Heft 4 / 1996:
Law Online
Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
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Schöne neue Arbeitswelt
Arbeitsrechtliche Aspekte der Informationsgesellschaft
 

"Unsere Kinder werden wohl icht einmal ein nostalgisch verklärtes Lächeln dafür übrig haben, wenn wir ihnen irgendwann einmal erzählen, daß auf unseren Bürotischen neben dem Telefon noch ein Anrufbeantworter, ein Fax, ein Personal-Computer und ein Modem stand. Integrierte Video-Kommunikationssysteme werden dann längst zur Grundausstattung des Arbeitsplatzes gehören." 1
Die Arbeitswelt ist einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. Der Fortschritt der Telekommunikation und der Ausbau von leistungsfähigen Datenautobahnen ermöglichen eine stetig ansteigende Dezentralisierung von computergestützter Arbeit. Bürotätigkeiten lassen sich mit Hilfe vernetzter Computer auch zu Hause erledigen. Die Grenzen zwischen Erwerbs- und Privatleben, zwischen Arbeit und Freizeit sind nachhaltig ins Wanken geraten.

Telearbeit

Im Schnittpunkt dieser Entwicklungstrends steht die Telearbeit. Telearbeit ist eine Form der dezentralisierten, betriebsfernen Arbeit, die sich auf elektronische Informationssysteme stützt. Die Geräte- und Übertragungskosten stellen angesichts des rapiden Preisverfalls kein ökonomisches Hindernis mehr dar. Letzter Schritt im Trend sind "Funkbooks": tragbare Notebooks, die sich per Mobiltelefon von unterwegs ins internationale Datennetz einklinken lassen. 2
Modellfall für Deutschland ist IBM. 1991 wurde die Betriebsvereinbarung über "außerbetriebliche Arbeitsstätten" mit dem "Innovationspreis der deutschen Wirtschaft" ausgezeichnet. Vereinbart wurde alternierende Telearbeit, die teils im Betrieb, teils zu Hause geleistet wird. Andere Formen sind Telearbeit in der Wohnung der Beschäftigten oder Telearbeit im Nachbarschaftsbüro bzw. "Satellitenbüro".
Welche Chancen und Risiken birgt die Telearbeit? Ob die Telearbeit eine Massenerscheinung wird, hängt primär vom Profit der einzelnen Unternehmen ab. Neben den Vorteilen für die ArbeitgeberInnen sind für die Beschäftigten gravierende Nachteile abzusehen.
Telearbeit läßt sich gut mit Konzepten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit kombinieren. Für Bereitschaftsdienste ergeben sich vielfältige Möglichkeiten. Von häuslichen Terminals können z. B. per Modem Störungen im Betrieb oder bei KundInnen behoben werden. Dadurch kann der feste betriebliche Personalstamm reduziert werden. Zeitaufwendige und unproduktive Fahrten zwischen Betrieb, KundInnen und Wohnung der Beschäftigten veringern sich. Der Berufsverkehr verlagert sich (ökologisch wünschenswert) von der Auto- auf die Datenbahn. Telearbeitsplätze senken den Büroraumbedarf und erfordern nur geringe Investitionskosten. Teilweise kann auf eigene Geräte der Beschäftigten zurückgegriffen werden. Arbeit an Sonn- und Feiertagen wird ohne die üblichen Zuschläge möglich.
Die Vorteile für die Beschäftigten erklären das gewachsene Interesse an dieser Arbeitsform: die Arbeitszeit läßt sich individueller gestalten. Berufliche Anforderungen und private Interessen lassen sich besser koordinieren. Für alleinerziehende Elternteile oder Schwerstbehinderte wird die Berufstätigkeit ermöglicht oder erhalten. Allerdings hat die oft beschworene Zielgruppe - erwerbstätige Mütter - das vergleichsweise geringste Interesse an der Telearbeit. 3 Die Rechnung, der Frau die Rückkehr an Heim und Herd mit der Arbeit am Computer schmackhaft zu machen, scheint nicht aufzugehen.
Einige Nachteile hindern die ArbeitgeberInnen Telearbeit tatsächlich einzuführen: die direkte Kontrolle der Beschäftigten entfällt bei "Offline-Tätigkeiten".
