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Was dürfen Nutzerinnen und Nutzer des globalen Internets 1
der restlichen Netzwelt mitteilen? Kann man die Veröffentlichung
einer Meinung im Internet verbieten oder aber denjenigen zur Verantwortung
ziehen, der die Möglichkeit schafft, dort Meinungen zu äußern bzw. abzulegen?
Darf der Staat auf dieser "Spielwiese der freien Meinungsäußerung" mit
Zensur 2 oder Verboten arbeiten und
so den "Rasenmäher" einsetzen und die Schicht des "extremen Wuchers" einfach
kappen?
Als Regel für die Benutzung des Internets diente seit Beginn des Austausches
von Meinungen über dieses Medium die sogenannte "Netiquette". Sie ist
als freiwillige Selbstkontrolle, als "Spielregel" verwendbar, juristisch
aber als Rechtsquelle nicht zu verwenden. Fast jeder WWW-Universitätsserver
verweist auf die Netiquette 3, jeder
Provider schafft solche Regeln, die privaten meist in Form von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen (AGB). Hier wird vor der Nutzung klargestellt, wann
und bei welchen Verstößen eine Sperrung des Zugangs erfolgt. Wer sich
mit einem Modem und dem Vertrag eines Providers versorgt hat, kann seine
Meinung in der Netzwelt verbreiten. Strafrechtlich verantwortlich dafür
ist er selbst. Aber der Provider, der die Meinungskundgabe ermöglicht,
schafft ja erst die Gelegenheit zu Straftaten - was ihm nebenbei auch
noch Geld einbringt. Daher ist er auch für die Verbreitung von Meinungen
verantwortlich. 4 Die Ängste der Provider
vor strafrechtlich Relevantem im Bereich ihres Angebots sind berechtigt:
Zwar kann meist leicht festgestellt werden, wer den betreffenden Text
abgelegt hat. Die User, die einen Zugriff besitzen, müssen sich bei der
Nutzung von News-Seiten mit einer E-Mail-Adresse ausweisen, und die Anbieter
von WWW-Seiten können solche auch nur gegen entsprechende Rückversicherung
abgeben. Allerdings kann E-Mail über einige Provider trotzdem anonym versendet
werden.
Pornographie und Rechtsradikalismus
Weiterhin ist denkbar, sich bei einem Provider unter einer falschen Identität
einen Zugang zu besorgen, solange die "normale" Post irgendeinen Briefkasten
findet und die Rechnungen für den Dienst bezahlt werden. Ebenfalls kann
man Internet-Programme, die E-Mail oder News versenden, über die wahre
Identität täuschen, wie dies auch bei der Kopfzeile von Fax-Geräten möglich
ist, oder aber öffentlich zugängliche PCs nutzen.
Der wichtigste Aufhänger für Strafverfolgungsbehörden waren bislang komprimiert
in News-Servern hinterlegte Fotos, die in einschlägigen Newsgroups zu
finden waren. Die Fotos sind komprimiert, damit die spezielle Architektur
der Datenübertragung im Internet sie nicht zerstören kann. Dann werden
sie sie in Gruppen mit eindeutigen Namen wie etwa alt.binaries.pictures.erotica.
female abgelegt. Strafrechtlich belangt werden müßten hier an erster
Stelle die Verwalter der alt-Gruppen in den USA, und nicht etwa
deutsche Provider, die nur weiterschalten.
Die Diskussion startete in Deutschland erst so richtig, als private Internet-Provider
anfingen, die News-Seiten aus Amerika oder Deutschland anzubieten. Als
die Firma Compuserve in Deutschland Fuß faßte, wurde auch das Usenet den
zahlenden Kunden eröffnet. Da vorher keine Beschränkungen stattfanden,
waren alle News-Foren lesbar, auch die mit eindeutig pornographischem
Inhalt. Ähnliche Ermittlungsverfahren gegen die Deutsche Telekom AG ("T-Online")
und gegen America Online folgten, wobei z. T. auch die Verbreitung rechtsradikaler
Propaganda Anlaß für das Tätigwerden der Staatsanwaltschaften war, wie
Anfang 1996 wegen der WWW-Seiten des Neonazis Ernst Zündel.
Im Mittelpunkt der strafrechtspolitischen Diskussion steht die strafrechtliche
Verantwortlichkeit der Internet-Provider. 5 Dabei
wird bislang entweder eine strenge Verfolgung gefordert oder aber gar
keine Handhabe gesehen, gegen die Provider vorzugehen. Beides stimmt so
aber nicht.
