Heft 2 / 2001:
Recht Macht Geschlecht
Notwendigkeit und Perspektiven feministischer Rechtspolitik
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Politische Justiz
 

Ermittlungen gegen Passauer AntifaschistInnen eingestellt

Die seit dem Frühjahr 1997 laufenden Ermittlungen gegen 32 mutmaßliche Mitglieder der Passauer Antifa-Szene wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) wurden eingestellt. Den Höhepunkt des Ermittlungsverfahrens hatten im Mai 1998 Hausdurchsuchungen im ganzen Bundesgebiet gebildet, bei denen kiloweise schriftliche Unterlagen sowie Computeranlagen beschlagnahmt worden waren, die z.T. bis heute nicht herausgegeben wurden. Die Staatsanwaltschaft München warf den Beschuldigten vor, dem "Kampf gegen die bestehende Weltordnung" nachzugehen, konnte letztendlich jedoch nicht den Nachweis einer "offenen Befürwortung der Gewalt als legales Mittel" führen. Einen faden Beigeschmack besitzt die Einstellung: So werden Ermittlungsverfahren gegen Einzelpersonen wegen Bedrohung, Nötigung und Sachbeschädigung weitergeführt, die erst nach den Durchsuchungsaktionen eingeleitet worden waren. An diesem Ergebnis wird einmal mehr der Charakter von §-129a-Verfahren deutlich: Es geht weniger um eine Verurteilung von Beschuldigten, als vielmehr um die Einschüchterung von StaatskritikerInnen sowie die Zerstörung ihrer Logistik.

Farbbeutelwurf vor Gericht

Der Bielefelder Kosovo-Parteitag der Bündnisgrünen vom Mai 1999 hatte juristische Folgen: Jedoch nicht für die Kriegstreiber um Joseph Fischer und Daniel Cohn-Bendit, sondern für Samira F., die auf dieser Veranstaltung den grünen Außenminister mit einem Farbbeutel am Ohr verletzt hatte. Am 21. Dezember 2000 wurde ihr unter starkem Polizeischutz und begleitet von den Protesten von ca. 200 PazifistInnen in Bielefeld der Prozess gemacht. Samira F. bekannte sich dazu, Fischer als Mitverantwortlichen für den Kosovo-Krieg "blutrot markieren" gewollt zu haben, allerdings ohne Körperverletzungsabsicht. F. und ihre Anwälte betonten dabei den politischen Zusammenhang dieser Tat und der strafrechtlichen Ermittlungen gegen sie. Das Amtsgericht Bielefeld verurteilte Samira F. schließlich wegen gefährlich Körperverletzung im minder schweren Fall zu 3.600 DM Geldstrafe.

Staatlicher Genraub

Gisela D. konnte es am 30. Januar 2001 nicht glauben: Nach einem Amtstermin wurde die RAF-Aussteigerin von BeamtInnen des Bundeskriminalamts festgenommen und ins Institut für Rechtsmedizin der Universität Frankfurt/Main verbracht. Dort wurde ihr nicht etwa offeriert, einer Straftat verdächtig zu sein, sondern sie wurde aufgefordert, eine Speichelprobe abzugeben. Als sie sich weigerte, wurde Gisela D. unter Anwendung physischer Gewalt zwangsweise Blut abgenommen.
Die Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen bildet der 1998 eingefügte § 81g StPO, der die DNA-Kartierung bei dem Verdacht der Begehung einer "Straftat von erheblicher Bedeutung" und dem Vorliegen von Erkenntnissen künftiger Gefährlichkeit ermöglicht. Noch schwammiger wird diese Bestimmung in der Anwendung durch den 1999 verabschiedeten § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz, der auch schon die Begehung von im Führungszeugnis vermerkten Straftaten ausreichen lässt - unabhängig davon, wielange sie zurückliegt. Diese dehnbaren Begrifflichkeiten nutzt die Staatsgewalt zur umfassenden Gen-Kartierung der Bevölkerung (vgl. FoR 1/2001, 34).