Es bestehen Mißbrauchsgefahren. Bei allen personenbezogenen Daten muß nach § 9 Bundesdatenschutzgesetz die Datensicherung gewährleistet sein, was bei der Arbeit im Wohnzimmer der Beschäftigten nur schwer erreichbar ist.
Nachteile lassen sich auch für die Beschäftigten ausmachen. Die betriebsferne Arbeit zieht den Verlust sozialer Kontakte nach sich. Wo nicht ein starker Betriebsrat besteht oder hochqualifizierte Tätigkeiten nachgefragt werden, drohen Verdiensteinbußen. Ungeklärte Haftungsfragen bürden den TelearbeiterInnen zusätzliche Risiken auf. Bei "On-line-Tätigkeiten" ergeben sich verbesserte Überwachungsmöglichkeiten. Eine Verdichtung der Arbeit und Mehrbelastung der Beschäftigten droht. Die Einhaltung von Schutzvorschriften sind am häuslichen Arbeitsplatz kaum zu kontrollieren. 4
Entscheidend ist der rechtliche Status der Beschäftigten, da außerhalb eines Arbeitsverhältnisses der arbeits- und sozialrechtliche Schutz weitgehend entfällt. Bei Heimarbeit nach dem Heimarbeitsgesetz besteht nur ein unzureichender Schutz. Kündigungsfristen sind auf wenige Tage reduziert, und eine echte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es nicht. Der Gesundheitsschutz liegt in der Verantwortung der Beschäftigten. "Freie MitarbeiterInnen" genießen nur bei wirtschaftlicher Abhängigkeit vom auftraggebenden Unternehmen geringfügigen arbeitsrechtlichen Schutz. Für Selbständige entfällt dieser völlig. Die juristische Statusdiskussion ist jedoch mittlerweile geklärt: aufgrund der regelmäßig gegebenen organisatorischen, technischen und zeitlichen Einbindung in den Betrieb oder die betriebliche Organisation ist das Arbeitsverhältnis der Regelfall. Bei alternierender Telearbeit liegt insgesamt ein Arbeitsverhältnis vor. Auch zu Hause wird der / die MitarbeiterIn nicht frei von Terminen, Weisungen, Arbeitszeitregelungen und Bestimmungen von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen sein. Diese Aspekte sprechen für eine "persönliche Abhängigkeit" der Beschäftigten, die ein Arbeitsverhältnis begründen. Andere Arbeitsformen werden Ausnahmefälle bleiben. 5
Das Eindringen des Berufs in die Privatsphäre schafft Probleme. Berufliche Sorgen hören nicht mehr an der Haustür auf, sondern beeinflußen MitbewohnerInnen unmittelbar. Die Arbeit macht vor dem Wochenende nicht halt, Kinder erhalten nicht die nötige Aufmerksamkeit. Für die ausschließlich oder teilweise zu Hause oder von unterwegs tätigen TelearbeiterInnen stellt sich die Frage nach der Gewährleistung des geltenden Arbeitsschutzrechts. Ein Zugangsrecht zu den heimischen Arbeitsplätzen ist gegen den Willen der TelearbeiterIn nicht durchsetzbar, sondern läßt sich nur über freiwillig vereinbarte Kontrollen erreichen. 6
Gewerkschaften und Betriebsräte tun sich schwer, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Sie befürchten "elektronische Einsiedelei" und den Kontaktverlust zur Basis. Erst in jüngster Zeit sind vermehrt Betriebsvereinbarungen und auch Tarifverträge über Telearbeit abgeschlossen worden. 7 Das DGB-Bildungswerk ist dabei, ein europäisches Netzwerk zum gewerkschaftlichen Informationsaustausch aufzubauen. Neue Impulse kann auch die EG-Betriebsräterichtlinie, die bis zum 22. September 1996 in nationales Recht umzusetzen ist, bringen. 8 Daneben fordern die Gewerkschaften mehr Datenschutz bei elektronischen Personalakten, um dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten Geltung zu verschaffen. In vernetzten Betrieben, denen die Belegschaft durch Telearbeit abhanden kommt, muß sie für den Betriebsrat per E-Mail erreichbar sein. Die Kommunikation in "virtuellen" Betrieben, die ausschließlich im Datennetz existieren, wird nur noch "elektronisch" stattfinden.

