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"Unsere Kinder werden wohl icht einmal ein nostalgisch verklärtes Lächeln
dafür übrig haben, wenn wir ihnen irgendwann einmal erzählen, daß auf
unseren Bürotischen neben dem Telefon noch ein Anrufbeantworter, ein Fax,
ein Personal-Computer und ein Modem stand. Integrierte Video-Kommunikationssysteme
werden dann längst zur Grundausstattung des Arbeitsplatzes gehören."
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Die Arbeitswelt ist einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. Der Fortschritt
der Telekommunikation und der Ausbau von leistungsfähigen Datenautobahnen
ermöglichen eine stetig ansteigende Dezentralisierung von computergestützter
Arbeit. Bürotätigkeiten lassen sich mit Hilfe vernetzter Computer auch
zu Hause erledigen. Die Grenzen zwischen Erwerbs- und Privatleben, zwischen
Arbeit und Freizeit sind nachhaltig ins Wanken geraten.
Telearbeit
Im Schnittpunkt dieser Entwicklungstrends steht die Telearbeit. Telearbeit
ist eine Form der dezentralisierten, betriebsfernen Arbeit, die sich auf
elektronische Informationssysteme stützt. Die Geräte- und Übertragungskosten
stellen angesichts des rapiden Preisverfalls kein ökonomisches Hindernis
mehr dar. Letzter Schritt im Trend sind "Funkbooks": tragbare Notebooks,
die sich per Mobiltelefon von unterwegs ins internationale Datennetz einklinken
lassen. 2
Modellfall für Deutschland ist IBM. 1991 wurde die Betriebsvereinbarung
über "außerbetriebliche Arbeitsstätten" mit dem "Innovationspreis der
deutschen Wirtschaft" ausgezeichnet. Vereinbart wurde alternierende Telearbeit,
die teils im Betrieb, teils zu Hause geleistet wird. Andere Formen sind
Telearbeit in der Wohnung der Beschäftigten oder Telearbeit im Nachbarschaftsbüro
bzw. "Satellitenbüro".
Welche Chancen und Risiken birgt die Telearbeit? Ob die Telearbeit eine
Massenerscheinung wird, hängt primär vom Profit der einzelnen Unternehmen
ab. Neben den Vorteilen für die ArbeitgeberInnen sind für die Beschäftigten
gravierende Nachteile abzusehen.
Telearbeit läßt sich gut mit Konzepten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit
kombinieren. Für Bereitschaftsdienste ergeben sich vielfältige Möglichkeiten.
Von häuslichen Terminals können z. B. per Modem Störungen im Betrieb oder
bei KundInnen behoben werden. Dadurch kann der feste betriebliche Personalstamm
reduziert werden. Zeitaufwendige und unproduktive Fahrten zwischen Betrieb,
KundInnen und Wohnung der Beschäftigten veringern sich. Der Berufsverkehr
verlagert sich (ökologisch wünschenswert) von der Auto- auf die Datenbahn.
Telearbeitsplätze senken den Büroraumbedarf und erfordern nur geringe
Investitionskosten. Teilweise kann auf eigene Geräte der Beschäftigten
zurückgegriffen werden. Arbeit an Sonn- und Feiertagen wird ohne die üblichen
Zuschläge möglich.
Die Vorteile für die Beschäftigten erklären das gewachsene Interesse an
dieser Arbeitsform: die Arbeitszeit läßt sich individueller gestalten.
Berufliche Anforderungen und private Interessen lassen sich besser koordinieren.
Für alleinerziehende Elternteile oder Schwerstbehinderte wird die Berufstätigkeit
ermöglicht oder erhalten. Allerdings hat die oft beschworene Zielgruppe
- erwerbstätige Mütter - das vergleichsweise geringste Interesse an der
Telearbeit. 3 Die Rechnung, der Frau
die Rückkehr an Heim und Herd mit der Arbeit am Computer schmackhaft zu
machen, scheint nicht aufzugehen.
Einige Nachteile hindern die ArbeitgeberInnen Telearbeit tatsächlich einzuführen:
die direkte Kontrolle der Beschäftigten entfällt bei "Offline-Tätigkeiten".
Es bestehen Mißbrauchsgefahren. Bei allen personenbezogenen Daten muß
nach § 9 Bundesdatenschutzgesetz die Datensicherung gewährleistet sein,
was bei der Arbeit im Wohnzimmer der Beschäftigten nur schwer erreichbar
ist.