Kronzeugen zu milder Strafe verurteilt

Tarek M., ehemaliges Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ), wurde vom Kammergericht Berlin zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. M. hatte sich in den 80er Jahren als Koordinator u.a. an einem Anschlag auf die Berliner Sozialstelle für AsylbewerberInnen sowie an den gezielten Beinschüssen gegen den Leiter der Berliner AusländerInnenbehörde sowie einen Verwaltungsrichter beteiligt, die bekannt für ihre rigide Abschiebepraxis waren. Das relativ milde Urteil resultiert aus der Anwendung der für Aussagen bis Ende 1999 gültigen Kronzeugenregelung: Aufgrund belastender Angaben von M. sitzen sechs ehemalige Gesinnungsgenossen (darunter ein Autor des vom BAKJ mitherausgegebenen Grundrechtereports) in Haft (vgl. FoR 1/2001, 34).
Ebenfalls von der Kronzeugenregelung hat der ehemalige RZ-Aktivist Hans-Joachim Klein profitiert, der am Anschlag auf die Wiener OPEC-Konferenz 1975 beteiligt war: Wegen dreifachen Mordes verurteilte ihn das Landgericht Frankfurt/Main zu neun Jahren Freiheitsstrafe. Im gleichen Verfahren wurde der der Beihilfe bezichtigte Rudolf Schindler freigesprochen. Gegen ihn läuft aufgrund Kleins Aussagen inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) sowie Mordes an dem damaligen hessischen Innenminister Karry.

"Gezielte Helmschläge"

Wegen "gezielter Helmschläge" verurteilte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten einen Nürnberger Antifaschisten zu einer Geldstrafe von 3.600 DM. Anlass für die fragliche Tat war die Absage der traditionellen Berliner Luxemburg-Liebknecht-Demo im Januar 2000 wegen eines drohenden Anschlags. Trotz Verbots hatten sich ca. 3.000 Menschen eingefunden, die jedoch schnell mit Polizeiketten und gewalttätigen Festnahmen die Staatsmacht zu spüren bekamen. Bei seiner Festnahme soll sich der Nürnberger mit zwei Schlägen auf den Helm eines Polizeibeamten gewehrt haben. Von den sechs bei der Verhandlung aussagenden polizeilichen Zeugen konnten nur zwei den Hergang bestätigen, zwei konnten sich nicht mehr erinnern, zwei hatten keine Schläge gesehen. Trotz der Widersprüchlichkeit der Aussagen bejahte das Gericht eine Körperverletzung. Im übrigen wurde das Verfahren gegen eine Mitangeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingestellt: Die Frau hatte einen ärztlichen Befund vorgelegt, der ihr selbst einen bei der Festnahme erlittenen Bruch in der Augenhöhle attestierte und dies durch ein entsprechendes Foto untermauert.

Fachschaft Sozialwesen als kriminelle Vereinigung?

Ab Mitte Oktober 2000 erhielten fünf Mitglieder des Fachschaftsrates Sozialwesen der Fachhochschule Erfurt Post vom Landeskriminalamt (LKA) Erfurt. Sie wurden als ZeugInnen in einem Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB (Bildung, Mitgliedschaft oder Unterstützung krimineller Vereinigungen) gegen Unbekannt geladen. Auf den Vorladungen ist der Beginn der Ermittlungen auf den 14. Januar 2000 festgelegt. Somit konnten die Ermittlungsbehörden schon Monate vor der Vorladung mit den Befugnissen, die § 129 StGB bietet (z.B. Kontrolle der Post, Abhören von Telefonen, verdeckte oder offenen Observationen, Anwerben von V-Leuten), in Erfurt gegen "Unbekannt" vorgehen. Der Anwalt einer Zeugin beantragte daraufhin Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft Erfurt, die ihm jedoch verwehrt wurde. Ebenso wurde bei mehreren telefonischen Anfragen zum Grund der Ermittlungen keinerlei Auskunft gegeben.
Erst im Februar 2001 gab die Staatsanwaltschaft Erfurt einige Hintergründe bekannt: Gesucht wird eine Gruppe namens "Autonome DekorateurInnen", die sich in einem BekennerInnenschreiben zu einem Farbbeutelwurf auf das Thüringer Innenministerium am 21. Dezember 1999 bekannt hat. In dem BekennerInnenschreiben machen die "Autonomen DekorateurInnen" deutlich, dass sie mit ihrer Aktion gegen die Durchsuchungen linker Projekte in Berlin und die Gefangennahme von drei mutmaßlichen RZ-Mitgliedern in Berlin und Frankfurt a.M. protestieren.
Die Staatsanwaltschaft wirft den "Autonomen DekorateurInnen" zusätzlich den Molotow-Cocktail-Anschlag - er verursachte einen kleinen Brandfleck auf dem Gehweg - auf das Innenministerium vom Januar 2000 vor, zu dem kein BekennerInnenschreiben vorliegt.
Zu den ZeugInnenvorladungen von Mitgliedern des Fachschaftsrates Sozialwesen will die Staatsanwaltschaft keine Angaben machen, da das Verfahren noch laufe. Fest steht aber, dass der Fachschaftsrat Sozialwesen dem linken monatlichen Erfurt-Info "SPUNK", das von einer anonymen Redaktionsgruppe hergestellt wird, ein Postfach zur Verfügung stellt. In "SPUNK" wurde das BekennerInnenschreiben der "Autonomen DekorateurInnen" dokumentiert.