Heft 2 / 2001:
Recht Macht Geschlecht
Notwendigkeit und Perspektiven feministischer Rechtspolitik
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Anna-Miria Mühlke Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Feministische Dilemmata
Zu Praxis und Theorie einer feministischen Rechtswissenschaft
 

Wer sich mit feministischen Perspektiven im Recht beschäftigt, stößt alsbald auf das sogenannte "feministische Dilemma". Kurz gesagt besteht es in der Schwierigkeit, die bestehende Geschlechterhierarchie anzugreifen, ohne männliche und weibliche Stereotypen zu zementieren. In einer Auseinandersetzung mit den herrschenden Strömungen des Feminismus in Deutschland und den USA soll gezeigt werden, wie es zu besagtem Dilemma kommt, welche praktischen Folgen es hat und wie eine Analyse der Kategorie Geschlecht aussehen muss, um diesem Dilemma ein neues Gerechtigkeitskonzept entgegenzusetzen.

Bestandsaufnahme - zufrieden oder unzufrieden?

Wieso ist auch heute, im Zeitalter der Gleichberechtigung von Mann und Frau, eine Beschäftigung mit feministischen Konzepten und Forderungen immer noch notwendig? Ist die rechtliche Gleichstellung der Frau nicht bereits erreicht? Können junge Frauen heute nicht auch in tatsächlicher Hinsicht ihr Leben frei nach ihren Wünschen gestalten? Zwei aktuelle Beispiele aus Rechtsprechung und Gesetzgebung mögen illustrieren, dass die Frage nach einer Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern noch lange nicht beantwortet ist.
Die Kreil-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Januar 2000 1 bereitete den Weg zur Änderung des Art. 12 a Grundgesetz, der Frauen nun unmissverständlich den freiwilligen Dienst an der Waffe in der Bundeswehr ermöglicht. In der Tat bedeutet diese Änderung ein Mehr an Chancen für Frauen. Immerhin wird ihnen ein bisher verschlossenes Berufsfeld eröffnet. Trotzdem kommt keine rechte Freude auf. Liegt es vielleicht daran, dass wir mittlerweile schon zu Genüge die Erfahrung gemacht haben, dass die Öffnung eines ausschließlich von Männern geprägten Raumes für Frauen nicht automatisch auch eine neue Denkweise mit sich bringt und dass Gleichberechtigung sich eben nicht über die "Angleichung der Frau an die Mannesstellung" 2 befriedigend erreichen lässt?
Am 1. Dezember 2000 hat das Berliner Verwaltungsgericht in seiner "Café Pssst"-Entscheidung entgegen der einhelligen höchstrichterlichen Rechtsprechung Prostitution nicht als sittenwidrige Tätigkeit eingestuft und so den Weiterbetrieb eines Bordells ermöglicht. 3 Erfreulich an dieser Entscheidung ist, dass ein Gericht erstmalig die Schließung eines von einer Frau selbständig ohne Zuhälter und in hygienischer Hinsicht vorbildlich geführten Bordells als heuchlerisch bewertet hat. In der Tat erscheint es gerechtfertigt, wenn Huren, die Einkünfte aus ihrer Tätigkeit immerhin versteuern müssen, auch auf rechtliche und soziale Absicherung und damit eine Gleichstellung mit anderen Berufen dringen. Trotzdem bleibt bei der Debatte um die Anerkennung von Prostitution als Beruf ein ungutes Gefühl. Wie kann sich eine Gesellschaft, die Prostitution anerkennt und schützt, von einem Frauenbild befreien, welches von sexueller Verfügbarkeit geprägt ist? Trägt eine solche Anerkennung wirklich zur größeren Selbstbestimmung von Frauen bei oder kapituliert sie nicht vielmehr vor den bestehenden Verhältnissen, in denen eine der lukrativsten Tätigkeiten für Frauen immer noch im Verkauf sexueller Dienste an Männer besteht?