Nach § 131 Strafgesetzbuch (StGB) ist die Verherrlichung oder Verharmlosung
von Gewalt oder der Aufruf zum Rassenhaß strafbar. Gemäß § 86 StGB ist
die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
verboten. Der § 184 StGB sieht vor, denjenigen zu bestrafen, der pornographische
Darstellungen, insbesondere solche mit Kindern, verbreitet oder zugänglich
macht. Weiterhin ist eine Strafbarkeit wegen Beleidigung nach § 185 StGB
denkbar. Strafrechtlich relevante Handlungen bzw. Unterlassungen 6
des Providers können das Zugänglichmachen der Informationen
oder die Nichtsperrung von Teilen des Netzes sein. Das Problem hierbei
ist der nach § 15 StGB erforderliche Nachweis des Vorsatzes des Providers,
der etwa Pornos zugänglich macht. Zum Vergleich: Die Telekom etwa ist
auch noch nicht dafür belangt worden, daß sie Telefonnummern der Anrufbeantworter
von Neonazis ganz normal weiterschaltet.
Der Anwendung des bestehenden Strafrechts, das eine Nachzensur 7
ermöglicht, steht keinesfalls die Form der Darstellung
von Meinungen oder Bildern im Internet entgegen: Der § 11 Abs. 3 StGB
stellt Ton- und Bildträger sowie "andere Darstellungen" den in diesem
Gesetz sanktionsfähigen Schriften gleich. Daher sind auch Bilder im Internet
davon erfaßt.
Gleichwohl wird weiterer Handlungsbedarf gesehen: Im März 1986 wurde im
Bundestag die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Provider diskutiert
(BT-Drucksache 13/4334). Es wurde darüber beraten, daß Provider und auch
User sowohl gesetzlich zu schützen seien, aber auch Zugriffsmöglichkeiten
des Staates bestehen müßten.
Neue Welt, neue Gesetze
Am 1. August trat das Telekommunikationsgesetz (TKG) in Kraft. Dies gilt
für alle Betreiber von Kommunikationsdiensten, also für Provider wie für
die Mobiltelefonteilnehmer. Es sieht in § 8 vor, daß die Betreiber die
Namen und Benutzerdaten auf ihre Kosten in Datenbanken zur Verfügung halten
müssen und der sog. Regulierungsbehörde zur Verfügung zu stellen haben.
Alle Daten werden im Falle eines Mißbrauches der Behörde bekannt gegeben.
Dagegen haben vor allem die Grünen im Bundestag datenschutzrechtliche
Bedenken erhoben. Seinem Regelungsbereich nach ist das Gesetz jedoch weitgehend
auf die Mobiltelefonbetreiber zugeschnitten. Das gewünschte Multimediagesetz
ist dies noch nicht.
Schon bisher mußten Mailbox-Betreiber nach der Fernmelde-Überwachungsverordnung
(FÜV) im Falle von strafprozessualen Überwachungsmaßnahmen den Fernmeldeverkehr
im Klartext zur Verfügung stellen. Das Bundesforschungsministerium hält
im Bereich der Internet-Dienste die heute bestehenden Gesetze für nicht
ausreichend und plant neue, spezielle Regelungen. Verfassungsrechtlich
umstritten ist dabei die Einordnung der Internet-Dienste als Rundfunk
oder Presse i. S. d. Art. 5 Grundgesetz (GG). 8 Sie
ist nicht zuletzt entscheidend für die Frage, ob der Bund überhaupt eine
Gesetzgebungskompetenz in diesem neuen Bereich hat. Legt man den Diensten
die Funktion von Rundfunk und Presse zugrunde, so wird die Verbreitung
von Daten durch die Provider wohl als Presse einzuordnen sein und damit
dem Bund eine Rahmenkompetenz zukommen. Das Gesetz des Bundes zur Regelung
der Rahmenbedingungen für Informations- und Telekommunikationsdienste
(IuKDG) liegt nun in einem Referentenentwurf mit Stand vom 2. Juni 1996
vor. Es enthält u. a. ein Gesetz über die Teledienste (TDG) sowie eines
über digitale Signaturen (SiG). Das TDG gilt nach § 2 explizit nicht für
diejenigen Anbieterinnen und Anbieter, die unter das TKG fallen. Damit
steht fest: für das Internet sollen eigene Regeln gelten. Das TDG stellt
sicher, daß der Staat an die Daten des Users im Falle der Strafverfolgung
herankommt. Das SiG regelt den Umgang mit Kryptographie.
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Die Diskussion in den USA ist unserer schon einen Schritt "voraus". So
wurde der "Communications Decency Act" geschaffen, ein Gesetz, das Freiheits-
oder Geldstrafe für die Verbreitung anstößiger Inhalte im Internet androht.
