im Mai 1999 auf dem Bielefelder Kriegsparteitag der Bündnisgrünen einen Farbbeutel auf Joschka Fischer geworfen, um damit gegen die Kriegstreibereien des Außenministers und seiner Partei zu protestieren.

Wie die "Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär" in ihrem Prozessbericht schildert, forderte die Verteidigung den Freispruch für die Werferin und berief sich auf das Recht zum Widerstand aus Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz. Hierbei führte sie an, dass die Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien nicht nur einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg darstellten, sondern zeitweise auch bewusst zivile Ziele im Visier hatten und damit nach Völkerrecht als Kriegsverbrechen zu bewerten seien.

Das Gericht verwarf diese Argumentation und erkannte keine Notwehr im Sinne des Widerstandsrecht an. Allerdings wandte es sich auch gegen das Ansinnen der Staatsanwaltschaft, in dem Wurf eine schwere Körperverletzung zu erkennen. Der Farbbeutel, so das Gericht bei der Urteilsverkündung, sei zwar ein gefährlicher Gegenstand, da Farbbeutel aber offensichtlich zur politischen Streitkultur der grünen Partei gehörten, läge nur ein minder schwerer Fall vor. Fraglich bleibt, ob das Gericht unter der benannten Streitkultur mittlerweile auch Molotowcocktails oder Luft-Boden-Raketen subsumieren würde.

Rolf Heißler freigelassen

Das ehemalige RAF-Mitglied Rolf Heißler ist am 25. Oktober nach über 20 Jahren aus der Haft entlassen worden. Mit Zustimmung der Behörde wurde die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Rolf Heißler wurde 1982 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, weil er im November 1978 zwei Polizeibeamte erschossen und zwei weitere schwer verletzt haben soll. Er wurde bei seiner Verhaftung 1979 durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt. Nach Auskunft von Angehörigen und der Solidaritätsorganisation "Rote Hilfe" habe er bis heute an den Folgen seiner Verwundung sowie den kontinuierlich bestehenden Sonderhaftbedingungen zu leiden. Mit Rolf-Clemens Wagner, Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Eva Haule und Birgit Hogefeld sitzen noch fünf weitere Gefangene aus der RAF im Knast, die mit ähnlichen gesundheitlichen Folgen ihrer Haftbedingungen zu kämpfen haben. Nicht zuletzt deshalb wird auch ihre sofortige Freilassung gefordert.

Von Göteborg über Genua nach Brüssel

Nach Angaben der "Berliner Infogruppe zu den Ereignissen in Genua" sind mittlerweile alle in Genua inhaftierten GipfelgegnerInnen aus der Haft entlassen worden. Die Betroffenen der polizeilichen Eskalation organisierten nun gemeinsame Klagen und Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen der Polizeieinsätze. Unterstützt würden sie dabei offenbar von der Untersuchungskommission der UNO über die Folter. Diese habe vom italienischen Außenministerium Berichte über die polizeilichen Aktionen in der Diaz Schule und in der Carabinerikaserne Bozaneto während des G8-Gipfels angefordert.

In Schweden sind währenddessen mindestens 29 Menschen wegen der Proteste im Juni gegen den EU-Gipfel in Göteborg zu Haftstrafen von sechs Monaten bis zu vier Jahren verurteilt wurden. Die Ermittlungen gegen die Polizisten, die seinerzeit auf DemonstrantInnen schossen und dabei Hannes W. schwer verletzten, wurden hingegen von der Oberstaatsanwaltschaft eingestellt. Stattdessen wurde der Prozess gegen Hannes W. eröffnet. Er erhielt eine Freiheitsstrafe von acht Monaten. Beide Entscheidungen ergingen allerdings auf der Grundlage eines handfesten Justizskandals. Wie schwedische Fernsehreporter jüngst nachgewiesen haben, wurde die von der Polizei als Beweismittel vorgelegten Videosequenzen mit geschickten Schnitten und nachträglich eingespielten Ton verfälscht. Das Netzwerk "Göteborgaktion" fordert nun, sämtliche Verfahren gegen die Beteiligten neu aufzurollen.

Währenddessen halten die deutschen Behörden an ihrer umstrittenen Methode fest, Menschen präventiv das Versammlungsrecht in Europa abzusprechen. Im Vorfeld möglicher Demonstrationen gegen den EU-Gipfel in Brüssel wurden mehreren Personen Ausreiseverbote nach dem Passgesetz ausgesprochen. Wie schon vor den Protesten in Genua, sollten u.a. Eintragungen in der "Gewalttäterdatei links" ausreichen, um die Maßnahmen zu begründen. In solchen Dateien werden bereits Personen erfasst, die durch "Personalienfeststellungen, Platzverweise und Ingewahrsamnahmen" polizeilich aufgefallen sind.

Wehrmachtsdeserteure bleiben kriminell

1998 wurde noch unter der konservativ-liberalen Bundesregierung das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile verabschiedet. Es hebt Urteile auf, die "unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit (...) zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind." Zur Verdeutlichung zählt das Gesetz ganze sechzig Urteilsarten auf, die auf jeden Fall unter die zitierte Definition fallen müssen. Die 23 000 Todes- und Zuchthausstrafen gegen die Deserteure der Wehrmacht werden auf dieser Liste der NS-Unrechtsurteile nicht aufgeführt. Das wird unter der rot-grünen Mehrheit im Bundestag auch so bleiben. Der Rechtsausschuss vertagte Mitte Dezember 2001 einen Antrag der PDS, der eine ausdrückliche Aufhebung der Urteile und die damit verbundene Rehabilitierung der nun weiterhin als vorbestraft geltenden Deserteure der Vernichtungsarmee anstrebte.