Der Standard der Gleichheit

Die obigen Beispiele sollen dafür sensibilisieren, dass viele rechtliche Errungenschaften im Namen der Gleichberechtigung von Männern und Frauen durchaus etwas Ambivalentes haben. Sie fordern zu Lob und Kritik im gleichen Atemzug heraus. Ein Grund dafür liegt darin, dass der Maßstab für Gleichbehandlung der Geschlechter allzu häufig ein männlicher ist. Der Rechtsbegriff Gleichheit bzw. Gleichbehandlung setzt voraus, dass verschiedene Dinge in ein gerechtes Verhältnis zueinander gesetzt werden. 4 Wenn die gleich zu behandelnden Sachverhalte bereits gleich wären, bedürfte es keiner Diskussion; es läge schlicht Identität vor. Um ein Verhältnis zwischen unterschiedlichen Dingen herzustellen, bedarf es eines Vergleichsmaßstabes, des sog. "tertium comparationis". Dieser muss sich logischerweise von den beiden Ausgangssachverhalten unterscheiden, da es sonst nicht um die Herstellung von Gleichheit zwischen ihnen, sondern um Angleichung des einen Ausgangssachverhalt an den anderen ginge. Der Schlüssel zur Gleichheit liegt also in der Wahl des Maßstabes, in welchem sich immer spezifische Wertungen niederschlagen.
Bei der Herstellung von Gleichheit zwischen den Geschlechtern durch das Recht geschieht nun regelmäßig folgendes: Der gewählte Maßstab entspricht dem bisher männlich besetzten Ausgangssachverhalt. Die Öffnung der Bundeswehr für Frauen ist ein klassisches Beispiel. Bisher war dieser Lebensbereich nur Männern zugänglich, jetzt dürfen auch Frauen hinein. Nun bedeutet ein solches Ergebnis nicht notwendig, dass ein männlicher Maßstab der Gleichheit gewählt wurde. Möglicherweise ist der Maßstab ein für alle gültiger (etwa: allen Menschen über 18 Jahren muß ein Dienst an der Waffe in der Armee erlaubt sein), der bisher fälschlich nur auf Männer angewendet wurde. An Fällen, die sich nicht ohne weiteres unter den menschlich-männlichen Standard subsumieren lassen, wird aber deutlich, dass eine notwendige Diskussion über einen neuen Maßstab nicht stattfindet, die zu einer Verabschiedung des bisherigen, männlich besetzten Maßstabes führen könnte.
Wenn der alte Maßstab nicht so recht passen will, etwa wenn es um Fragen der Geburt und Betreuung von Kindern geht, bezieht man sich eben auf die Kehrseite des Gleichheitssatzes, der die Ungleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte nach ihrer Art gebietet. Schutzgesetze für Frauen, wie das Mutterschutzgesetz, die an das anerkannte Differenzierungskriterium der biologischen Unterschiede anknüpfen, zeugen von dieser Vorgehensweise. Nun mag eingewendet werden, dass daran ja auch kein Weg vorbei führt: Es sind nun einmal nur Frauen, die Kinder bekommen und Stillen können. Trotzdem fällt auf, dass offenbar nur dem weiblichen Körper zugeschriebene Eigenschaften eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Eine bezeichnende Auflistung dieser Eigenschaften - Menstruation, Defloration, Schwangerschaft, Geburt, Stillzeit, Klimakterium - findet sich in einem der wichtigsten Kommentare zum Grundgesetz. 5 Schutzgesetze, die an männliche biologische Merkmale anknüpfen, existieren nicht. Hierin zeigt sich, dass der männliche Körper offenbar selbstverständlich standardbildend wirkt.
Schwieriger wird es, einen Standard als männlich zu erkennen, wenn ein Gesetz geschlechtsneutral formuliert ist. Beispielsweise kann die neue Elternzeit unabhängig von einer bestimmten Geschlechtszugehörigkeit genommen werden. Dennoch haben viele Männer begründete Hemmungen, von dieser Regelung Gebrauch zu machen. So wird in Vorstellungsgesprächen bei Anwaltskanzleien Bewerbern deutlich zu verstehen gegeben, dass Kinderbetreuung Frauensache sei. Eine deutsche Großkanzlei, die damit wirbt, aus familiären Gründen auch das Modell einer "Teilzeitpartnerschaft" anzubieten, macht z.B. auf Nachfrage klar, dass dieses Modell selbstverständlich nur für Frauen geeignet sei. Männer, die aus familiären Gründen nicht bereit seien, durchgängig voll zu arbeiten, kämen für eine Karriere nicht in Betracht. Hierauf lautet der Einwand, dass dies doch nichts mit der neutralen rechtlichen Regelung zu tun habe, sondern mit sozialen und kulturellen Traditionen, die das Recht auch nicht von einem Tag auf den nächsten reformieren könne. Doch lässt sich die Lage auch anders beurteilen. Wenn der Maßstab schon notwendig eine Wertung beinhaltet, dann leuchtet es nicht ein, dass die faktischen Umstände außer Betracht bleiben sollen, für die das Gesetz schließlich gelten soll. Der Standard einer "männlichen Normalbiographie" setzt sich also auch in geschlechtsneutralen Normen durch, wenn keine grundsätzliche Neubestimmung des Maßstabes erfolgt.

