Heft 2 / 2001:
Recht Macht Geschlecht
Notwendigkeit und Perspektiven feministischer Rechtspolitik
xxx

Götz Schulz-Loerbroks Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Wahl weiblich
Der Weg zum Frauenstimmrecht in Deutschland
 

Trotz männlicher Meinungsmacht erscheint heute die Tatsache, dass neben Männern auch Frauen das aktive und passive Wahlrecht zu den Parlamenten offensteht als selbstverständlich; doch musste die Frauenstimmrechtsbewegung lange Jahre für die Durchsetzung ihres Anliegens kämpfen.

Gesetzliche Grundlagen

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich in allen deutschen Staaten aus den vorherigen rein ständischen Strukturen so etwas wie eine "Volksvertretung" gebildet. Regelungen zur Wahlberechtigung zu diesen Parlamenten basierten in der Regel auf der Staatsangehörigkeit: Um z. B. in Bayern das Wahlrecht ausüben zu können, war es nach der Verfassung von 1818 notwendig, neben der aufgrund Geburt oder Verleihung erhaltenen Staatsangehörigkeit, die prinzipiell auch für Frauen zu erlangen war, die Staatsbürgerschaft zu erwerben. Staatsbürger konnte nur derjenige werden, der volljährig war (d.h. 25 Jahre alt), seine Ansässigkeit in Bayern durch Grundbesitz, Gewerbe oder ein öffentliches Amt nachgewiesen sowie einen Eid auf den Staat geleistet hatte. Passiv gewählt konnten Abgeordnete aus fünf Ständen werden: die Grundbesitzerschaft, die über eine eigene Gerichtsbarkeit verfügte, die sonstige Landeigentümerschaft, Geistlichkeit, Städte und Märkte, Universitäten. Das passive Wahlrecht für die städtische Bevölkerung wurde indes auf die über 30-jährigen mit Grundvermögen bzw. einem Gewerbebetrieb mit Steuerzahlung beschränkt, so dass z. B. im Jahre 1843 nur 0,5% der Bewohnerschaft wählbar war. Frauen waren in Bayern nicht - so wie in manch anderem Bundesstaat - ausdrücklich vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen; jedoch bestand kein Zweifel, dass sie nicht wählen durften.
Nach der Revolution 1848 konstituierte sich in Frankfurt am Main die Nationalversammlung. Die Männer, die 1848/49 hier um eine gemeinsame deutsche Verfassung stritten, beschäftigten sich auch ausgiebig mit einem künftigen gesamtdeutschen Wahlrecht: Gleich, unmittelbar, geheim sollte es sein - aber nicht für Frauen. Einziger Streitpunkt in diesem Zusammenhang blieb nunmehr die (akademische) Frage, ob das weibliche Geschlecht ausdrücklich von der Teilnahme ausgeschlossen werden müsse oder dies - als Selbstverständlichkeit - konkludent geschehen könne (die zweite Lösung wurde dann vorgezogen).
Auf Grundlage des 1849 verabschiedeten Reichswahlgesetzes konstituierte sich später der deutsche Reichstag. Dieses Gesetz entfaltete zwar keine Bindungswirkung auf die Gesetzgebung der Länder, was diese aber nicht zugunsten der Frauen, sondern vielmehr zur Festlegung anderweitiger Beschränkungen nutzten (z. B. preußisches Dreiklassenwahlrecht, Erfordernis direkter Steuerzahlung in Bayern).
Auf kommunaler Ebene sind bald erste Lockerungen erkennbar: So maß die bayerische Gemeindeordnung von 1869 Frauen (wie auch juristischen Personen) das aktive Wahlrecht zu, allerdings mussten sie sich in der Ausübung von Männern vertreten lassen; die Frau musste dem Mann eine spezielle Vollmacht ausstellen und konnte, da sie das Wahllokal nicht betreten durfte, über seine Stimmabgabe keine Kontrolle ausüben.