Nachteile lassen sich auch für die Beschäftigten ausmachen. Die betriebsferne
Arbeit zieht den Verlust sozialer Kontakte nach sich. Wo nicht ein starker
Betriebsrat besteht oder hochqualifizierte Tätigkeiten nachgefragt werden,
drohen Verdiensteinbußen. Ungeklärte Haftungsfragen bürden den TelearbeiterInnen
zusätzliche Risiken auf. Bei "On-line-Tätigkeiten" ergeben sich verbesserte
Überwachungsmöglichkeiten. Eine Verdichtung der Arbeit und Mehrbelastung
der Beschäftigten droht. Die Einhaltung von Schutzvorschriften sind am
häuslichen Arbeitsplatz kaum zu kontrollieren. 4
Entscheidend ist der rechtliche Status der Beschäftigten, da außerhalb
eines Arbeitsverhältnisses der arbeits- und sozialrechtliche Schutz weitgehend
entfällt. Bei Heimarbeit nach dem Heimarbeitsgesetz besteht nur ein unzureichender
Schutz. Kündigungsfristen sind auf wenige Tage reduziert, und eine echte
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es nicht. Der Gesundheitsschutz
liegt in der Verantwortung der Beschäftigten. "Freie MitarbeiterInnen"
genießen nur bei wirtschaftlicher Abhängigkeit vom auftraggebenden Unternehmen
geringfügigen arbeitsrechtlichen Schutz. Für Selbständige entfällt dieser
völlig. Die juristische Statusdiskussion ist jedoch mittlerweile geklärt:
aufgrund der regelmäßig gegebenen organisatorischen, technischen und zeitlichen
Einbindung in den Betrieb oder die betriebliche Organisation ist das Arbeitsverhältnis
der Regelfall. Bei alternierender Telearbeit liegt insgesamt ein Arbeitsverhältnis
vor. Auch zu Hause wird der / die MitarbeiterIn nicht frei von Terminen,
Weisungen, Arbeitszeitregelungen und Bestimmungen von Betriebsvereinbarungen
und Tarifverträgen sein. Diese Aspekte sprechen für eine "persönliche
Abhängigkeit" der Beschäftigten, die ein Arbeitsverhältnis begründen.
Andere Arbeitsformen werden Ausnahmefälle bleiben. 5
Das Eindringen des Berufs in die Privatsphäre schafft Probleme. Berufliche
Sorgen hören nicht mehr an der Haustür auf, sondern beeinflußen MitbewohnerInnen
unmittelbar. Die Arbeit macht vor dem Wochenende nicht halt, Kinder erhalten
nicht die nötige Aufmerksamkeit. Für die ausschließlich oder teilweise
zu Hause oder von unterwegs tätigen TelearbeiterInnen stellt sich die
Frage nach der Gewährleistung des geltenden Arbeitsschutzrechts. Ein Zugangsrecht
zu den heimischen Arbeitsplätzen ist gegen den Willen der TelearbeiterIn
nicht durchsetzbar, sondern läßt sich nur über freiwillig vereinbarte
Kontrollen erreichen. 6
Gewerkschaften und Betriebsräte tun sich schwer, auf die neuen Herausforderungen
zu reagieren. Sie befürchten "elektronische Einsiedelei" und den Kontaktverlust
zur Basis. Erst in jüngster Zeit sind vermehrt Betriebsvereinbarungen
und auch Tarifverträge über Telearbeit abgeschlossen worden.
7 Das DGB-Bildungswerk ist dabei, ein europäisches Netzwerk
zum gewerkschaftlichen Informationsaustausch aufzubauen. Neue Impulse
kann auch die EG-Betriebsräterichtlinie, die bis zum 22. September 1996
in nationales Recht umzusetzen ist, bringen. 8
Daneben fordern die Gewerkschaften mehr Datenschutz bei elektronischen
Personalakten, um dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten
Geltung zu verschaffen. In vernetzten Betrieben, denen die Belegschaft
durch Telearbeit abhanden kommt, muß sie für den Betriebsrat per E-Mail
erreichbar sein. Die Kommunikation in "virtuellen" Betrieben, die ausschließlich
im Datennetz existieren, wird nur noch "elektronisch" stattfinden.
Gesundheitsschutz bei Bildschirmarbeit
Zur Jahrtausendwende werden wohl mehr als 80 % der Arbeitsplätze von
Angestellten mit Bildschirmgeräten ausgestattet sein.
Die rasante Entwicklung geht mit Gesundheitsbelastungen einher. Zwei Drittel
der Beschäftigten klagen über Kopf- und Augenschmerzen und Beschwerden
des Stütz- und Bewegungsapparates. In den USA ist das sog. RSI-Syndrom,
d. h. Schmerzen und Verschleiß in Unterarmen und Händen bis zur Berufsunfähigkeit,
schon heute die häufigste Berufskrankheit. Diese Schäden treten häufig
auf, wenn, wie es die Regel ist, ergonomische Standards nicht eingehalten
werden. 9 Hier setzt die EG-Bildschirmrichtlinie
an, die ergonomische und gesundheitliche Mindeststandards setzt.