Geschlecht aus feministischer Sicht

Es ist einsichtig, dass ein Recht, in dem ein männlicher Standard normbildend wirkt, während Weiblichkeit eine Abweichung darstellt, wenig zur Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern beiträgt. Für eine Neubewertung ist es notwendig, den Unterschied zwischen Frauen und Männern aus feministischer Perspektive aufzubereiten, damit nicht mehr die "Angleichung der Frau an die Mannesstellung" als vorderstes Ziel des Gleichheitssatzes formuliert wird. Auf einer tatsächlich greifbaren und damit auch rechtlichen Regelungen unmittelbar zugänglichen Ebene haben sich zwei führende Denkrichtungen etabliert: Die essentialistische oder auch differenzfeministische und - in Anlehnung an den u.s.-amerikanischen Terminus "radical feminism" - die sogenannte radikale. Beide Ansätze gehen von der in der feministischen Forschung mittlerweile etablierten Unterscheidung von Geschlecht in sex (biologisch-körperliches Geschlecht) und gender (sozial-kulturelles Geschlecht) aus. 6
Die essentialistische Richtung nimmt grundsätzliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf der sex-Ebene an, die auf der gender-Ebene, also im sozialen Leben, adäquat berücksichtigt werden müssen. Eine der Hauptvertreterinnen dieser Richtung, die u.s.-amerikanische Psychologin Carol Gilligan, ist im Rahmen einer empirischen Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass Mädchen dazu tendieren, moralische Probleme in einem Kontext von Beziehung und Verantwortung gegenüber anderen anzugehen, während Jungen eher zur Abgrenzung ihres Selbst und zur Aufstellung von hierarchischen Regeln zur Bewältigung komplexer moralischer Fragen neigen. 7
Die u.s.-amerikanische Juristin Robin West, eine andere Vertreterin der Überzeugung, dass Frauen ihre menschliche Natur notwendig anders erfahren als Männer, also eine andere "Essenz" besitzen, sieht den fundamentalen Unterschied zwischen den Geschlechtern in körperlich vermittelten Erfahrungen begründet, vor allem dem Erlebnis von Schwangerschaft und Geburt. 8 Eine Konsequenz dieser Sichtweise ist, dass Frauen ihr Leben anders organisieren und empfinden als Männer, folglich auch andere Schäden erleiden, die mit Mitteln des Rechts entsprechend ausgeglichen werden müssten. Die Bereitschaft von Frauen beispielsweise, sich im Gegensatz zu Männern verstärkt in sog. Familien- oder Beziehungsarbeit zu engagieren, soll vom Staat kompensiert werden; auch Schwangerschaften müssten als zumindest potentiell schädigende Ereignisse begriffen werden, für die staatliche Kompensation und Hilfestellung bereitzustellen sind. 9 Ein eigenständiger weiblicher Standard, welcher auf die besonderen Erfahrungen von Frauen reagiert, ist folglich für die Herstellung einer gerechteren, beiden Geschlechtern adäquate Chancen bietenden Gesellschaft unerlässlich.
Der radikale Feminismus bejaht das Bestehen eines Unterschieds zwischen Männern und Frauen nicht aus der Überzeugung heraus, dass die Geschlechter verschiedene Naturen haben (sex-Ebene), sondern wegen der von Frauen gemachten kollektiven Erfahrung ihrer sozialen Unterdrückung durch Männer (gender-Ebene). Hauptvertreterin ist die u.s.-amerikanische Juristin Catharine A. MacKinnon, deren wichtigster Thesen und Denkansätze sich in Deutschland vor allem Susanne Baer angeschlossen hat. Dieser Richtung zufolge hat jede Repression von Frauen ihre Wurzel in der bestehenden Auffassung und Praxis von Heterosexualität, in der die männliche Dominanz par excellence zum Ausdruck kommt. 10 Die herrschende, heterosexuelle Geschlechterordnung ist eine Zwangsordnung, die Menschen in eine sexuell vermittelte Existenzweise hineindrängt, in der Frauen immer unterlegen sind. 11
Ein weiblicher Standard hilft bei dieser Sicht der Dinge naturgemäß nicht weiter. Erst muss die bestehende, geschlechtsspezifische Hierarchie bekämpft werden, ehe überhaupt neue Konzepte und Standards vorstellbar sind. Für diese Denkerinnen liegt der Schlüssel zur Herstellung von Gleichheit nicht darin, ein gerechtes Verhältnis zwischen unterschiedlichen Sachverhalten zu schaffen, sondern in der Beendigung von Dominanz. Gleichheit wird folglich als Hierarchisierungsverbot verstanden. Mit anderen Worten: Das Recht muss, will es Gleichheit herstellen, der kollektiv unterdrückten Gruppe Mittel an die Hand geben, gegen diese Unterdrückung anzukämpfen. Normen müssen in Bereichen, in denen sexuelle Unterdrückung evident ist, auf Seiten der Unterdrückten stehen, also notwendig auf Seiten von Frauen. Für effektive Gesetze zur Bekämpfung der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz bedeutet dies beispielsweise, dass ein als sexuelle Belästigung definiertes Verhalten stets eine (schädigende) Diskriminierung bedeutet, es sei denn, der Beklagte kann nachweisen, dass sein Verhalten erwünscht war. Dabei darf er sich nicht auf Umstände berufen, die typischerweise zu Lasten von belästigten Frauen ausgelegt werden, wie ihre Kleidung, ihre Sprache, ihre Persönlichkeit und ihre Vergangenheit. 12