Das Gesetz ist im Juni 1996 vom Court of Appeals for the Third Circuit
aber für verfassungswidrig erklärt worden, worüber nun der oberste Gerichtshof
der USA abschließend zu befinden hat. 10
Die gesetzlichen Beschränkungen der Meinungsfreiheit im Internet stießen
in den USA auf massiven Protest: die blue ribbon campaign
11 der Electronic Frontier Foundation in den USA
soll allen, die einen freien Austausch von Meinungen im Internet garantiert
haben wollen, als gemeinsames Forum dienen. Erkennungszeichen ist eine
blaue Schleife, angelehnt an die rote Schleife der Solidaritätsbewegung
für HIV-Infizierte. Die Initiatorinnen und Initiatoren dieser Idee fordern
eine absolute Freiheit im Internet. Es würde der Idee des Netzes zuwiderlaufen,
wenn hier Regeln für die Kommunikation geschaffen werden würden.
Fazit: Die bestehenden Regeln genügen zur Verfolgung von Straftaten. Zum
Schutz von Kindern und Jugendlichen müssen sich die Provider und die User
technisch absichern. Grundsätzlich besteht daher kein Handlungsbedarf
für weitere staatliche Eingriffe im Internet. Private Provider oder Mailboxen
müssen sich des Inhalts ihres Angebotes bewußt sein. Den Usern sollte
gesichert sein, daß die Mail in ihrer Box nicht von Leuten gelesen wird,
für die sie nicht bestimmt ist, und daß ihre veröffentlichten Informationen
von einer wachen Netzgemeinde gelesen werden.
Daher bedarf es keines Rasenmähers, um die sprießenden Meinungen im Internet
für den Fall eines unkontrollierbaren Wildwuchses zu beschränken. Jeder
Betreiber von Informationssystemen muß dem User die Folgen eines Verstoßes
gegen die Netiquette und gegen geltendes Strafrecht klarmachen. Die Nutzerinnen
und Nutzer müssen Verantwortung mit dem (nicht mehr ganz) neuen Medium
Internet zeigen. Eine Ausweitung der (strafrechtlichen) Verantwortlichkeit
des Providers könnte dazu führen, daß wohl auch viele "rechtmäßige" Informationen
vom Provider "sicherheitshalber" nicht mehr bereitgehalten würden.
Keines Falles brauchen wir eine Internet-Polizei, die den Datenverkehr
überwacht. Allerdings muß der Staat seine Strafverfolgungsbehörden mit
Computer und Modem vewaffnen, um am Ball zu bleiben. Eine Zensur hat aber
nicht stattzufinden!
Jürgen Dierlamm ist Referendar in Marburg und arbeitet
dort an der Forschungsstelle für Rechtsinformatik der Philipps-Universität
Anmerkungen:
1 Zur Einführung für Juristinnen und
Juristen: Kröger / Clasen / Wallbrecht.
2 Vgl. dazu Knödler JurPC 257 ff.; allgemein
Rath FoR 1/91, 18 ff.
3 Vgl. den Leitfaden zur verantwortungsvollen
Nutzung von Datennetzen, "http://www.uni-marburg.de/hrz".
4 Jäger / Collardin CR 1996, 236 ff
.
5 Vgl. Sieber JZ 1996, 429 ff., 494
ff.; Collardin CR 1995, 618 ff.
6 Ablehnend Sieber JZ 1996, 494, 506.
7 Die Nachzensur kann hier nicht erörtert
werden; vgl. dazu Rath FoR 1/91, 18 ff.
8 Vgl. Bullinger JZ 1996, 385 ff. sowie
jüngst den Bund-Länder-Kompromiß, CR 1996, 509 f., nach dem dem Bund in
diesem Bereich die Rahmenkompetenz zukommt.
9 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken
von Regelungen über die Verschlüsselung vgl. S. 131 in diesem Heft; die
Entwürfe zum TDG und SiG liegen auf "http://www.rz.uni-duesseldorf.de/WWW/Jura/internet/".
10 Herberger JurPC 1996, 251.
11 "http://www.Eff.org/blueribbon.html".
Literatur:
Bullinger, Martin, Ordnung oder Freiheit für Multimediadienste,
Juristenzeitung (JZ) 1996, 385 ff.
Collardin, Marcus, Straftaten im Internet, Computer und Recht (CR)
1995, 618 ff.
Herberger, Maximilian, "Communications Decency Act": Einstweilen
angehalten, JurPC 1996, 251.
Jäger, Ulrike / Collardin, Marcus, Die Inhaltsverantwortlichkeit
von Online-Diensten, CR 1996, 236 ff.
Knödler, Christoph, Zensur im Internet?, JurPC 1996, 257 ff.
Kröger, Detlef / Clasen, Ralf / Wallbrecht, Dirk, Internet für
Juristen, Luchterhand 1996.
Rath, Christian, Mehr Zensur wagen?, Forum Recht (FoR) 1/91, 18
ff.
Sieber, Ulrich, Strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Datenverkehr
in internationalen Computernetzen, JZ 1996, 429 ff., 494 ff.
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