Die Heranbildung des modernen Staatsbürgerbegriffs

Warum die Nichtteilnahme von Frauen an Wahlen fast immer als selbstverständlich angesehen wurde, erhellt ein Blick auf das rechtswissenschaftliche Rollenbild der Frau als Teil der Familie:
Von den Naturrechtslehrern des 17. Jahrhunderts (Grotius, Pufendorf) wurde die Familie als kleinste Einheit des Staates propagiert, die ebenso wie dieser hierarchisch strukturiert ist, mit einem (männlichen) Familienoberhaupt an der Spitze, dem sich Frau und Kinder unterzuordnen haben. Immanuel Kant sah demgegenüber eine solche Funktionsteilung als naturrechtswidrig an und betonte die Freiheit des Individuums. Staatsbürgerliche Rechte besitzt die Frau bei ihm aber auch nicht, da es ihr nach seiner Auffassung an der "natürlichen Qualifikation" fehlt. Einzelne seiner Zeitgenossen wie Schlözer und Hippel kritisierten den Gedankengang Kants als unlogisch und betonten den Zusammenhang zwischen Mangel an Bildung und Mangel an Rechten der Frau; es sei demzufolge nur natürlich, der Frau auch Staatsbürgerrechte zuzumessen. Fichte verneint das Vorliegen einer Zweckausrichtung der Ehe auf die Staatsraison und reduziert die Ehe auf einen privatrechtlichen Vertrag, in dem die Frau ihr eigenes Leben zugunsten ihres Mannes aufgegeben habe.
Demgegenüber sehen Marx und Engels die "Familie" nur als Instrument zur Besitzstandswahrung, somit sei dieses Institut als kontraproduktiv für die Erlangung des Ziels der Freiheit von Eigentum und Abhängigkeiten abzulehnen; nur über die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft an sich gelange die Frau aus ihren vielschichtigen Abhängigkeiten heraus.
Die Staatslehre des 19. Jahrhunderts vermittelt bald ein uneinheitliches Bild, da - bedingt durch die fortschreitende Industrialisierung - bei vielen ein Wandel in den Auffassungen über die Familie festzustellen ist: Nicht mehr der Status in der Familie ist nun für die äußeren Beziehungen maßgebend, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse der Einzelnen. Immer mehr Vertreter machten nun den Umfang des Einflusses am Eigentum fest, sahen die Frau aber immer noch als allein in der Familie verwurzelt. Einen progressiven Ansatz, der auch Beachtung im deutschen Raum fand, verfolgte der Angloamerikaner John Stuart Mill: Er empfand die gesellschaftliche Unterordnung der Frau als widernatürlich und zeigte auf, dass die moderne Gesellschaft quasi zwangsläufig in eine andere Richtung führt.