Die Falle des Unterschieds: Dilemma Nr. 1

Das Bild, welches MacKinnon und Baer von der Kategorie Geschlecht und vor allem von der jeder Weiblichkeit inhärenten Unterdrückung zeichnen, deprimiert. Zwar werden Frauen konkrete Mittel an die Hand gegeben, sich gegen Unterdrückung zu wehren, die sie qua ihrer Geschlechtszugehörigkeit, also als Frauen und nicht als individuelle Persönlichkeiten, erleiden. Doch wird Frauen weder die Fähigkeit zugestanden, Heterosexualität befreit und befriedigt ausleben zu können, noch besteht für sie die Möglichkeit, an einer Vision von einem gerechteren Zusammenleben aller Menschen zu arbeiten, in der Weiblichkeit - auch im Gegensatz zu oder neben Männlichkeit - einen Platz hat. Sie können bestehende Diskriminierung nur radikal bekämpfen.
Die Auffassung von Gilligan und West von einem fundamentalen Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Natur, welcher sich auch im Recht niederschlagen muss, mag zwar insofern wohltuend sein, als frau sich als Frau ernst genommen fühlen darf, aber eben nur als Frau. Zu einer Ersetzung des männlichen Standards durch eine grundlegend neue, mehr Gerechtigkeit schaffende Sichtweise trägt diese Ansicht nämlich nicht bei. Vielmehr liegt ihr die Gefahr inne, eine stereotype Sichtweise auf Frauen und auf Weiblichkeit zu forcieren sowie die Frau als die Abweichung von der Norm weiter zu etablieren. Auch wenn staatliche Schutzgesetze zunächst eine Erleichterung für Frauen bedeuten mögen, werden sie langfristig doch wieder auf eine Rolle festgelegt, die ihre Möglichkeiten letztlich einschränkt. Ein spezifisch weiblicher Standard mag sich zwar unter Frauen bewähren, ändert aber nichts an einer immer noch entlang der Geschlechterlinien laufenden Hierarchie, die Männer begünstigt.
Beide Ansätze, sowohl der essentialistische als auch der radikale, stellen uns also vor ein ernstes Dilemma, welches einschlägig als das "feministische Dilemma" bekannt ist: Alle Regelungen, die der Beendigung der Diskriminierung von Frauen dienen bzw. ihre Situation verbessern sollen, weisen Frauen einen bestimmten Part zu. Entweder sind Frauen Opfer oder das Andere. Beide Male werden Stereotypen bestätigt. Bei der essentialistischen Denkrichtung durch die Festlegung von Frauen auf eine weibliche Natur, bei der radikalen Vorgehensweise durch die Festlegung von Frauen auf die Opferrolle. Zugegeben ist es erklärtes Ziel letztgenannter Richtung, Frauen aus ihrem Opferstatus zu befreien, doch gelingt dies nur durch eine gesetzliche Festschreibung eben dieses Status.