10 Der Begriff der Bildschirmarbeit wird weiter als
bisher üblich gefaßt. ArbeitnehmerInnen müssen gewöhnlich bei einem nicht
unwesentlichen Teil ihrer Arbeit ein Bildschirmgerät benutzen. Vorgeschrieben
sind Arbeitsplatzanalysen, um Gefährdungspotentiale, z. B. für das Sehvermögen,
erkennen zu können. Den Beschäftigten stehen ausreichende Pausen, regelmäßige
Augenuntersuchungen und kostenloser Schutz des Sehvermögens zu.
Die EG-Bildschirmrichtlinie hätte bis zum 31. Dezember 1992 in deutsches
Recht umgesetzt werden müssen. Dieses Versäumnis der Bundesregierung stellt
einen massiven Angriff auf den ArbeitnehmerInnenschutz dar, da die Richtlinie
ohne Umsetzung nur eingeschränkt gilt. Sie entfaltet im öffentlichen Dienst
unmittelbare Wirkung nur, soweit sie perfekt regelungsintensiv ausgestaltet
ist. Gegenüber privaten ArbeitgeberInnen wirkt sie darüberhinaus nur mittelbar
durch richtlinienkonforme Auslegung nationaler Normen.
11
Fazit
Die Telearbeit wird integraler Bestandteil der Arbeitswelt von morgen
sein. Beschäftigungspolitisch gesehen wird die Arbeit nur verlagert. Statt
sinkenden Arbeitslosenzahlen ist eher ein Abbau von Arbeitsplätzen zu
erwarten. Positiv ist die Telearbeit dort zu beurteilen, wo Beschäftigte
freiwillig an ergonomisch ausreichend ausgestatteten Arbeitsplätzen arbeiten.
So ist auch die Akzeptanz von Telearbeit bei jüngeren, besser qualifizierten
Beschäftigten am höchsten. Sie verbinden mit der Annäherung von Arbeitswelt
und Privatsphäre nichts negatives. 12
Was ist aber mit der Durchschnittsfamilie, die in ihrer 3-Zimmer-Wohnung
lebt und keinen Platz für ein Arbeitszimmer hat? Hier ist der Gesetzgeber
gefordert, den rechtlichen Status und den arbeitsrechtlichen Schutz der
TelearbeiterInnen zu verbessern.
Stefan Soost studiert Jura in Göttingen
Anmerkungen:
1 Schröder Computer 1/1996, 16.
2 Der Spiegel 11/1994, 240.
3 Weißbach, Mitbestimmung 8/1995, 35
(38).
4 Däubler 1995, 16.3.1; Wedde 40 ff.;
Pfarr /Drüke 87 ff.
5 IG Metall 46 f.; Wedde, 51 ff.
6 Wedde 125; Collardin 41 ff.
7 Z. B. der Tarifvertrag der Telekom
AG vom 10. Oktober 1995, NZA 1996, 189.
8 Richtlinie vom 20. September 1994,
Amtsblatt der EG 1994, L 254 / 64.
9 Schierbaum CR 1994, 410; Däubler /
Kittner /Klebe, § 87 Rn. 201.
10 Richtlinie vom 29. Mai 1990 (90/270/EWG),
Amtsblatt der EG 1990, L 156 / 14.
11 Bundesarbeitsgericht, Beschluß
vom 2. April 1996, Der Betrieb 1996, 786 (787) im Anschluß an die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes.
12 Weißbach, Mitbestimmung 8/1995,
35, 38.
Literatur:
Collardin, Markus, Rechtsfragen der Telearbeit, 1995.
Däubler, Wolfgang, Das Arbeitsrecht 2 - Leitfaden für Arbeitnehmer,
10. Aufl. 1995.
Däubler, Wolfgang / Kittner, Michael / Klebe, Thomas, Kommentar
zum Betriebsverfassungsgesetz, 5. Aufl. 1996.
IG Metall (Hrsg.), Teils im Betrieb - teils zu Hause - Neue Formen
der Telearbeit, Schriftenreihe der IG Metall, Nr. 135, 1993.
PC-Pendler: "Telecommuting" - die Zukunft der Heimarbeit?, Der Spiegel
11/1994, 240 ff.
Pfarr, Heide / Drüke, Helmut, Rechtsprobleme der Telearbeit, 1989.
Tarifvertrag der Deutschen Telekom AG über alternierende Telearbeit,
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 1996, 189.
Schierbaum, Bruno, EG-Richtlinie zur Bildschirmarbeit, Computer
und Recht (CR) 1994, 410 ff.
Schröder, Lothar, Selbstbestimmung statt Selbstbetrug, Computer
1/1996, 16 ff.
Wedde, Peter, Telearbeit, 2. Aufl., 1994.
Weißbach, Hans-Jürgen, Telearbeit - eine Arbeitsform der Zukunft?,
Die Mitbestimmung 8/1995, 35 ff.
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