Auseinandersetzungen um das Frauenstimmrecht

Im Deutschen Reich sind ab 1848 erste zaghafte Versuche einer bürgerlichen Frauenbewegung erkennbar, sich mit ihren Zielen einzubringen. In kleinen Zirkeln trafen sich Frauen aus der ökonomisch unabhängigen Bürgerschicht, ihre Themen waren die benachteiligenden Ehegesetze und die Ehescheidung. Zahlreicher geworden, organisierten sich die regionalen Frauenvereine 1894 im "Bund deutscher Frauen" (BDF), der schließlich mit der Zulassung von Mädchen zum Abitur und zum Hochschulstudium (allerdings vorerst noch ohne die Möglichkeit, einen qualifizierenden Abschluss zu erlangen) erste Erfolge erringen konnte. Von konfessionellen Frauengruppen abgelehnt, blieb ein Wahlrecht für Frauen vorerst noch Randthema, auch vom persönlichen Gang in die Politik war noch keine Rede.
Massenwirkung bekam die Frauenbewegung erst mit dem Aufkommen der sozialdemokratisch geprägten ArbeiterInnenbewegung: Insbesondere die 1863 gegründete SPD schrieb sich die Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht auf die Fahnen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gründeten sich spezielle sozialdemokratische Frauenwahlvereine, die öffentlichkeitswirksame Frauenversammlungen und Demonstrationen organisierten. Indes galt den ProtagonistInnen wie August Bebel und Clara Zetkin die Forderung nach dem Stimmrecht für Frauen - ähnlich wie die nach gleichberechtigter Beteiligung der Arbeiter - als bloßes Kampfmittel zur Herstellung rechtlicher Gleichheit der Klassen, die in die klassenlose Gesellschaft münden sollte.
Auch der liberale Teil der bürgerlichen Frauenbewegung um Minna Cauer, Helena Lange und nicht zuletzt Anita Augspurg entschloss sich zur Mobilisierung in Frauenversammlungen und auf der Straße. Daneben wurden aus ihren Reihen entsprechende Petitionen an die deutschen Parlamente verfasst, die jedoch allesamt keinen Erfolg hatten. Besonderes Aufsehen erregte 1906 der (ebenfalls erfolglose) Versuch, gerichtlich die Eintragung in die Listen zu den preußischen Gemeindewahlen zu erzwingen. 1
Einen Einschnitt erlebte die bürgerliche Frauenbewegung durch den Streit um die allgemeine Wahlrechtsfrage: Schließlich spaltete sich 1911 der BDF in drei konkurrierende Verbände.
Erschwerend für die sozialistische wie die bürgerliche Bewegung wirkte, dass bis 1908 Frauen in vielen deutschen Staaten (u.a. auch in Bayern und Preußen) keinen politischen Vereinen angehören durften. Gerade Arbeiterinnen waren staatlichen Repressionen ausgesetzt.
In den deutschen Parlamenten spiegelten sich die Diskussionen auf der Straße nicht angemessen wieder: Als einzige der Parteien vertrat die SPD die Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht und dem Frauenstimmrecht; allerdings brachten sich die Abgeordneten der anderen Parteien nur selten mit sachlichen Argumenten ein.
Der Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 vertiefte zunächst die Trennungen innerhalb der Frauenbewegung: Die einen wurden aus patriotischer Motivation tätig im "Nationalen Frauendienst" und ersetzten die im Land fehlenden Frontsoldaten an den Arbeitsstätten, die anderen formierten sich schon früh in der v.a. von Frauen getragenen Friedensbewegung. Diese Friedensbewegung unterlag nicht nur staatlicher Kriminalisierung, sondern wurde selbst innerhalb der SPD bekämpft, die sich dem "Burgfrieden" der Parteien angeschlossen hatte.
Mitte 1917 schlug die Stimmung um: Das bürgerliche Frauenstimmrechtslager wiedervereinigte sich und begann, mit der sozialdemokratischen Frauenbewegung zusammenzuarbeiten, die durch die kurz zuvor erfolgte Abspaltung der pazifistischen USPD von der SPD ihren radikalen Flügel verloren hatte. Mit Frauenversammlungen und Demonstrationen übte die nun schlagkräftige Bewegung politischen Druck aus.
Letztendlich durchgesetzt wurde das Frauenstimmrecht dann in der Novemberrevolution 1918. Nach der blutigen Niederschlagung einer Friedensdemonstration in Kiel hatten sich im ganzen Deutschen Reich Arbeiter- und Soldatenräte gebildet; am 7. November 1918 besetzten Revolutionäre um Kurt Eisner den Münchener Landtag und riefen die Republik aus, zwei Tage später geschah das gleiche am Berliner Reichstag. Der neue Reichskanzler Friedrich Ebert (SPD) bildete als Regierung den "Rat der Volksbeauftragten". In seiner ersten Veröffentlichung vom 12. November 1918 rief der Rat zur Wahl einer verfassunggebenden Nationalversammlung zum 19. Januar 1919 auf: "Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach demokratisch gleichem, geheimen, direkten Wahlrecht auf Grundlage des proportionalen Wahlsystems für alle mindesten 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen." 2 Das Ziel der Frauenstimmrechtsbewegung war erreicht.

Götz Schulz-Loerbroks studiert Jura und lebt in Erlangen.

Anmerkungen

1 Entscheidungen des Preußischen Obersten Verwaltungsgerichts, Band 51, 12 ff.
2 Reichsgesetzblatt 1918, 1303.

Literatur:

Bebel, August, Die Frau und der Sozialismus, 1879.
Heepe, Kathrin, Zur Geschichte des Frauenwahlrechts, in: Juristische Ausbildung 1989, 232 ff.
Hofmann-Göttig, Joachim, Emanzipation mit dem Stimmzettel, 1986.
Rosenbusch, Ute, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, 1998.