Frauen im Recht?: Dilemma Nr. 2

Ein neuer Standard, an dem sich Gleichheit zwischen den Geschlechtern gerechter herstellen ließe, lässt sich anhand dieser beiden Ansätze nicht unmittelbar entwickeln. Allerdings muss man hier bedenken, dass es den genannten (Rechts)wissenschaftlerinnen darum vielleicht gar nicht unbedingt geht. Vor allem Baer unterstreicht, dass es innerhalb der rechtlichen Diskussion vor allem darauf ankommen muss, von den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Frauen ausgehend Strategien zu entwickeln, welche ihre Situation spürbar verbessern. 13 Es geht ihr also in erster Linie um eine adäquate Interessenvertretung von Frauen, in der eine zu intensive Beschäftigung mit dem aufgezeigten feministischen Dilemma keinen Raum hat. Trotzdem muss ein Blick auf die Probleme und Fragen erlaubt sein, welche die Forderungen feministischer Juristinnen aufwerfen, wenn das oben beschriebene Dilemma weiter ungelöst bleibt.
Eine wichtige Forderung feministischer Politik ist die verstärkte Repräsentation von Frauen im öffentlichen Raum zur besseren Durchsetzung ihrer Interessen. Dies folgt aus zwei Überlegungen: Zum einen besteht Grund zum Misstrauen gegenüber Männern, zumindest solange noch ein Standard gilt, in dem männliche Lebenswirklichkeit auf Kosten von Frauen die Norm darstellt. Zum anderen sind Männer nach den beiden oben geschilderten Ansätzen auch gar nicht in der Lage, weibliche Interessen adäquat zu vertreten, da sie weder auf biologisch-essentieller noch auf sozialer Ebene die Situation von Frauen nachvollziehen können.
Die notwendige Repräsentation herzustellen stellt uns aber vor erhebliche Schwierigkeiten. Zunächst ist der öffentliche Raum auf eine männliche Normalbiographie zugeschnitten. Von den AkteurInnen wird ein sozial männliches Geschlecht (gender) gefordert, wollen sie als kompetente Persönlichkeiten mit allen staatsbürgerlichen Qualitäten ernst genommen werden. Daher vertreten Frauen in Entscheidungspositionen nicht automatisch eine vom bisherigen Standard divergierende Sichtweise. Um am öffentlichen Entscheidungsprozeß überhaupt beeinflussend mitwirken zu können, müssen Frauen sich an die männlichen Spielregeln halten und dem männlichen Maßstab entsprechen. 14 Eine ihrem biologischen Geschlecht (sex) nach weibliche Repräsentantin ist also keineswegs eine Garantie für eine feministische Politik.
Im übrigen führt eine Repräsentation von Frauen primär wegen ihres biologischen Geschlechts zu einer Verstärkung der Essentialisierung, also ihrer Wahrnehmung als das Andere, wenn es allein darum geht, den herrschenden männlichen Interessen ein Gegengewicht zu bieten. Quoten und Frauenförderpläne sind ein viel diskutiertes und sicherlich auch probates Mittel, um Frauen verstärkt in öffentliche Positionen zu bringen, doch kann damit direkt nur eine Änderung im numerischen Verhältnis erreicht werden. Inhalte oder gar ein neuer Standard werden so nicht vermittelt.
Eine weitere Konsequenz der Ausblendung des feministischen Dilemmas aus dem juristisch-politischen Diskurs ist, dass es keine Antwort auf die Frage gibt, wann ein Zustand erreicht sein könnte, in dem Geschlecht nicht mehr als Vehikel für Dominanz und Hierarchiebildung fungiert. Wenn es nämlich Frauen angesichts ihrer andauernden Repression nicht möglich sein soll, Aussagen über den möglichen Zustand einer Gesellschaft ohne Geschlechterhierarchien zu treffen, dann bleibt die obige Frage offen. Dies ist um so beunruhigender, als die gesetzlichen Regelungen, die einer Beendigung der Hierarchisierung dienen sollen, gerade von einer tatsächlichen Unterlegenheit von Frauen als Gruppe ausgehen müssen, um ein effektives Instrument gegen Diskriminierung darzustellen. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass frau, will sie sich aus der gegen sie arbeitenden Geschlechterhierarchie emanzipieren, auf ihrer Rolle als Opfer männlicher Dominanz bestehen muss. Der Teufelskreis, der diesem Mechanismus innewohnt, ist offenbar.
Außerdem droht die Gefahr, dass dieser Ansatz in letzter Konsequenz wieder in eine Hierarchie unter umgekehrten Vorzeichen hineinführt, wenn das bestehende Konzept von Geschlechterhierarchie nur verboten und nicht grundsätzlich neu gedacht wird. Wenn Nicht-Mehr-Unterdrückte sich weiter gegen ihre Ex-Unterdrücker wehren dürfen, stellt dies unausweichlich eine neue Form der Herrschaft dar. Zugegeben sind wir noch weit von einem solchen Zustand entfernt. Doch ist ein Entwurf, der zwar wirksame Mechanismen gegen bestehende Ungerechtigkeiten bereitstellt, darüber hinaus aber kein eigenes Modell einer neuen Gerechtigkeit bereitstellt, wirklich befriedigend?

