Heft 2 / 2001:
Recht Macht Geschlecht
Notwendigkeit und Perspektiven feministischer Rechtspolitik
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Karin Günther Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Ende der Doppelmoral
 

Prostitution ist unvereinbar mit der Menschenwürde und verstößt gegen die guten Sitten. So die Ansicht der ständigen Rechtsprechung. Zwar ist Prostitution nicht strafbar, geahndet wird indes die Förderung. Um diesen Straftatbestand zu umgehen, verschleiern Bordellbetreiber meist die Besitzverhältnisse von zusammenhängendem Barbetrieb und Zimmervermittlung.
Nicht so Felicitas Weigmann. Die Betreiberin eines Bordells in Berlin brach das Tabu und sagte laut, was sie tut. Daraufhin entzog ihr das Bezirksamt die Gaststättenerlaubnis, da sie der Prostitution Vorschub geleistet habe. Weigmann, die versucht offen selbstverwaltete Prostitution zu gewährleisten, klagte gegen die Schließung. Und das Berliner Verwaltungsgericht gab ihr Recht.
In Abkehr von dem generellen "Unwerturteil" der bisherigen Rechtsprechung hob das Gericht hervor, daß "wer die Menschenwürde von Prostituierten gegen ihren Willen schützen zu müssen meint, (...) sich in Wahrheit an ihrer von der Menschenwürde geschützten Freiheit der Selbstbestimmung [vergreift] und (...) ihre rechtliche und soziale Benachteiligung [zementiert]".
Neue Wege beschritt das Gericht bei der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der Unsittlichkeit. War die bisherige Rechtsprechung ohne wesentliche Begründung davon ausgegangen, daß die Einstufung der Prostitution als unsittlich der in der Gesellschaft vorherrschenden Überzeugung entspräche, sahen es die Berliner Richter als erforderlich an, für eine solche Wertung objektive Indizien zu ermitteln. Das Gericht bat 50 Institutionen - z.B. JuristInnenverbände, Kirchen und Gewerkschaften - um Stellungnahme. Die Ergebnisse dieser Befragung und die Tatsache, daß auch die Bundesregierung plant, den Status der Prostituierten per Gesetz zu verbessern, veranlaßte das Gericht, von einer geänderten sozialethischen Wertvorstellung auszugehen. Prostitution, wird sie von Erwachsenen freiwillig und ohne kriminelle Begleiterscheinungen ausgeübt, sei nach den heute anerkannten sozialethischen Wertvorstellung nicht mehr als sittenwidrig anzusehen.
Prostituierte werden nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich diskriminiert. Sie zahlen Steuern, können aber keine Sozialversicherung und keine rechtlich bindenden Arbeitsverträge abschließen. Für Frauen, die in Häusern wie dem von Felicitas Weigmann arbeiten, liegt der Vorteil auf der Hand: Anschaffen ohne Zuhälter, in Sicherheit vor dem kriminellen Milieu. Daß eine Schließung gerade eines solchen Hauses Doppelmoral wäre, haben die Berliner Richter erkannt und offen diskutiert. Es bleibt zu hoffen, daß das Urteil Außenwirkung über den Einzelfall hinaus entfalten und sich die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten durch das Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung nachhaltig verbessern wird.

Karin Günther, Göttingen.

Quelle:

VG Berlin, VG 35 A 570.99, vom 1.12.2000, www.berlin.de/home/Land/RBm-Just/VG/Presse/urteil_pssst/