Gesundheitsschutz bei Bildschirmarbeit

Zur Jahrtausendwende werden wohl mehr als 80 % der Arbeitsplätze von Angestellten mit Bildschirmgeräten ausgestattet sein.
Die rasante Entwicklung geht mit Gesundheitsbelastungen einher. Zwei Drittel der Beschäftigten klagen über Kopf- und Augenschmerzen und Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates. In den USA ist das sog. RSI-Syndrom, d. h. Schmerzen und Verschleiß in Unterarmen und Händen bis zur Berufsunfähigkeit, schon heute die häufigste Berufskrankheit. Diese Schäden treten häufig auf, wenn, wie es die Regel ist, ergonomische Standards nicht eingehalten werden. 9 Hier setzt die EG-Bildschirmrichtlinie an, die ergonomische und gesundheitliche Mindeststandards setzt. 10 Der Begriff der Bildschirmarbeit wird weiter als bisher üblich gefaßt. ArbeitnehmerInnen müssen gewöhnlich bei einem nicht unwesentlichen Teil ihrer Arbeit ein Bildschirmgerät benutzen. Vorgeschrieben sind Arbeitsplatzanalysen, um Gefährdungspotentiale, z. B. für das Sehvermögen, erkennen zu können. Den Beschäftigten stehen ausreichende Pausen, regelmäßige Augenuntersuchungen und kostenloser Schutz des Sehvermögens zu.
Die EG-Bildschirmrichtlinie hätte bis zum 31. Dezember 1992 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Dieses Versäumnis der Bundesregierung stellt einen massiven Angriff auf den ArbeitnehmerInnenschutz dar, da die Richtlinie ohne Umsetzung nur eingeschränkt gilt. Sie entfaltet im öffentlichen Dienst unmittelbare Wirkung nur, soweit sie perfekt regelungsintensiv ausgestaltet ist. Gegenüber privaten ArbeitgeberInnen wirkt sie darüberhinaus nur mittelbar durch richtlinienkonforme Auslegung nationaler Normen. 11

Fazit

Die Telearbeit wird integraler Bestandteil der Arbeitswelt von morgen sein. Beschäftigungspolitisch gesehen wird die Arbeit nur verlagert. Statt sinkenden Arbeitslosenzahlen ist eher ein Abbau von Arbeitsplätzen zu erwarten. Positiv ist die Telearbeit dort zu beurteilen, wo Beschäftigte freiwillig an ergonomisch ausreichend ausgestatteten Arbeitsplätzen arbeiten. So ist auch die Akzeptanz von Telearbeit bei jüngeren, besser qualifizierten Beschäftigten am höchsten. Sie verbinden mit der Annäherung von Arbeitswelt und Privatsphäre nichts negatives. 12 Was ist aber mit der Durchschnittsfamilie, die in ihrer 3-Zimmer-Wohnung lebt und keinen Platz für ein Arbeitszimmer hat? Hier ist der Gesetzgeber gefordert, den rechtlichen Status und den arbeitsrechtlichen Schutz der TelearbeiterInnen zu verbessern.

Stefan Soost studiert Jura in Göttingen

Anmerkungen:

1 Schröder Computer 1/1996, 16.
2 Der Spiegel 11/1994, 240.
3 Weißbach, Mitbestimmung 8/1995, 35 (38).
4 Däubler 1995, 16.3.1; Wedde 40 ff.; Pfarr /Drüke 87 ff.
5 IG Metall 46 f.; Wedde, 51 ff.
6 Wedde 125; Collardin 41 ff.
7 Z. B. der Tarifvertrag der Telekom AG vom 10. Oktober 1995, NZA 1996, 189.
8 Richtlinie vom 20. September 1994, Amtsblatt der EG 1994, L 254 / 64.
9 Schierbaum CR 1994, 410; Däubler / Kittner /Klebe, § 87 Rn. 201.
10 Richtlinie vom 29. Mai 1990 (90/270/EWG), Amtsblatt der EG 1990, L 156 / 14.
11 Bundesarbeitsgericht, Beschluß vom 2. April 1996, Der Betrieb 1996, 786 (787) im Anschluß an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.
12 Weißbach, Mitbestimmung 8/1995, 35, 38.

Literatur:

Collardin, Markus, Rechtsfragen der Telearbeit, 1995.
Däubler, Wolfgang, Das Arbeitsrecht 2 - Leitfaden für Arbeitnehmer, 10. Aufl. 1995.
Däubler, Wolfgang / Kittner, Michael / Klebe, Thomas, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 5. Aufl. 1996.
IG Metall (Hrsg.), Teils im Betrieb - teils zu Hause - Neue Formen der Telearbeit, Schriftenreihe der IG Metall, Nr. 135, 1993.
PC-Pendler: "Telecommuting" - die Zukunft der Heimarbeit?, Der Spiegel 11/1994, 240 ff.
Pfarr, Heide / Drüke, Helmut, Rechtsprobleme der Telearbeit, 1989.
Tarifvertrag der Deutschen Telekom AG über alternierende Telearbeit, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 1996, 189.
Schierbaum, Bruno, EG-Richtlinie zur Bildschirmarbeit, Computer und Recht (CR) 1994, 410 ff.
Schröder, Lothar, Selbstbestimmung statt Selbstbetrug, Computer 1/1996, 16 ff.
Wedde, Peter, Telearbeit, 2. Aufl., 1994.
Weißbach, Hans-Jürgen, Telearbeit - eine Arbeitsform der Zukunft?, Die Mitbestimmung 8/1995, 35 ff.