Versuch eines Auswegs

Wie frau/man es dreht und wendet, das "feministische Dilemma" lässt sich nicht aus strategischen Gründen akzeptieren. Auch innerhalb des juristischen Diskurses stellt es sich mit aller Macht. Will die feministische Rechtswissenschaft mehr als Interessenvertretung mit juristischen Mitteln sein, bedarf es einer interdisziplinären Diskussion über Strategien, mit Hilfe derer einerseits eine Essentialisierung von Menschen anhand ihrer biologischen Geschlechtlichkeit verhindert werden kann, andererseits der Status von Frauen als Opfer von sozialer Unterdrückung nicht fortgeschrieben werden muss. Insofern entmachtet eine Position, die das feministische Dilemma auf das Recht überträgt, sich nicht selber 15, sondern schafft erst die Voraussetzung für ein notwendiges Nachdenken über eine Gesellschaft und ein Rechtssystem ohne Geschlechterhierarchien.
Zugegeben scheint sich das Recht mit geradezu zäher Resistenz den Versuchen zu widersetzen, eine neue Sichtweise auf das Phänomen Geschlecht zu etablieren. Dies hängt maßgeblich damit zusammen, dass Recht, zumal wenn es auf Geltung zielt, darauf angelegt ist, möglichst stabile Kategorien zu bilden, da sonst eine dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere in seinen Ausprägungen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, genügende Anwendung nicht möglich erscheint. Das feministische Dilemma wirkt seinerseits aber höchst destabilisierend, macht es doch eine unbefangene Bezugnahme auf Geschlecht und die den einzelnen Geschlechtern zugeschriebenen Eigenschaften unmöglich.
Zur Lösung dieses Dilemmas muss also eine grundlegende Neubestimmung der gesamten Kategorie Geschlecht auf theoretischer Ebene vorgenommen werden. Allein diese ermöglicht eine neue Bewertung von bisher gleichsam als apriorisch vorgegebenen Annahmen. Gleichzeitig eröffnet sie eine über reine Interessenvertretung hinaus gehende ethische Perspektive, weil nicht primär die reale Machtverteilung zwischen den Geschlechtern in den Blick genommen wird, sondern das bisherige Konzept von Geschlecht, auf dem das Machtgefälle fußt, selber neu gedacht wird. Aus dieser Perspektive können dann neue feministische Strategien auf pragmatisch-rechtlicher Ebene entwickelt werden.

Theorie eines ethischen Feminismus

Um zu einem Entwurf einer für Frauen wie Männer gültigen Geschlechtergerechtigkeit zu gelangen, gilt es, dem feministischen Dilemma zu entfliehen. Eine vollständige Auflösung der Kategorie Geschlecht kommt hierbei nicht in Frage, da Geschlecht uns zumindest in seiner biologischen Variante (sex) wohl in der ein oder anderen Form erhalten bleiben wird. Gefragt ist daher nach einer Analyse, welche den Weg zu einer Verabschiedung sowohl des männlichen Standards als auch der Hierarchie unter den Geschlechtern bereitet, welche aber gleichzeitig die Möglichkeit einer Geschlechtervielfalt anerkennt. Eine solche Analyse auf theoretischer Ebene leistet zur Zeit maßgeblich die u.s.-amerikanische Rechtswissenschaftlerin Drucilla Cornell mit ihrem Konzept eines "ethischen Feminismus" (ethical feminism). 16
Ihr Ansatz beruht auf der Erkenntnis, daß unsere gesamte Sprache und Kultur von einem männlichen Standard durchzogen sind, der auf einer Miss- bzw. Nichtachtung von Weiblichkeit beruht. Zentral hierfür ist die Bedeutung des Phallus in der patriarchialen Kultur: Als Symbol für das symbiotische Band zwischen Mutter und Kind, von dem sich das Kind lösen muss, um als Individuum in die Gesellschaft einzutreten, ist der Phallus neutral. In einer patriarchalen Kultur wird nun der Phallus mit dem realen männlichen Geschlecht gleichgesetzt. Dies hat zur Folge, dass Männer sich positiv, d.h. in Abgrenzung zur Mutter, definieren können, Frauen dagegen nicht. Männer haben damit eine Definitionsmacht, die nicht biologisch determiniert, sondern sozial geprägt ist. Verwiesen sei hier auf das oben genannte Beispiel für männliche Standards im Recht auch bei Differenzierungen wegen biologischer Tatsachen: Nur bei Männern vorliegende Tatsachen begründen keine Sonderregelungen. In der Tat ist es derzeit auch kaum vorstellbar, dass solche Tatsachen bestehen bzw. bezeichnet werden können.
Ausgangspunkt einer neuen Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern muss also die Einsicht sein, dass Weiblichkeit nicht Mangel des Phallus oder - sozial gesprochen - Entmachtung bedeutet. Um dieses Ziel umzusetzen ist es notwendig, das Weibliche als Subjekt und Bezeichnerin gleich dem Männlichen zu etablieren. Mit anderen Worten muss es auch Frauen möglich sein, das Symbol des Phallus und die mit ihm einhergehende Definitionsmacht in Anspruch zu nehmen. Zu diesem Zweck gilt es, unser Imaginäres, also unsere großenteils unbewusste Vorstellungswelt, für neue (Frauen- und Männer-)Bilder zu öffnen, um die vorherrschenden kulturellen Leitbilder und gesellschaftlichen Stereotypen aufzubrechen. 17 Vor diesem Hintergrund ist Gerechtigkeit ein Prozess der beständigen Aufdeckung und Befreiung von Stereotypen auf Kosten anderer. Da ein allgemeingültiger, absoluter Gerechtigkeitsmaßstab in der sozialen Realität nicht möglich ist, stellt dieses Konzept auch eine Utopie dar. Ethisches Handeln erfordert dann eine Geisteshaltung, die ich als "Mut zur Demut" bezeichnen möchte: Ein Einstehen für Gerechtigkeit ist möglich, ihr Erreichen in unserer Realität dagegen nicht.
Die notwendige Befreiung des Imaginären von der Gleichung Phallus=Mann=Subjekt und das gerade beschriebene Gerechtigkeitskonzept machen deutlich, was Cornell mit gleichwertigen statt gleichen Rechten meint. 18 Gleiche Rechte schützen nicht vor den herrschenden Geschlechterstereotypen; gleichwertige Rechte dagegen sehr wohl, geht es ihnen doch gerade um die Bekämpfung der Mechanismen, durch die Stereotypen zementiert werden. Ziel ist es nicht, den männlichen Maßstab um einen weiblichen Sondermaßstab zu ergänzen, sondern tatsächlich die Diskussion um einen allgemein menschlichen Maßstab von einer Position aus zu eröffnen, in der sowohl Männer als auch Frauen mit gleicher Subjektqualität ausgestattet sind.

Praktische Auswirkungen

Die Analyse von Cornell bietet die Chance, das Dilemma hinter sich zu lassen, welches in so vielen Forderungen der feministischen Rechtswissenschaft zu Tage tritt. Ziel einer jeden neuen Regelung muss demnach sein, geschlechtliche Stereotypen so wenig wie möglich zu bestätigen und gleichzeitig so viel Raum wie möglich für eigene Lebensentwürfe zu schaffen. Mutterschutz und Erziehungsurlaub tragen dann nur unter folgender Voraussetzung zu mehr Gerechtigkeit bei: Dem Akt des Sorgetragens für Kinder muss ein solcher Wert beigemessen werden, dass Menschen sich unabhängig von ihrem Geschlecht diesem Akt widmen können, ohne Nachteile für Ansehen und Fortkommen zu befürchten. Für das Recht könnte dies bedeuten, dass Erziehungsurlaub nur dann genommen werden kann, wenn beide Elternteile, sofern sie zusammenleben, sich diesen teilen bzw. dass auch Männer für eine gewisse Zeit nach der Geburt ihres Kindes nicht beschäftigt werden dürfen.
Die Forderung nach mehr Repräsentation von Frauen in der Öffentlichkeit kann nur unter der Bedingung zu mehr Gerechtigkeit beitragen, dass zugleich Räume geschaffen werden, die dem Weiblichen im Imaginären neue Möglichkeiten eröffnen. Sonst bleibt das soziale Geschlecht von öffentlich handelnden Subjekten notwendig männlich, und Männern wird es im übrigen aufgrund der Gleichsetzung des Phallus mit ihrem biologischen Geschlecht stets leichter fallen, dieses Kriterium zu erfüllen. Das Recht kann selbstverständlich nicht das Imaginäre mit Inhalten füllen, es kann aber dazu beitragen, Prozesse zu fördern, in denen neue Bilder entstehen können, etwa durch die Freihaltung bestimmter öffentlicher Zonen, wie Schulen und Universitäten, von Bildern, welche die zur Zeit herrschenden, heterosexuellen Stereotypen reproduzieren.

Fazit

Feministisches Denken im Recht, will es über reine Interessenvertretung hinaus einen ethischen Anspruch erheben, kann sich einer theoretischen Perspektive nicht entziehen. Nur eine solche gewährleistet Wege aus der Sackgasse des "feministischen Dilemmas" und gibt den Blick auf ein Konzept der Gerechtigkeit für alle Geschlechter frei. Der utopische Charakter dieses Konzepts ist sein Antrieb; jeder Tag, der im Bewusstsein dieser Utopie gelebt wird, konkretisiert sie ein Stückchen mehr.

Anna-Miria Mühlke ist Referendarin in Freiburg i.Br.

Anmerkungen:

1 Ahrendts, FoR 2000, 66.
2 So noch Dürig in: Maunz / Dürig, GG-Kommentar, Art. 3 Abs. 2 Rn. 11, Stand Dezember 1973.
3 Günther, FoR 2001, 66/ 67.
4 Zum folgenden ausführlich Ute Gerhard, Gleichheit ohne Angleichung, 1990, 13 ff.
5 Dürig in: Maunz / Dürig, GG-Kommentar, Art. 3 Abs. 2 Rn. 13.
6 Ausführlich Stephan, in: Braun / Stephan, Gender-Studien, 2000, 58 ff.
7 Gilligan, 1996.
8 West, The Difference in Women's Hedonic Lives: A Phenomenological Critique of Feminist Legal Theorie, Wisconsin Women's Law Journal 3 (1987), 81 ff.
9 Vgl. West, Caring for Justice, 1997, 142 f.
10 MacKinnon, 1989, 126 ff.
11 Baer, Krim. Journal 1996, 253 f.
12 Umfassend zur sexuellen Diskriminierung Baer, Würde oder Gleichheit, 1995.
13 Baer, in: Braun / Stephan (Fn 6), 155 ff., bes. 160 f.
14 Vgl. Eva Kocher, Geschlechterdifferenz und Staat, KJ 32 (1999), 182 ff., 189 f.
15 So aber Baer (Fn 11), 251.
16 Grundlegend Cornell, Beyond Accommodation - Ethical Feminism, Deconstruction and the Law, 1991.
17 Vgl. Cornell, Die Versuchung der Pornographie, 1995, 105ff.
18 Cornell, 1993, 80 ff.

Literatur:

Baer, Susanne, Dilemmata im Recht und Gleichheit als Hierarchisierungsverbot - Der Abschied von Thelma und Louise, in: Krim. Journal 28 (1996), 242 ff.
Braun, Christina v. / Stephan, Inge (Hrsg.), Gender-Studien: eine Einführung, 2000.
Cornell, Drucilla, Gender, Geschlecht und gleichwertige Rechte, in: Benhabib, Seyla u.a., Der Streit um Differenz - Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, 1993, 80 ff.
Gilligan, Carol, Die andere Stimme, 1996.
MacKinnon, Catherine A., Toward a Feminist Theory of State, 1989.